China wächst. Nicht nur bei Produktion und Absatz von Gütern, sondern auch bei den Innovationen. China landet beim Global Innovation Index der innovativsten Länder auf Rang 17 – nach Platz 22 im Vorjahr. Die Weltorganisation für geistiges Eigentum (Wipo) in Genf stellt das Ranking jährlich mit den Hochschulen Cornell und Insead zusammen. Auch wenn die Schweiz noch als das innovativste Land gilt, holt die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt schnell auf.
Die Sonderverwaltungszone Hongkong trägt dazu bei. Bei der RISE Conference, dem asiatischen Ableger des europäischen Web Summits, treffen sich Techies, Zukunftsforscher, Unternehmen und Investoren aus der ganzen Welt zum Ideenaustausch. Mehr als 15.000 Besucher aus 102 Ländern lockt die Messe drei Tage lang in den dritten Stock des Messe-Zentrums in Hongkong, während im Untergeschoss eine lokale Fashion Week läuft. Damit zählt sie zum größten Tech-Event in Asien. Besucher können die unterschiedlichsten Themenfelder wie Automotive, Design, Robotik und Big Data erleben.
Microsoft-Präsident Brad Smith spricht auf einer der vier Bühnen, wie auch Amazon CTO Werner Vogels und Daimler-Chef Dieter Zetsche. Insgesamt stellen sich über 300 Redner den Fragen der Moderatoren. Über 750 Start-ups präsentieren ihre Ideen, hoffen auf Investoren oder neuen Input. 70 davon stellen ihre Ideen in einem Drei-Minuten-Pitch einer vierköpfigen Jury vor. Nur wer hier überzeugt, kommt eine Runde weiter und erhält am Ende eine Unterstützung von HSBC.
„Die Menschen hier sind ehrgeiziger als an anderen Orten“
Casper Chien von Doki hat eine smarte Uhr für Kinder entwickelt, die sich einfach bedienen lässt, robust ist und sich mit den Eltern vernetzt. Alex Robinson zeigt mit der Plattform Qlix, wie Eltern und Schüler einfacher und besser miteinander kommunizieren. Die Ideen sind ganz unterschiedlich – und kommen bei den Juroren auch unterschiedlich an.
„Hongkong schläft nicht. Nie!“, peitscht Richard Robinson, Host der Auto-/Robot-Bühne die Menge auf und spielt dabei auf den Slogan der Stadt New York an. Nicht an der Ostküstenstadt der USA und im Silicon Valley spielt sich die Zukunft ab, sondern in der Küstenstadt. „China gibt bei vielen Entwicklungen künftig das Tempo vor. Die Menschen hier sind hungriger und ehrgeiziger als woanders“, sagt Lei Chen, CEO von Xunlei Limited. Das börsennotierte Unternehmen mit über 1500 Mitarbeitern hat sich auf Filesharing-Dienste spezialisiert. Nach einer Umfrage unter den globalen Investoren sehen 67 Prozent von ihnen China in fünf Jahren als Weltmacht in Sachen Technologie. 62 Prozent glauben, dass China mehr Wachstumspotenzial bietet als die USA.
Dazu zählt vor allem der Bereich der künstlichen Intelligenz (KI) und Blockchain – oder die Kombination von beidem. „Damit lassen sich neue Dienste und Applikationen entwickeln“, sagt Lei Chen. AI wird immer wichtiger, ohne sie sind neue Projekte kaum zu denken. „Der Markt entwickelt sich rasend schnell, die Unternehmen müssen sich einfach anpassen und noch schneller werden“, sagt Harry Hui, Mitbegründer der Beteiligungsgesellschaft ClearVue Partners. Anita Huang von der Investmentfirma Sinovation Ventures aus Peking glaubt ganz fest an den Fortschritt, vor allem an autonome Fahrzeuge. In fünf bis zehn Jahren sollen sie hier schon fahren, ihr Unternehmen investiert deshalb vermehrt in Firmen, die sich mit den dafür relevanten Technologien wie Sensoren oder Applikationen beschäftigen.
