In vielen Haushalten wird das Strompotenzial verschenkt – besonders beim Laden von Elektroautos. Der Grund: Deutschland kommt beim Einbau intelligenter Stromzähler kaum voran. Merlin Lauenburg, der Geschäftsführer von Tibber Deutschland, kritisiert das scharf. „Wir sehen in Deutschland eine dramatische Verzögerung beim Smart-Meter-Rollout – und das schadet nicht nur Verbrauchern, sondern auch der Energiewende“, sagt Lauenburg. Ein Grund: Große Energieversorger hätten laut ihm kein echtes Interesse an flexiblen Tarifen, weil diese das herkömmliche Geschäftsmodell mit fixen Margen ins Wanken bringen.

Deutschland wenig flexibel
99 Prozent der Stromverträge privater Haushalt sehen derzeit noch einen fixen Strompreis über das Jahr vor. In Norwegen, dem Heimatland von Tibber, sind es nur noch drei Prozent, in Luxemburg und Irland sogar nur noch ein Prozent. Grafik: EU

Tatsache ist: Nur 2,8 Prozent der Haushalte in Deutschland haben bisher einen Smart Meter, also einen smarten Stromzähler, im Keller verbaut. Dabei könnten gerade Besitzer von E-Autos besonders stark davon profitieren – zum Beispiel durch automatisiertes Laden zu günstigen Zeiten. Doch 99 Prozent der privaten Haushalte hierzulande bezogen Ende 2025 den Strom zu fixen Kilowattstunden-Preisen, ganz unabhängig vom tatsächlichen Angebot im Netz und den tagesaktuellen Preisen an der Strombörse.

Warum geht das in Deutschland so langsam voran?

Die Gründe für den schleppenden Fortschritt beim Smart-Meter-Rollout sind laut Tibber-Geschäftsführer Lauenburg vielfältig – und machen deutlich, warum sich so wenig bewegt:

Merlin Lauenburg
Der Wirtschaftswissenschaftler leitet seit April 2023 als Managing Director die Geschäfte des digitalen norwegischen Ökostromanbieters Tibber in Deutschland. Das Unternehmen bot als eines der ersten dynamische Stromtarife an. Zuvor war Lauenburg unter anderem Gründer und Managing Director des Verbraucherportals Förderprofi, das zur Viessmann-Gruppe gehört. Foto: Chris Marxen für Tibber
Merlin Lauenburg
Der Wirtschaftswissenschaftler leitet seit April 2023 als Managing Director die Geschäfte des digitalen norwegischen Ökostromanbieters Tibber in Deutschland. Das Unternehmen bot als eines der ersten dynamische Stromtarife an. Zuvor war Lauenburg unter anderem Gründer und Managing Director des Verbraucherportals Förderprofi, das zur Viessmann-Gruppe gehört. Foto: Chris Marxen für Tibber
  • Technische Überregulierung: „Wir haben bei Smart Metern hierzulande höhere Sicherheitsstandards als beim Online-Banking – für einfache Stromverbrauchsdaten. Das ist übertrieben.“
  • Veraltete Rollout-Logik: Nur drei zertifizierte Hersteller dürfen Smart Meter liefern – und das blockiert Innovation. „Schon heute wird Technik für übermorgen eingebaut – statt Lösungen, die jetzt helfen.“
  • Zersplitterte Zuständigkeit: Fast 900 Netzbetreiber organisieren den Einbau – viele davon kleine Stadtwerke, die oft überfordert oder einfach unwillig sind.
  • Zu wenig Kommunikation: Viele Haushalte wissen nicht einmal, dass sie Anspruch auf ein intelligentes Messsystem haben – oder wie viel Geld sie damit sparen könnten.

„Wenn wir die Energiewende wirklich wollen, dann müssen wir den Stromverbrauch smarter machen – nicht nur das Angebot“, fordert Lauenburg. Statt zu warten, plädiert er für einen pragmatischeren Ansatz: Ein einfaches ‚Smart Meter Light‘ mit Grundfunktionen könnte schon jetzt helfen – aber dafür fehlt bislang der politische Wille.“

Was bringt die Zukunft?

Spannend wird es mit dem sogenannten bidirektionalen Laden – also wenn das Elektroauto nicht nur Strom aufnimmt, sondern bei Bedarf auch wieder Strom ans Haus oder ins Netz abgeben kann. Das Auto wird damit zum mobilen Stromspeicher.

„Das hilft nicht nur der Netzstabilität, sondern spart auch Geld – vorausgesetzt, es gibt eine faire Vergütung“, so Lauenburg. Noch allerdings ist die Technik in Deutschland kaum verbreitet: Nur wenige Wallboxen und E-Autos unterstützen derzeit die Rückspeisung von Strom überhaupt. Tibber selbst plant, 2026 passende Tarife und Empfehlungen für bidirektionale Wallboxen anzubieten – günstige Komplettangebote inklusive.

Smart Meter Gateway
Nur drei zertifizierte Hersteller dürfen derzeit in Deutschland nach den Kriterien des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) intelligente Stromzähler liefern. Das blockiert Innovationen und bremst deren Verbreitung. Bild: Inexogy
Smart Meter Gateway
Nur drei zertifizierte Hersteller dürfen derzeit in Deutschland nach den Kriterien des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) intelligente Stromzähler liefern. Das blockiert Innovationen und bremst deren Verbreitung. Bild: Inexogy

Lauenburg sieht hier viel Potenzial: „Wir glauben, dass bidirektionales Laden ein zentraler Baustein der Energiewende wird – aber es muss für die Nutzer wirtschaftlich attraktiv sein. Es reicht nicht, auf Altruismus zu setzen.“ Elektroautos schaffe man nicht zu gemeinnützigen Zwecken wie der Stabilisierung von öffentlichen Stromnetzen an, sondern um die persönliche Mobilität zu sichern.

Und was passiert mit den Strompreisen?

Nach den großen Preissprüngen infolge der durch den Ukraine-Krieg ausgelösten Energiekrise fragen sich viele, ob es sich überhaupt noch lohnt, in Wärmepumpen oder Elektroautos zu investieren. Die Antwort von Lauenburg fällt vorsichtig optimistisch aus: „Wir gehen davon aus, dass sich die Strompreise in den nächsten Jahren eher stabilisieren oder sogar leicht sinken – auch durch den wachsenden Anteil erneuerbarer Energien“, sagt er. Gleichzeitig werde aber der Netzausbau teuer – ein Teil der Kosten werde sicher an die Verbraucher weitergegeben.

Gerade deshalb sieht er in flexiblen Tarifen aber auch die bessere Antwort auf steigende Belastungen:
„Wer Strom nutzt, wenn er günstig und grün ist, spart nicht nur individuell – sondern entlastet das ganze System. Je mehr Flexibilität im Netz, desto weniger müssen wir teuer ausbauen.“

Artikel teilen

Kommentar absenden

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert