Wo Hagen von Tronje den tonnenschweren Schatz im Rhein versenkte, kann bis heute niemand sagen. In der berühmten Nibelungensage kippte Siegfrieds Mörder Gold und Edelsteine irgendwo bei „Loche“ ins Wasser – um zu verhindern, dass die Witwe den Reichtum verprasst. Seitdem suchen Generationen von Abenteurer und Glückrittern im Rheingraben, rund um Worms, rauf bis Lochheim und runter bis Speyer, nach dem sagenhaften Nibelungenhort, den Experten auf ein Gewicht von 50 Tonnen und einen heutigen Wert von über 400 Millionen Euro taxierten. Trotz Einsatz modernster Techniken bis heute ohne den kleinsten Erfolg.
Horst Kreuter kann da schon einiges mehr vorweisen. Auch er ist ein Schatzsucher, auch sein Suchgebiet ist der Rheingraben. Aber das Gold, auf das er es abgesehen hat, ist weder gelb noch rot, sondern weiß. Und es ist kein Schwer-, sondern ein Leichtmetall: Lithium – der Stoff, aus dem im Zeitalter der Elektromobilität (fast) alle Träume sind. Ohne Lithium kommt heute kein Hochvolt-Speicher aus, ohne Lithium-Ionen-Akkus würden E-Mobile nur wenige Kilometer weit kommen.
Der weltweite Bedarf an dem Alkali-Metall ist entsprechend riesig. Wurden 2019 nur rund 85 000 Tonnen Lithium gewonnen, werden im Jahr 2040 schon Mengen in 43-facher Größenordnung benötigt, schätzt die Internationale Energie-Agentur (IEA) mit Blick auf die über 70 Millionen Elektroautos, die laut Prognosen dann über die Straßen der Welt rollen werden.
Die bekannten Lagerstätten in Chile, Australien, Argentinien und China gäben das durchaus her – aber mit mit Nebenwirkungen behaupten: Die konventionelle Lithium-Gewinnung in Bergwerken aus Hartgestein und aus der Schlacke von Salzseen verschlingt große Mengen an Energie oder Wasser – und kommt mit einem entsprechend großen CO₂-Fußabdruck daher.
„Weißes Gold“ im Wasser
Hier kommt Kreuter ins Spiel, der dem so genannten „weißen Gold“ im Rhein auf der Spur ist. Nicht mit der Spitzhacke oder mit Baggern, nicht bergmännisch oder durch Verdunstung von Salzwasser in künstlich angelegten Becken, sondern ganz umweltverträglich, nachhaltig und CO₂-neutral – ganz einfach durch die Filterung von Lithium-Ionen aus bis zu 200 Grad heißem und zum Teil stark salzhaltigem Thermalwasser.
Dieses wird im 300 Kilometer langen und 40 Kilometer breiten Oberrheingraben zwischen Basel und Frankfurt heute schon an einem halben Dutzend Stellen aus mehreren Tausend Metern Tiefe nach oben befördert – bislang allein zur Stromerzeugung mittels Wärmetauschern und Generatoren sowie zur Versorgung von Wohnund Bürogebäuden mit Wärme. Das Wasser aus der Tiefe wird zudem in unzähligen Thermen und Mineralbädern zwischen Staufen im Breisgau und Heidelberg zu therapeutischen Zwecken genutzt – und das zum Teil schon seit Jahrhunderten.
Tesla-Fahrer Kreuter, der früher Flugplätze in der Karibik und Straßen in Tansania baute, bevor er sich der Geothermie zuwandte, hat noch eine andere Verwendung für das Thermalwasser gefunden: Bevor es zurück in die Erde geleitet wird, will der 64-jährige Ingenieur das darin gelöste Lithium-Chlorid herausfiltern, säubern und zu hochreinem Lithiumhydroxid für Elektroauto-Akkus verarbeiten. Dank eines speziellen, patentierten Verfahrens zu deutlich geringeren Kosten.