Auf der Suche nach neuen Ideen
Die meisten jungen Mitarbeiter der Start-ups stehen oder lehnen lässig an ihrem einen Quadratmeter kleinen Stand. Ein Schild mit Namen und Kurzbeschreibung muss als Werbung reichen, das Tablet oder Laptop liegt auf dem Holztisch. Madhukar Yadalam von MyRidz aus Indien hat eine App für Gebrauchtwagen-Händler und deren Kunden entwickelt, mit denen sie sich einfacher verbinden können. Highway Connect verknüpft in einer App viele Infos entlang einer Reisestrecke. Es sind auf den ersten Blick selten Sensationen, aber auf verschiedenen Märkten und Anwendungen ergeben sie durchaus Sinn. Indien als drittgrößter Automarkt Asiens mit mehr als drei Millionen verkauften Autos jährlich hat einen unübersichtlichen Gebrauchtwagenmarkt – und ein noch unübersichtlicheres Straßennetz. Neue Ideen sollen Kauf und Reise vereinfachen.
Ein paar der jungen Start-ups schaut sich auch Daimler-Chef Dieter Zetsche an, der zuvor auf einer Geschäftsreise in China war. „Mich führt die Neugierde hierher, ich will sehen, was hier passiert, wie Auto- und Techwelt zusammenpassen. Denn der Autobereich verändert sich dramatisch, vielleicht finde ich hier Anstöße“, sagt er. Noch vor fünf Jahren sah er bei Forschung und Entwicklung das Silicon Valley in Kalifornien vorne, mittlerweile kommen die neuen Ideen allerdings eher aus Peking oder Hongkong.
Auch die Vernetzung sei besser als in anderen Regionen. „Für intelligente und cloudbasierte Systeme benötigen wir einen stabilen und schnellen Netzzugang, den vermisse ich teilweise in Deutschland“, sagt er. Das neue digitale Mercedes Cockpit Mbux beispielsweise könne dann nicht sein volles Potenzial ausschöpfen. Europa sei dort nicht führend, ebenso wenig wie bei flexiblen Arbeitsmodellen. „Bei der Geschwindigkeit, wie manche Start-ups Software und Anwendungen entwickeln, kommen wir im Konzern nicht mit“, sagt der Daimler-Chef.
Doch auch sein Unternehmen muss sich schnell weiterentwickeln, um den Anschluss nicht zu verpassen, vor allem bei Roboterautos. Mercedes erhält jetzt als erstes Unternehmen eine Lizenz für Versuche mit autonom fahrenden Fahrzeugen in Peking. Um zu testen und zu lernen. „Wenn wir uns entscheiden, autonom fahren zu wollen, müssen wir vorher sicherstellen, dass es in China funktioniert“, sagt Zetsche.
Chinesischer Pragmatismus sorgt für Innovationen
Jedoch läuft auch bei der RISE nicht alles reibungslos. Sophia, ein Roboter von Hanson Robotics mit menschlichem Antlitz, hat Sprach- und Reaktionsstörungen. Auf einfache Fragen antwortet Sophie nicht, rechnet simple Multiplikationsaufgaben falsch. „Murphy’s Law“, wie Gründer David Hanson sagt. Für ihn keine Blamage, sondern Motivation weiterzumachen.
„Es ist die Atmosphäre, der Spirit, der mich begeistert. Man kann sein Netz auswerfen und fängt einen Fisch. Entweder gezielt oder als Beifang. Irgendetwas bleibt immer hängen“, sagt Dieter Zetsche. Dabei muss es nicht immer etwas mit dem Auto zu tun haben. Zetsche entdeckte einen aufsteckbaren Ventilator fürs Smartphone – ideal für die heiß-schwüle Stadt am Meer.
China ist ein schneller Markt, die Firmen reagieren zügiger auf Kundenwünsche. „In einem Dorf gingen die Waschmaschinen immer öfter kaputt als in anderen. Nach Untersuchungen fanden die Techniker heraus, dass die Bauern dort ihre Kartoffeln drin wuschen“, sagt Lei Chen von ClearVue Partners. Statt die Maschine mit einem Warnaufkleber zu versehen, modifizierten die Techniker Pumpen und Filtersysteme und änderten dann den Aufkleber: „Für Kleidung und Kartoffeln geeignet.“ Chinesischer Pragmatismus.