Die Energiewende lässt die Kreativität der Ingenieure förmlich aufblühen. Bei Energieversorger EWE arbeiten sie an einer Redox-Flow-Batterie in einer Salzkaverne. Im Ruhrgebiet wollen Wissenschaftler ein Bergwerk für ein Pumpspeicherkraftwerk nutzen und das Fraunhofer-Institut IWES baut riesige Betonkugeln. Sie sollen auf dem Meeresgrund liegen und Strom aus Offshore-Windenergieanlagen speichern.
Hört sich ein wenig wie eine Vision von Jules Verne an. Könnte aber Realität werden. Die ersten Tests waren erfolgreich. Und das Potenzial ist enorm. Weltweit sind mit dem Meeres-Pumpspeicherkraftwerk 817 Terrawattstunden installierbare Speicherkapazität möglich. Mehr als vermutlich jemals gebraucht wird. Aber es zeige, dass die Technik sinnvoll ist, erklärt IWES-Projektleiter Matthias Puchta. Auch der Ingenieur wurde von der Aufbruchsstimmung bei den Speicher-Techniken angesteckt. Für ihn eine spannende Zeit. „So eine Idee zu entwickeln und tatsächlich umzusetzen und nicht nur auf dem Papier zu konzipieren, das macht extrem viel Spaß“, erzählt er.
Das Prinzip funktioniert wie bei einem Pumpspeicherkraftwerk, bei dem zwei Seen auf verschiedenen Höhen miteinander verbunden werden. Wird Wind- und Solarstrom erzeugt, der gerade nicht benötigt wird, werden damit Pumpen angetrieben, die das Wasser in den oberen See befördern. Bei Strombedarf lässt man das Wasser den Berg hinabschießen. Mit der Kraft des Wassers werden Turbinen angetrieben, die wiederum Strom erzeugen.
Beim Meeres-Pumpspeicherkraftwerk wird das Meer als oberes Speicherreservoir genutzt. Das untere Speicherbecken ist die Betonkugel auf dem Meeresgrund, in der eine Pumpturbine integriert ist. Wird ein Ventil geöffnet, strömt Wasser in die Kugel und treibt die Turbine an, um Strom zu erzeugen, der über eine Kabelverbindung zur Transformatorstation zum Festland transportiert wird. Soll überschüssige Energie gespeichert werden, wird über eine Elektropumpe Wasser aus der hohlen Kugel ins Meer herausgepumpt. „Stensea“ heißt das Projekt. Kurz für „Stored Energy in the Sea“. Das Projekt ist mittlerweile mit dem „German Renewables Award 2017“ des Clusters Erneuerbare Energien Hamburg ausgezeichnet wurde.
Test im Bodensee erfolgreich
Im Bodensee wurde eine kleine Kugel mit einem Durchmesser von drei Meter und einem Gewicht von 20 Tonnen getestet. Mit Erfolg. Sie zeigt, dass das Prinzip funktioniert. Jetzt kommt die nächste Herausforderung: Damit der Speicher wirtschaftlich ist, sind andere Dimensionen gefordert. Nach Berechnungen der Wissenschaftler ist eine Meerestiefe von etwa 800 Meter ideal. Die Kugel benötigt einen Durchmesser von 30 Meter mit einer Wandstärke von drei Meter. Damit würde eine Leistung von fünf Megawatt (MW) und einer Kapazität von 20 Megawattstunden (MWh) erreicht. Der Wirkungsgrad von 75 bis 80 Prozent ist vergleichbar mit einem konventionellen Pumpspeicher.
Zum Vergleich: Der größte deutsche Pumpspeicher Goldisthal in Thüringen fasst 8,5 Gigawattstunden, es bräuchte also rund 400 Betonkugeln, um die gleiche Kapazität zu erreichen. Aber in Goldisthal wurden ein kompletter Berg abgetragen, zwei Quadratkilometer Wald gerodet und Millionen Kubikmeter Wasser aufgestaut. Umweltschützer liefen damals Sturm – das dürfte bei den unscheinbaren Betonkugeln nicht passieren.
Die wiegen auch schon 20.000 Tonnen das Stück. Aus Sicht von Puchta ist das die heutige techno-ökonomische Grenze. „Ist die Kugel noch größer und schwerer, gibt es mit der Logistik zu große Herausforderungen und es wäre nicht mehr wirtschaftlich.“ Kosteneffiziente konventionelle Pumpturbinen und normaler Beton können zudem jenseits der 800-Meter-Grenze nicht mehr eingesetzt werden.
Gebaut werden kann die Kugel zum Beispiel in einem Trockendock, das nach Fertigstellung mit Wasser geflutet wird. An der Kugel werden Lift Bags wie überdimensionale Luftballons befestigt, damit die Kugel Auftrieb hat und sie im Wasser zum Einsatzort gezogen werden kann. Vor Ort wird die Luft abgelassen und über eine Seilwinde sinkt die Kugel auf den Meeresgrund. Etwa 50-70 Jahre kann sie dort liegen und Strom speichern.
Billigst-Strompreise möglich
Wie realistisch die von den IWES-Wissenschaftlern ermittelten Kosten von etwa zwei Cent je Kilowattstunde sind, hängt von den Rahmenbedingungen jedes Landes und der Speicheranwendung ab. „Bisher werden Speicher als flexibles Element im Energiesystem nicht immer ausreichend honoriert. Aufgrund der Transformation der Energiesysteme ist es aber nur eine Frage der Zeit, wann wir entsprechende Mechanismen haben, mit denen eine verbesserte Wirtschaftlichkeit von Speichern erreicht wird“, sagt Puchta. Das Interesse an dem Unterwasserspeicher ist auf jeden Fall groß. Anfragen aus der Industrie, der Wirtschaft und Hochschulen kamen aus Japan, den USA und zahlreichen europäischen Ländern.
Bis die Kugeln tatsächlich in großen Mengen auf dem Meeresgrund Strom speichern, wird noch viel Zeit vergehen. Allein für den Start des nächste Tests im Meer, werden noch mindestens drei Jahre vergehen. Es muss nicht nur eine Förderung beantragt, sondern auch die Technik der kleinen Kugel für eine 1000-Tonnen-Kugel angepasst werden. „Die Technik hochzuskalieren ist nicht einfach, das braucht viel Ingenieursleistung“, erklärt der Projektleiter. Er geht dabei lieber auf Nummer sicher. Puchta: „Man ist nicht gut beraten, dabei zu große Schritte zu machen. Dann ist das Risiko zu groß.“