Waren Sie im Netz schon mal auf einer Partnerbörse unterwegs? Pssst, wir verraten es ja nicht. Vielleicht sogar erfolgreich? Womöglich haben Sie da sogar den Deckel zum Topf gefunden, der aus Ihrem Singleleben eine traute Zweisamkeit mit erfreulich leckerem Nutzwert macht. Und Ihnen, ohne ins Detail zu gehen, genau das bringt, was Sie schon immer so vermisst haben – und gerade dringend für Ihr Seelenheil brauchen.
So ungefähr können Sie sich die neuen Zweckehen der Automobilhersteller vorstellen, die gerade dramatisch im Kommen sind. Die Kollegen brauchen für ihre Zukunftspläne nämlich dringend die großen, schön zu ihnen passenden IT-Partner, die ihnen mit Big Data, Cloud Computing, künstlicher Intelligenz und gigantischen Rechenleistungen unter die Arme greifen können.
Das ist nämlich genau das, was man als klassischer Brummbrumm-Autobauer nicht mehr allein auf die Reihe kriegt. Was man aber technologisch händeringend braucht. Für die Verknüpfung von Millionen vollvernetzten Fahrzeugen, für den fixen Wandel zum softwaregetriebenen Mobilitätsanbieter (Drive Sharing, Ride Hailing, Dynamic Parking und so), für einen weltweit sprudelnden digitalen Kundenservice oder einfach für den sicheren, digitalen Arbeitsaustausch der über den ganzen Globus verstreuten Konzernstandorte. Austausch in Echtzeit, versteht sich.
Da kommt ein Tech-Gigant wie Microsoft gerade recht als neuer Freund des Hauses, zumal man sich schon ein bisschen kennt von bisherigen Projekten, also nicht die Katze im Sack kauft. Erwachende Liebe auf beiden Seiten, auch weil die Amerikaner, wie wir wissen, selbst unter Druck stehen. Denn deren Geschäftsmodell war vor kurzem schwer in Gefahr, weil mit netten Windows-Betriebssystemen im weltweit schrumpfenden PC-Markt auf Dauer keine Kohle mehr zu machen war. Microsoft-Chef Satya Nadella schwenkte gerade noch rechtzeitig auf Cloud Computing und Big Data um. „Aber wir mussten plötzlich neu erlernen, wie ein Kulturwandel gelingen kann“, erzählte er diese Woche offenherzig bei einem „Fireplace-Talk“ mit Noch-Daimler-Chef Dieter Zetsche auf dem World Mobil Congress in Barcelona.
Sie ahnen es, da kommen schwergewichtige Geschäftspartner wie Volkswagen und Daimler gerade recht. Die Wolfsburger zum Beispiel brauchen Microsofts Dienste für ihre geplante, ziemlich gigantische Automotive Cloud. Eine technologische Basis für die Verknüpfung von Millionen vollvernetzter Fahrzeuge und für den verkündeten digitalen Rundum-Kundenservice (Stichwort Volkswagen „We“) sowie die tollen Mobilitätsdienste, die man weltweit aufbauen will. Da liefert Microsoft doch liebend gern die digitale Plattform.
Die Software macht den Unterschied
„Die Autos der Zukunft werden sich immer mehr über ihre Software-Fähigkeiten differenzieren“, hat VW-Chef Herbert Diess dazu gestern in Berlin beim „CEO-Fireside-Chat“ (Ja, klingt ähnlich zu der MWC-Veranstaltung, war aber ein ganz anderes Event) mit Nadella im Volkswagen Digital Lab gesagt. Das sei noch härter als die Einführung der neuen Elektroautos.
Okay, Volkswagen jedenfalls hat sich deshalb schon vor Ort beim neuen Partner angedockt: Auf dem Microsoft-Campus in Seattle haben seit etlichen Monaten diverse VW-Spezialisten ihr Quartier, bald sollen es rund 300 sein. Und Nadella deutet uns auf Nachfrage in einem unauffälligen Nebensatz an, dass man die Zusammenarbeit mit VW später natürlich auch auf die digitale Begleitung der Automobil-Produktion ausweiten könnte.
