Knapp drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall sollte die „Schwalbe“ zu einem neuen Höhenflug ansetzen – doch der ist vorerst ausgeblieben. Das Münchner Start-up Govecs wollte am vergangenen Dienstag mit einer elektrischen Neuauflage des ehedem in Millionenstückzahl produzierten DDR-Kleinkraftrads an die Börse gehen. Doch die Nachfrage hielt sich ganz offensichtlich in Grenzen. Der Börsengang wurde wegen des „schwierigen Marktumfelds“ auf unbestimmte Zeit verschoben.
Flügel verleihen sollen dem E-Moped im sozialistischen Retro-Design zwei synchrone Trends: Fachleute prophezeien dem Fahrzeug-Sharing aller Arten hohe Wachstumsraten – ob zwei- oder vierrädrig. Die BMW-Tochter DriveNow etwa geht davon aus, dass in zehn Jahren etwa ein Drittel aller Autofahrten in Deutschland mit Carsharing-Wagen zurückgelegt werden wird. Und abgesehen vom Sharing-Trend erfreuen sich Elektroroller generell steigender Beliebtheit.
„Der Zweiradmarkt wächst“, sagt Govecs-Chef Thomas Grübel. „Der Trend hat ganz klar mit der Urbanisierung zu tun.“ Bei Benzinrollern gebe es in der EU ein jährliches Wachstum der Zulassungszahlen von sieben Prozent. „Bei Elektrorollern sind es mehr als 70 Prozent, wenn auch von einer wesentlich niedrigeren Basis aus.“
Doch der Wettbewerb ist hart – und die Konkurrenz sehr viel umsatzstärker: Ein ehrgeiziger Konkurrent der Schwalbe ist der Büffel, so die deutsche Übersetzung des chinesischen Wortes „Niu“. Der gleichnamige Elektroroller-Hersteller aus der Volksrepublik ist seit kurzem im US-Index Nasdaq gelistet und hat nach eigenen Angaben auf seinem Heimatmarkt bereits mehr als 300.000 Exemplare verkauft, nun will Niu Europa erobern. Der für das internationale Geschäft zuständige Manager Joseph Constanty kündigte im Sommer an, bis Jahresende mehr als acht europäische Sharing-Anbieter beliefern zu wollen.
Branchengrößen drücken in den Markt
Wie andere chinesische Unternehmen auch hat Niu den Vorteil eines riesigen Heimatmarkts, der entsprechende Verkaufszahlen und Finanzkraft mit sich bringt. Und mittlerweile ist auch Europas größter Zweiradhersteller in das E-Geschäft eingestiegen: Die italienische Piaggio-Gruppe startete im September die Produktion der Vespa Elettrica, online kann der E-Roller aus der Stadt Pisa bereits vorbestellt werden. Dem Verkaufsstart in Europa sollen 2019 die USA folgen.
Neben den großen Konkurrenten tummelt sich noch eine ganze Reihe von Jungunternehmen auf dem Markt für E-Roller. Darunter ist die Berliner Firma Unu, die in China produzieren lässt.
Auch wenn der Markt noch sehr klein ist, scheint Schnelligkeit also geboten. Dementsprechend will Govecs-Chef Grübel die Produktion erhöhen: „Wir haben im vergangenen Jahr circa 3000 Fahrzeuge verkauft, in diesem Jahr erwarten wir circa 4200 und im kommenden Jahr rechnen wir mit circa 9000“, sagt der Manager.
Produziert wird die E-Schwalbe nicht in Deutschland, sondern in Polen und in Kooperation mit einem spanischen Hersteller, der Motor stammt von Bosch. Höchstgeschwindigkeit sind 45 Kilometer pro Stunde, mit einer Akkuladung kommt die Schwalbe laut Govecs 63 Kilometer weit. Der Börsengang sollte das Geld für eine neue Fabrik in Polen bringen. Abnehmer sind bislang vor allem Sharing-Firmen, die in großen Städten Mietroller anbieten. Bisher sei Govecs hauptsächlich ein B2B-Unternehmen, verkaufe also vornehmlich an andere Firmen. „Aber der Anteil der Privatkunden steigt“, sagt Grübel.
Die Zulassungszahlen elektrischer Zweiräder in Europa zeigen jedenfalls einen rasanten Aufwärtstrend. Nach den Daten des europäischen Motorradherstellerverbands ACEM wurden in der EU im ersten Halbjahr 14.150 Elektromopeds neu angemeldet. Der prozentuale Zuwachs war in allen großen EU-Ländern zweistellig. Doch im Vergleich zu China ist Europa ein Winzlingsmarkt für elektrische Roller. Dort wird jedes Jahr eine zweistellige Millionenzahl verkauft, die meisten davon allerdings billige Einsteigermodelle mit schwächlichem Motor. Abgeblasen hat Govecs die Börsenpläne nach eigenen Angaben nicht, nur verschoben: „Wir werden weiter den Markt beobachten“, sagt ein Sprecher.