Das Stromnetz ist auf Elektroautos nicht vorbereitet. Zwar ist die Zahl der Stromer noch begrenzt und der Energiebedarf für die Netze noch unproblematisch. Steigt die Zahl der batteriebetriebenen Autos aber, kann das zu Überlastungen führen.
Laut einer Analyse der Unternehmensberatung Oliver Wyman wird es bei einer E-Auto-Quote von 30 Prozent in Deutschland zu Engpässen bei der Stromversorgung kommen. Ab 2032 sei damit flächendeckend in Deutschland zu rechnen. Die wachsende Anzahl elektrisch angetriebener Autos würde damit die Stabilität der Stromversorgung bedrohen und die Netzbetreiber unter erheblichen Handlungsdruck setzen, heißt es in einer Mitteilung. Nach Berechnungen der Unternehmensberatung sind bis zu elf Milliarden Euro für den Netzausbau notwendig. Aber: Es gibt eine Alternative.
Eine Flexibilisierung der Ladevorgänge würde die Last von den Netzen nehmen. Die Ladevorgänge von E-Autos sind in der Regel kurz und müssen nicht unbedingt in dem Moment starten, in dem das Auto an die Steckdose angeschlossen wird. „Durch die Flexibilisierung wird die Netzauslastung über einen längeren Zeitraum verteilt, so dass es zu keiner Netzüberlastung kommt“, sagt Jörg Stäglich, Partner bei Oliver Wyman und Leiter des Energieteams. „Damit wird die Gefahr eines flächendeckenden Stromausfalls minimiert. Für die Umsetzung ist vor allem eine intelligente Softwarelösung notwendig.“
Mehrere Autos auf einmal laden – mit gleicher Anschlussleistung
An dieser arbeitet zurzeit smartlab. Gemeinsam mit dem Energie- und IT-Unternehmen Regio IT entwickelt der E-Mobility-Dienstleister ein zentrales Lastmanagement zur Steuerung von Ladesäulen. Mit einer Ladeeinrichtung sollen mehrere Autos gleichzeitig geladen werden – ohne dass die verfügbare Leistung erhöht werden muss. Das entlastet nicht nur die Netze. Betreiber von Flotten sparen Kosten, wenn sie die Anschlussleistung nicht erhöhen müssen. Neben Fuhrparks wird das auch für Parkhäuser und Mehrfamilienhäuser bei steigender Anzahl von E-Autos immer wichtiger.
Ob die Ladesäulen gleichzeitig oder nacheinander laden, darüber solle das System entscheiden, erklärt Moritz Dickehage, Projektingenieur bei smartlab. „Ergänzt wird dies noch um die Möglichkeit, den gewünschten Abfahrtzeitpunkt zu hinterlegen.“ Das Besondere bei dem vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Projekt ist, dass das System herstellerübergreifend einsetzbar sein soll. Der Betreiber von Ladeinfrastruktur ist damit nicht an einen Anbieter gebunden, sondern kann an einem Standort mehrere Fabrikate kombinieren. Das gibt es bisher kaum.
Noch in der Testphase
Lastmanagement ist bisher noch kein Standard. „Proprietäre Lösungen, die bereits auf dem Markt sind, verhindern die nötige Interoperabilität“, erklärt der technische Leiter Max Dern. Das von smartlab entwickelte System ermöglicht die backendseitige gezielte Steuerung von Ladevorgängen auf Basis des offenen Protokollstandard OCPP 1.6 und ist so flexibel einsetzbar und ausbaufähig. „Es ist bereits heute auf die wachsenden Ansprüche in der Zukunft ausgerichtet“, sagt Dern.
OCPP (Open Charge Point Protocol) ist ein universelles Anwendungsprotokoll, das die Kommunikation zwischen Ladestationen und einem zentralen Managementsystem standardisiert. Das ist vergleichbar mit dem Kommunikationsprotokoll von Mobilfunknetzen. Vorangetrieben wird es von der Open Charge Alliance, einer Industrie-Allianz aus öffentlichen und privaten Ladeinfrastrukturanbietern. Entstanden ist es auf Initiative der E-Laad-Stiftung in den Niederlanden, um eine herstellerunabhängige Kommunikation zu ermöglichen.
Reif für die Praxis ist das System von smartlab aber noch nicht. Die Testphase mit verschiedenen Anwendungsfällen und Steuerungsarten ist gerade erst angelaufen. Ende des Jahres soll die Entwicklung des Lastmanagementsystems abgeschlossen sein.
Flexibles Laden verhindert Engpässe
Nicht nur smartlab entwickelt ein intelligentes System. Beim Münchener Start-up ChargeX teilen sich mehrere E-Fahrzeuge die Leistung einer Säule, damit jeder Anschluss nur halb so viel wie ein Einzelanschluss kostet. Bei ChargeX hängen an einem Hauptanschluss mindestens vier Fahrzeuge, die nacheinander und nicht gleichzeitig geladen werden. Der Nutzer merkt davon nichts. Er stöpselt sein Fahrzeug wie gehabt ein. Die von ChargeX entwickelte Software entscheidet, welches Auto zuerst den Strom erhält.
Die Vorteile des flexiblen Ladens zeigt die Unternehmensberatung Oliver Wyman: Wenn 30 Prozent der E-Auto-Besitzer am flexiblen Laden teilnehmen, sinkt die kritische Spitzenlast am Ortsnetzknoten signifikant. Sind es die Hälfte, wird der Grenzwert der integrierbaren Elektromobilitätsquote ohne Netzausbau von 30 Prozent auf 50 Prozent gesteigert. In diesem Fall könnte jedes zweite Auto ein E-Auto sein, ohne dass es zu Engpässen kommt. Gelingt es den Netzbetreibern, mindestens 92,5 Prozent der Besitzer von E-Fahrzeugen für das flexible Laden zu gewinnen, wird ein Ausbau des Netzes überflüssig, selbst wenn die E-Auto-Quote 100 Prozent beträgt.