Produktion? Gutes Stichwort für die Daimler-Pläne, wo man ebenso im Zugzwang ist. Denn um die unglaublichen Datenmengen, die ein Autokonzern wie Daimler mittlerweile von der Entwicklung bis zur Produktion raushaut, sinnvoll verarbeiten und nutzen zu können, reichen die hauseigenen Server und Digitaldienste im Ländle längst nicht mehr aus. Deshalb sind die Stuttgarter auf die Cloud-Plattform von Microsoft gewechselt. Das Projekt mit dem etwas sperrigen Namen „eXtollo“, das dafür aufgebaut wird, funktioniert so: Microsoft liefert mit seiner Azure-Software die Spielwiese für weltweite Echtzeit-Vernetzung und bei Bedarf sind auch jederzeit große Rechenleistungen einfach zubuchbar. Dieses Mietkonstrukt spart eigene Rechenzentren, und weil Daimler hier einen eigenen Verschlüsselungs-Code nutzt, bleiben die Schwaben immer Herr über ihre Daten. Schwören sie.
„Alles absolut safe“, bestätigt Guido Vetter, Daimlers Big Data- und Analytik-Chef. Letztendlich könnten per eXtello sämtliche Mercedes-Werke und -Entwicklungstandorte live mit allen vorhandenen Daten, Messwerten oder Designideen kommunizieren. „Wir entscheiden, wer und was für den Austausch freigeschaltet wird“, erklärt Vetter. Ganz Geheimes bleibe weiterhin geheim, aber die meisten Anwendungsfälle ließen sich problemlos abdecken. „Und für Microsoft ist unsere Zusammenarbeit nicht nur finanziell attraktiv“, grinst Vetter. Allein die Tatsache, dass der renommierte Premiumriese mit dem Stern diesen Amerikanern seine Daten anvertraue, mache Microsoft in der Partnerbörse ja auch für andere potentielle Interessenten reizvoll.
Und wie in Wolfsburg sieht man auch in Stuttgart schon den größeren Rahmen. Der Konzern soll mit der ausgerufenen CASE-Strategie für eine Zukunft fit gemacht werden, in der das Produkt Auto nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. „Viele haben Angst vor dem Niedergang der Autoindustrie, doch hier erwächst gerade ein neuer Milliardenmarkt, und der Schlüssel zu dieser Party ist Software“, hat Zetsche in Barcelona verkündet. PS-Power und Blech sind out, digitale Daten und Dienste das neue Gold. Und dann haut der Konzernchef richtig auf den Putz: „Es genügt nicht mehr, besser als BMW und Audi zu sein, unsere Benchmarks heißen nun auch Google, Amazon und Co.!“ Oha. Großes Raunen im Saal.
Was jedenfalls die Partnerschaft mit Microsoft betrifft, sind Daimler und Volkswagen des Lobes voll. „Ich bin glücklich, ein Unternehmen wie Microsoft für die Verwirklichung unserer Pläne zu haben“, konstatiert Diess. Und bei Daimler betont man in Barcelona, dass man bei Microsoft wirklich nicht nur zahlender Kunde sei. Vetter: „Die Zusammenarbeit zwischen unseren Teams läuft super.“ Die Microsoft-Kollegen in der Runde nicken eifrig.
Ja, alles wunderbar. Tage voller Glück. Alle sind verkuppelt und begeistert von ihrem Partner Microsoft. Was Daimler aber nicht davon abgehalten hat, mit dem spontan organisierten „Fireside-Talk“ von Zetsche und Nadella auf dem World Mobile Congress in Barcelona der Konkurrenz aus Wolfsburg mit zwei Tagen Vorsprung die Show zu klauen. Die hatten ihren Berliner „Fireside-Chat“ zwischen VW-Chef Diess und Nadella vielleicht zu früh ausposaunt. PR-Satzvorteil Daimler.
Dafür haben die Wolfsburger, ätsch, jetzt mit Christian Senger schon einen richtigen Digital-Vorstand als Zukunftskapitän (das letzte Interview mit Christian Senger in seiner Funktion als Baureihen-Leiter eMobility lesen Sie hier), auch wenn der sich seine Mannschaft erst einmal zusammentrommeln muss. Das soll eine riesige Truppe werden, hören wir. Genaue Zahlen dürfen noch nicht genannt werden, weil der Betriebsrat dabei auch ein bisschen mitredet. Intern ist schon von „mehreren tausend Mitarbeitern“ die Rede, die aus allen Bereichen des Konzerns rekrutiert und konzentriert werden sollen. Schon sehen wir, um welche Dimensionen es bei den Autoherstellern gerade geht.