Nissan hat den siebensitzigen NV200 Evalia. Renault den kleinen Kangoo Z.E. und den elektrischen Master für den Handwerker. Und Volkswagen bietet seit vergangenem Jahr den Crafter für innerstädtische Paketlieferungen auch in einer elektrischen Variante an. Aber um die klassische Großraumlimousine haben die Elektriker unter den Autoentwicklern bislang einen Bogen gemacht. Zu sehr waren sie bis dato auf bezahlbare Kleinwagen oder auf prestigeträchtige Tesla-Fighter fixiert, als dass sie einen Sinn für kleine Firmen oder große Familien gehabt hätten.
Aber das ändert sich jetzt bald. Während VW mit Hochspannung auf den ID Buzz hinarbeitet und bis dahin als Übergangslösung gemeinsam mit ABT schon mal den T6 sowie den Caddy auf einen elektrischen Antrieb umrüsten lässt, bereitet Mercedes in Eigenregie einen elektrischen Raumfahrer vor: Zum Ende des Jahres kommt die V-Klasse als EQ-Modell und fährt dann neben dem SUV namens EQC als zweiter Mercedes mit Strom statt Sprit.
Einen ersten Vorgeschmack darauf haben die Schwaben in Genf mit der Studie EQ V gegeben. Und weil sich daran bis zum Serienstart nur noch wenig an Lack und Leder ändern wird, bitten die Stuttgarter schon jetzt zur Probefahrt mit dem Space Shuttle für Captain Future.
Endlich Ruhe beim Reisen
Dabei erlebt der Fahrer die V-Klasse als leisen Riesen, der wie gemacht scheint für den Elektroantrieb. Denn wo einen auch nach dem Facelift der zwar deutlich erstarkte, aber noch immer ein bisschen kratzige Diesel bei jedem Kickdown aus dem von Lack und Leder genährten Luxustraum reißt, weil er lauter knurrt als es zum Ambiente auf S-Klasse-Niveau passt, herrscht hier endlich Ruhe beim Reisen. Flüsterleise und mit sanften aber nachhaltigen Kraft schiebt der 150 kW-Motor den Koloss voran und macht das Anfahren dabei so sanft wie im ICE.
Während der Fahrer deshalb in seiner Gefühlswelt vom Trucker zum Lokführer mutiert, schnurrt die V-Klasse in kaum zehn Sekunden auf Tempo 100 und danach – wenn’s unbedingt sein muss – bis auf 160 Kilometer pro Stunde. Allerdings lässt der Elan mit zunehmendem Tempo spürbar nach, und die Reichweite (Mercedes spricht von 400 Kilometern) wird dann natürlich ebenfalls rapide schwinden. Den Aktionsradius einer dieselgetriebenen V-Klasse von rund 800 Kilometern wird der Stromer aber ebenso wenig erreichen wie dessen Basispreis, der bei rund 50.000 Euro liegt. Der Preis des EQ V wird wohl eher bei 80.000 Euro liegen.
Ansonsten aber ist die V-Klasse als EQ V mindestens genauso universell einsetzbar wie das dieselgetriebene Schwestermodell, vielleicht sogar noch besser. Denn in der Stadt beschleunigt der E-Motor besser und fährt sanfter. Auf der Landstraße drückt das dicke Akkupack den Schwerpunkt und verbessert so das Fahrgefühl in Kurven. Und auf der Autobahn geht es deutlich ruhiger zu an Bord.
Ziemlich sicher werden die 400 Kilometer Norm-Reichweite wenn überhaupt nur unter größter Mühe und unter Idealbedingungen erreichbar sein. Aber der Fahrer kann sich mit 100 Kilowattstunden (kWh) Akkuleistung zumindest sicher auf die Mittelstrecke trauen und dem überfüllten ICE zwischen Hamburg und Hannover oder zwischen Frankfurt und Köln die kalte Schulter zeigen. Verbrauchsdaten hat Mercedes noch keine veröffentlicht, wir rechnen mit einem Strombedarf von rund 30 kWh, so dass die Akkukapazität im Alltagsverkehr für etwa 300 Kilometer gut sein sollte.
Ersatz für den Sechszylinder
Zwar ist das Fahrgefühl in der elektrischen V-Klasse ganz anders. Aber am Raumgefühl ändert sich nichts und auch nicht an der Variabilität. Weil die Batteriepacks im Wagenboden stecken, bleibt der gesamte Platz für Passagiere und Gepäck erhalten, und die Insassen können nach wie vor im Fond beliebig Stühle rücken. Einzelsitze, Dreierbänke mit oder gegen die Fahrtrichtung oder einfach nur ein großer Kasten für ein paar Dutzend Koffer. Alles kann, nichts muss.
Nur eines muss der potenzielle Käufer dabei immer im Sinn haben: Weil die Akkus gut und gerne sechs Zentner wiegen, ist es mit der Zuladung für die V-Klasse (675 bis 975 Kilo im konventionell angetriebenen Modell) sicher nicht mehr ganz so weit her.
Der EQ V hat letztlich einen Antrieb, der besser zur V-Klasse passt als die Vierzylinder-Diesel, und wird so zum perfekten Ersatz für den Sechszylinder-Benziner, den es nicht mehr geben wird. Darüber hinaus ist er auch sonst das modernere Auto. Denn während sich Diesel-Fahrer auch nach dem Facelift noch mit dem alten Infotainment herum plagen müssen, gibt es für den EQ V schon einen großen Touchscreen sowie Sprachsteuerung.
Das ist nicht nur ein Tribut an die neue Zeit, sondern soll vor allem das Lademanagement erleichtern. Wer nicht gerade an einem 100kW-Schnelllader parkt, kann deshalb die Akkus auch über eine App überwachen und das Auto zum Beispiel im Stand klimatisieren.
Zweiter Wendepunkt
Mit dem EQ C für den ebenso wohlsituierten wie umweltbewegten Großstadtcowboy sowie mit dem EQ V für Gruppenreisen mit gutem Gewissen hat Mercedes schon mal zwei Wegpunkte auf der Electric Avenue markiert und stellt dem klimafreundlichen SUVs ein Spaceshuttle für Familien, Firmen, Fahrdienste und Hoteliers zur Seite, das für Städtereisen genauso taugt wie für die Mittelstrecke.
Aber dabei wird es nicht bleiben. Im nächsten Jahr kommt deshalb die elektrische A-Klasse namens EQ A und im Jahr darauf mit dem EQ B auf Basis des gerade erst enthüllten GLB noch ein weiterer Raumkreuzer: Als erster Siebensitzer in der Kompaktklasse soll der das trendige Styling eines SUV mit dem Platz einer Großraumlimousine verbinden. Wir sind gespannt auf diesen Zwitter.