Fast exakt drei Jahre, nachdem der Vorstandsvorsitzende von Daimler Truck, Martin Daum, den Mercedes-Benz GenH2 Concept Truck in Berlin erstmals der Öffentlichkeit vorstellte und hohe Investitionen in die Wasserstofftechnologie ankündete, kehrte die Mannschaft kürzlich mit einem Wasserstoff Lkw in die Hauptstadt zurück – mitten hinein in die Ministergärten. Mit einer einzigen Tankfüllung (80 Kilogramm flüssiger Wasserstoff) – bei versiegeltem Tankdeckel und überwacht vom TÜV – legte der auf genau 40 Tonnen beladene Lkw vom Standort Wörth über Hannover bis Berlin 1.047 Kilometer zurück.

Am Steuer des 40-Tonners saß auf den letzten Kilometern Technologievorstand Andreas Gorbach. Nach der Zielankunft sprachen wir mit ihm über die Zukunft von Wasserstoffmobilität im Straßengüterverkehr und die Multi-Energiestrategie bei Daimler Truck.

„So funktioniert es“
Andreas Gorbach, Technologievorstand von Daimler Truck, steuerte den GenH2 Truck auf der letzten Etappe der Rekordfahrt über 1000 Kilometer von Wörth nach Berlin. Foto: Daimler Truck

Herr Gorbach, die Zugmaschine GenH2 ist noch ein Prototyp. Wie sieht der nächste Entwicklungsschritt aus?

Derzeit befinden wir uns noch in der Vorentwicklungsphase. Als nächstes machen wir eine Kundenerprobung, um zu sehen, wie unser GenH2 ankommt. In dieser Zeit machen wir auch Leuchtturmprojekte, bei denen wir dann nicht nur unseren Wasserstofftruck zur Verfügung stellen, sondern wo zudem eine Wasserstofftankstelle beim Kunden installiert wird. Damit auch der Betrieb beim Kunden funktioniert und diese dann sagen können: ‘So funktioniert es. Das kann ich kopieren.’ Auf der Basis würden wir dann die Serienproduktion starten.

Die Technologie ist also durchaus schon serienreif?

Das steht außer Frage. Es kommt auf die Umsetzung und auf den richtigen Zeitpunkt an. Das gilt genauso für Cellcentric, unser Joint Venture mit Volvo: Da kann man den Startknopf für die Serienproduktion drücken. Wir gehen jetzt von Mitte der zweiten Hälfte der Dekade aus. Der Flaschenhals in der Dekarbonisierungsgeschwindigkeit wird nicht mehr das Produkt sein, sondern Infrastruktur und Verfügbarkeit von Energie, grüner Energie. Sprich: Die Geschwindigkeit der Dekarbonisierung wird nicht an uns liegen.

Bleiben Sie bei Ihrer Zwei-Säulen-Strategie und dem Angebot von Fahrzeugen mit batterieelektrischen und Brennstoffzellen-Trucks?

Ich sehe keinen anderen Weg. Ich sehe nicht, wie es nur mit Wasserstoff funktioniert und ich sehe nicht, wie es nur mit Batterie funktioniert. Zumindest nicht in der Geschwindigkeit, die sich die Föderation der Staaten im Pariser Vertrag auf die Fahnen geschrieben hat.

Ich sehe nicht, wie es nur mit Wasserstoff funktioniert und ich sehe nicht, wie es nur mit Batterie funktioniert.

Und wie bekommen wir ausreichend grünen Wasserstoff für den Betrieb der Lkws mit Brennstoffzelle?

Ich glaube, wir werden ganz unterschiedliche Quellen für Wasserstoff sehen. Das ist auch eine Chance gerade für Deutschland, bei Energieimporten noch mehr zu diversifizieren. Denn es wird auf die Importe ankommen. Ja, wir werden viel grüne Energie selbst produzieren, auch grünen Wasserstoff. Teilweise geht das auch gar nicht anders, um Strom zu speichern. Doch einen Großteil werden wir importieren müssen. Dabei werden wir verschiedenste Quellen sehen: per Schiff aus den Emiraten, Afrika oder Australien, per Pipelines aus dem Süden oder per Pipelines über grüne Hydropower aus dem Norden. Und es muss alles grün sein.

