Komplett blau angemalt hebt sich der Alstom-Zug von anderen Schienenfahrzeugen deutlich ab. Der „Coradia iLint“ soll seine Außergewöhnlichkeit demonstrieren: Er ist der weltweit erste Zug mit Brennstoffzellentechnik für den regulären Fahrgastbetrieb.
Auf der ersten Sonderfahrt von Wiesbaden nach Frankfurt-Höchst konnten die Fahrgäste die neuartige Technik testen, oder zumindest erleben. Der reguläre Einsatz startet erst 2022. Bis zu 26 Fahrzeuge sollen dann im Taunus fahren.
Auf dem Dach des Zuges erzeugt die Brennstoffzelle aus Wasserstoff Strom, der in einer Batterie im Boden des Zuges zwischengespeichert wird. Statt Abgase entsteht dabei lediglich Wasserdampf. Mit einer Tankfüllung Wasserstoff kann der Coradia iLint immerhin bis zu 1.000 Kilometer zurücklegen und erreicht eine Höchstgeschwindigkeit von 140 km/h.
Viele Schienen, wenig Strom
Der Brennstoffzellen-Antrieb wird zu einer immer interessanteren Alternative. Denn über 40 Prozent des deutschen Bahnnetzes sind nicht elektrifiziert. Ein Ausbau ist teuer und bringt einen Eingriff in die Natur mit sich. Bleibt der Diesel – will man sauber fahren, rückt ein Umstieg auf Wasserstoff zunehmend in den Fokus.
Das Angebot an Zügen ist bisher allerdings gering. Und es gibt noch ein Problem: Um die Züge mit Druckwasserstoff oder verflüssigtem Wasserstoff zu beladen, müsste an den Versorgungshöfen eine völlig neue Infrastruktur aufgebaut werden.
Wissenschaftler des Helmholtz-Instituts Erlangen-Nürnberg (HI ERN) haben eine Alternative: Sie binden den gasförmigen Wasserstoff an eine ungefährliche Trägerflüssigkeit, die sich sicher lagern und transportieren lässt. „Liquid Organic Hydrogen Carrier“ – oder kurz LOHC – ist eine organische Trägerflüssigkeit und macht aus einem explosiven Gas eine ungefährliche Flüssigkeit. Sie ist so etwas wie eine flüssige Pfandflasche für Wasserstoff, der sich damit drucklos speichern und so leicht handhaben lässt wie Benzin.
Das Problem bei Wasserstoff ist, dass sehr hoher Druck oder extrem niedrige Temperaturen nötig sind, um eine ausreichend hohe Speicherdichte zu erreichen. LOHC kann dagegen unter Umgebungsbedingungen gelagert und in großen Mengen transportiert werden. Die ölige Substanz lässt sich einfach mit Tanklastern und Zügen transportieren und wie andere Kraftstoffe lagern.
Und es kommt auch bei einer längeren Lagerung zu keinem Verlust. Beim Abnehmer wird der Wasserstoff wieder freigesetzt und das Öl kann erneut verwendet werden. Zudem ist die Speicherdichte um den Faktor 5 großer. Schon ein einziger Liter bindet über 650 Liter Wasserstoff. „Die LOHC-Technologie ermöglicht es, die bestehende Infrastruktur weitestgehend beizubehalten“, erklärt HI ERN-Leiter Peter Wasserscheid.
System direkt im Zug
Das reicht den Wissenschaftlern aber nicht. Sie wollen den LOHC-Träger direkt auf den Zug anbringen, damit der Wasserstoff während der Fahrt in Strom umgewandelt wird. „In unserem Projekt geht es unter anderem darum, die Apparate, die für die Freisetzung des Wasserstoffs benötigt werden, für mobile Anwendungen anzupassen“, erläutert Projektkoordinator Patrick Preuster.
Dabei müssen nicht nur Größe und Gewicht verringert werden. „Für den mobilen Einsatz werden Freisetzungsapparate benötigt, die gut auf dynamische Lastwechsel reagieren, etwa vor Anfahrten und Anstiegen, wenn besonders viel Leistung – und entsprechend viel Wasserstoff – benötigt wird.“
Der Alston-Zug muss dagegen im Industriepark Höchst zum Tanken stoppen, wo eine Wasserstofftankstelle aufgebaut wird. Ein Vorteil ist, dass es auf dem Höchst-Gelände bereits eine Wasserstoff-Infrastruktur gibt, da das Gas als Nebenprodukt aus der Chlorproduktion in großen Mengen anfällt – rund 50 Millionen Kubikmeter pro Jahr. Grün ist das allerdings nicht. Dafür müsste der Wasserstoff aus erneuerbaren Energien gewonnen werden.
Demonstrationsprojekt im nächsten Jahr
Die Forscher am HI ERN haben noch eine innovative Idee. Sie entwickeln eine Direkt-LOHC-Brennstoffzelle für mobile Anwendungen. Bisher muss das Wasserstoffgas wieder aus dem Trägermaterial befreit werden, bevor daraus Energie gewonnen wird.
Ein Umweg, den die Wissenschaftler ausräumen wollen. Im Labor sollen die Ergebnisse bereits sehr vielversprechend sein. Im kommenden Jahr soll in einem Demonstrationsprojekt innerhalb von fünf Jahren ein erster Zugdemonstrator entwickelt werden.
Die Idee, den Wasserstoff zu binden, hatten aber nicht zuerst die Wissenschaftler des HI ERN-Instituts. Darauf ist Daniel Teichmann gekommen. Seit 2009 tüftelt der Ingenieur an der Wasserstoffspeicherung. Denn der CEO von Hydrogenious Technologies ist überzeugt: „Wasserstoff ist das Erdöl der Zukunft.“