Der Deutsche hat sich dazu vor drei Jahren mit dem australischen Bergbau-Unternehmer und Lithium-Experten Francis Wedin zusammengetan und im vergangenen Jahr Vulcan Energy Resources gegründet. In Australien ist das Start-up inzwischen an der Börse notiert, ab Februar sollen die Aktien des Unternehmens auch an der Frankfurter Börse gehandelt werden. Mit den Autokonzernen Volkswagen, Renault und Stellantis sowie mit Umicore, dem führenden Hersteller von Kathodenmaterialien, wurden bereits Liefervereinbarungen geschlossen. Renault hat sich 17 000 Tonnen Lithiumhydroxid im Jahr gesichert, Umicore eine Gesamtmenge von maximal 42 000 Tonnen über einen Zeitraum von fünf Jahren hinweg.
Enormes Kaufinteresse
Auch der koreanische Batterieriese LG Energy Solution möchte Lithium aus dem Oberrheingraben – 5000 Tonnen für den Anfang, später bis zu 10 000 Tonnen. Daimler hat ebenfalls den Finger gehoben: Übermangelndes Interesse können sich Kreuter und seine Mitstreiter also nicht beklagen.
Eher schon über den Zeit- und Erwartungsdruck: Renault rechnet ab 2026 fest mit regelmäßigen Lieferungen an seine Batteriefabrik in Flins, LG erwartet erste Lieferungen schon im Sommer 2025. Dabei existiert derzeit nur eine kleine Pilotanlage in Landau an der Weinstraße, wo die Pfalzwerke mit dem heißen Wasser aus 3000 Metern Tiefe ein Geothermie-Kraftwerk betreiben.
Lithium-Produktion soll 2023 starten
Geplant ist, in diesem Jahr eine größere Demonstrationsanlage am Geothermie-Kraftwerk in Insheim in Betrieb zu nehmen, um dort zehn Tonnen Lithium im Jahr zu produzieren. Eine industrielle Produktion mit einer Ausbeute von jährlich 15 000 Tonnen soll dann Ende 2023 anlaufen, Anfang 2024 die Fertigung mit zwei Großanlagen erweitert werden. Wo die stehen werden, ist allerdings auch noch völlig offen.
Wie so manches andere: Es fehlen die Baugrundstücke, erst recht die Fördergenehmigungen. Und auch die Finanzierung ist noch längst nicht in trockenen Tüchern: Notwendig sind nach aktuellem Stand immerhin Investitionen in einer Größenordnung von rund 1,7 Milliarden Euro.
Vulcan mit der Lizenz zum Bohren
Immerhin hat sich Vulcan Energie Ressourcen GmbH kürzlich fünf neue Lizenzen im Oberrheingraben sichern können – eine für die Gewinnung von Erdwärme, vier für die Suche nach Lithium in einem 1000 Quadratkilometer großen Gebiet in den Bundesländern Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen. Noch in diesem Jahr will Vulcan Energie mit speziellen Lastwagen den Boden beschallen, um ein dreidimensionales Abbild des Untergrundes zu bekommen. Das Unternehmen will damit herausfinden, wo sich Bohrungen lohnen könnten.
Und dieser Tage schloss Vulcan mit dem Basischemikalien-Hersteller Nobian eine Absichtserklärung für den Bau und den Betrieb eines gemeinsamen Lithium-Werkes im Chemiepark Höchst nahe Frankfurt. Mithilfe von Elektrolyseure soll das im Oberrhein gewonnene Lithiumchlorid bei Nobian in hochreines Lithiumhydroxid umgewandelt werden. Auch wurden zwei gebrauchte Tiefbohranlagen erworben und eine Bohrgesellschaft gegründet.
Trotzdem ist noch viel zu tun, ehe das erste Lithium gefördert wird – nicht alle Menschen in der Region sind begeistert von der Idee, Lithium durch Bohrungen aus mehreren Tausenden Metern Tiefe an die Oberfläche zu befördern. In der Pfalz hat sich – wenig überraschend – bereits eine Bürgerinitiative gegründet, die das Projekt kritisch begleitet. Sie fürchtet, dass die Bohrungen kleine Erdbeben auslösen könnten, die zu Gebäudeschäden führen. Die beiden benachbarten Städte Achern und Rheinau in Baden-Württemberg haben deshalb bereits Erkundungs-Bohrungen und seismische Sondierungen kategorisch abgelehnt, auch in Bühl gibt es Widerstand.
Im zweiten Teil lesen Sie, vor welchen Herausforderungen die Gewinnung von Lithium aus Thermalwasser in Deutschland noch steht – und mit welchen Konkurrenten es die „Vulcanier“ zu tun haben.