Versorgungsengpässe sehen Sie also nicht?

Es ist kein Problem, dies technologisch zu schaffen. Alle Beteiligten haben das Knowhow und das Kapital, diese Transformation zu stemmen. Dennoch werden wir auf unabsehbare Zeit den Transport von Gütern verteuern. Wir müssen das ökonomische Optimum für den Kunden künstlich verschieben, indem wir unsere Produkte – und Wasserstoff und Strom – günstiger machen. Aber auch, indem wir die Kosten für CO2 auf den Diesel draufpacken. Die Deutschen und die Europäer machen das mit der Maut. Das ist ein guter Ansatz, aber es verteuert die Transportkosten. Es müssen daher alle Beteiligten an einem Strang ziehen – bis hin zum Wähler. Allen muss klar sein: Die Dekarbonisierung hat ein Preisschild. Und alle müssen bereit sein, dieses Preisschild zu zahlen und dazu beitragen. Das wiederum macht die Föderation fragil. Und es müssen alle mitmachen. Daimler Truck leistet Anschubhilfe als Katalysator für die neuen Antriebsformen.

Wer sind Ihre Partner beim Aufbau der Wasserstoff-Infrastruktur?

Wir haben viele Partnerschaften und da sind noch viele weitere möglich. Wir haben eine Partnerschaft mit Linde zur erweiterten Entwicklung von Technologien für die Betankung und mit einigen Playern, deren heutiger Schwerpunkt bei Gas und Öl liegt. Da schaffen wir Leuchttürme nach dem Motto: Wir stellen die Trucks, ihr liefert die Tankstationen. Wir haben eine Zusammenarbeit mit Total, BP oder Shell – in unterschiedlicher Dimension und Geschwindigkeit. In den USA sind wir sogar so weit gegangen, dass wir ein Joint Venture mit Next Era Energy und Blackrock gegründet haben. Da entstehen nicht nur Ladestationen für Batterietrucks, sondern werden auch Wasserstofftankstellen gebaut. Da wirken wir selbst als Katalysator, um das Henne-Ei Problem loszuwerden. In Europa machen wir das bisher mit Milence in Partnerschaft mit Traton und Volvo für Ladestationen.

"Wir hatten noch eine Restreichweite von ungefähr 50 Kilometern" 
Quer durch Deutschland führte den H2-Truck die Rekordfahrt von Wörth nach Berlin mit einer Ladung seiner zwei Wasserstoff-Tanks.
„Wir hatten noch eine Restreichweite von ungefähr 50 Kilometern“
Quer durch Deutschland führte den H2-Truck die Rekordfahrt von Wörth nach Berlin mit einer Ladung seiner zwei Wasserstoff-Tanks.

Sie haben mit dem Prototypen eine Strecke von über 1000 Kilometern mit nur einer Tankladung bewältigt. Sind solche Reichweite auch im Alltagsbetrieb darstellbar?

Die Ministergärten haben wir nicht auf dem letzten Tropfen erreicht. Wir hatten noch eine Restreichweite von ungefähr 50 Kilometern. Also insgesamt rund 1100 Kilometer Reichweite.

Wo wird die Serienproduktion des GenH2-Truck stattfinden?

Dort, wo wir auch heute unsere Lkw produzieren. Für Mercedes-Benz und Europa heißt das Wörth am Rhein oder Aksaray in der Türkei.

Auch andere Lkw-Hersteller bauen Lastwagen mit Brennstoffzellentechnologie. Am bekanntesten ist der Xcient Fuel Cell  von Hyundai. Was unterschiedet den von Ihrem Fahrzeug?

25 Jahre Erfahrung und Pionierarbeit im Bereich Brennstoffzelle. Das hilft ungemein, auch wenn die Erfahrungen mit Pkw gesammelt wurden. Weil es um Erfahrungen geht, wie die Technologie funktioniert. Jetzt können wir anwenderspezifisch eine Truck-Brennstoffzelle entwickeln. Das ist die Besonderheit: langjährige Erfahrung, jetzt die Industrialisierung mit Fokus nur auf den Lkw – ohne Kompromisse. Denn der Lkw hat ganz andere Anforderungen als der Pkw.

Wie sieht es mit der Unterstützung durch Land, Bund und EU aus?

Ich beobachte, dass alle verstanden haben, dass die Dekarbonisierung der Mobilität ohne Wasserstoff nicht mit der notwendigen Geschwindigkeit funktioniert. Ich beobachte aber auch, dass wir in Europa noch viel zu langsam reagieren und bei viel zu bürokratisch unterwegs sind. Notwendige Genehmigungen dauern viel zu lange. Das macht mir Sorge. Andere zeigen, wie es schneller geht. Die USA haben hier die Chance, mit Europa gleichzuziehen und Europa gar zu überholen, wenn es um Wasserstoff geht. Andere Länder aber auch. Deshalb ist es wichtig, dieses gemeinsame Verständnis, dass es nur mit Wasserstoff geht, zu übersetzen in eine Entbürokratisierung durch entsprechende Förderungen.

„E-Fuels wären die eleganteste Lösung zur Dekarbonisierung. Aber ich sehe nicht, wie sie auf der Kostenseite wettbewerbsfähig sein können.“

Wo sehen Sie die Schwerpunkte bei Daimler Truck im Bereich Forschung und Entwicklung in den nächsten fünf bis zehn Jahren?

Ein Schwerpunkt sind mit Sicherheit neue Antriebsstrangtechnologien. Wir haben über Batterie und Wasserstoff gesprochen – das wird ein Schwerpunkt für die nächsten fünf oder zehn Jahre bleiben. Wir sind da ja gerade erst am Anfang, und es gibt noch viel Optimierungspotential. So wie es dies in 125 Jahren Dieselantrieb auch gegeben hat. Ein zweiter Schwerpunkt wird sicherlich die Digitalisierung sein. Stichwort ‘Software defined vehicle’, Stichwort ‘Truck as a programable device’. Diese zwei Themen, emissionsfreier Antrieb und Digitalisierung, stehen für diese Zeiträume im Mittelpunkt.

Die Formel 1 startet im Jahr 2026 mit E-Fuels. Wie sehen Sie die Chancen der synthetischen Kraftstoffe? Machen sie dem Diesel Konkurrenz?

Ich würde mir wünschen, sie würden dem Diesel Konkurrenz machen. Denn das würde bedeuten, dass E-Fuels zu sehr günstigen Preisen an den Markt kommen. Das wäre für alle Beteiligten eine Chance. Unsere Lkw, die heute Diesel fahren, können Sie morgen mit E-Fuels betanken. Das gilt für Neufahrzeuge wie auch für die Bestandsflotte – in Europa und weltweit. Insofern würde ich mir diesen Wettbewerb wünschen – ich sehe ihn aber nicht, Stand heute. Ich sehe nicht, wie die E-Fuels auf der Kostenseite wettbewerbsfähig sein können. Damit werden sie voraussichtlich in Segmente gehen wie die Luftfahrt, die auf diesen Treibstoff zwingend angewiesen sind. Aber ich würde mir wünschen, dass eine technologische Revolution zugunsten der E-Fuels passieren könnte. Denn es wäre die eleganteste Lösung zur Dekarbonisierung. Wasserstoff ist ja auch ein E-Fuel – es ist der erste Schritt der Umwandlung. Der Weg der Umwandlung bis zu den E-Fuels ist ungleich länger. Darum wird der Wasserstoff höchstwahrscheinlich immer günstiger bleiben, da er in der Kette der Umwandlungen früher abgezogen wird.

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