Die Hannovermesse 2020? Wegen Corona erst einmal abgesagt. Die Intersolar? Ins kommende Jahr verschoben. Die Photokina? Findet erst wieder im Jahr 2022 statt. Im Ausland sieht es nicht besser aus: Reihenweise mussten auch hier in den vergangenen Wochen Messen und Ausstellungen abgesagt werden, um die weitere Verbreitung der Infektionskrankheit COVID-19 zumindest zu bremsen. Der Verband der Deutschen Messewirtschaft (AUMA) schätzt aufgrund einer Hochrechnung vom 18. März den dadurch entstandenen Schaden allein in Deutschland auf rund 5,6 Milliarden Euro allein für die Organisatoren der Fach- und Publikumsmessen. Nicht darin enthalten sind die Schäden für die Unternehmen, die auf den Ausstellungen neue Kunden und Aufträge gewinnen wollten.

Eine gewisse Kompensation erhoffen sich die Messegesellschaften und Unternehmen nun durch eine Verlagerung ihre Geschäfte ins Internet. Unter dem Motto „We go Digital“ organisiert die Hannovermesse zusammen mit dem Fernsehsender Phoenix für die Zeit vom 20. bis zum 22. April eine virtuelle Konferenz, auf der sich Besucher über Innovationen aus der Industrie, über neue Technologien und Trends etwa auf dem Gebiet der Elektromobilität und Cyberscurity, im Maschienbau oder bei der Stromversorgung. Live-Chats sollen hier die persönlichen Begegnungen zumindest ein wenig ersetzen.

Und Volkswagen hat seinen geplanten Auftritt auf dem Genfer Automobilsalon für einen nachträglichen Messebesuch digital aufbereitet. Beim Bummel über den virtuellen Messestand geht es nicht nur ähnlich laut zu wie in der Realität. Die Besucher können auch die ausgestellten Fahrzeuge öffnen und nach ihren Wünschen gestalten. Die Entwicklung und Realisierung eines solchen 360-Grad-Erlebnisses werden sich allerdings nur Großkonzerne leisten können.

Virtueller Messestand
Wie in einem Computerspiel können die registrierten Besucher an Kontaktpunkten Exponate „anfassen“, Videos oder Powerpoint-Präsentationen abrufen und mit einem Mitarbeiter des Ausstellern chatten um spezielle Informationen zu erhalten. Computer-Rendering: Enra

Erste Kunden nutzen bereits die virtuellen Stände

Eine ähnlich innovative, aber deutlich preiswertere Lösung hat ein junges Startup Enra aus Herzebrock-Clarholz für mittelständische Unternehmen entwickelt. Enra führt die analoge mit der digitalen Welt zusammen, indem es Menschen und Produkte auf einem virtuellen und obendrein dreidimensionalen Messestand zusammenführt. „Wenn der Kunde nicht zur Messe kommt, muss die Messe eben zum Kunden kommen“ sagt Arne Farwick, der 24-jährige Mitgründer und Geschäftsführer von Enra.

Entwickelt hat der Wirtschaftsingenieur das Konzept zusammen mit den Zwillingsschwestern Lara und Lena, 23. Die zündende Idee hatte das junge Team, das sich auf die Entwicklung digitaler Messeassistenten etwa zur Erfassung von Kundenkontakten spezialisiert hat, nach der Absage der Messe „Fensterbau Frontale“ in Nürnberg. Dort hatte ihr Kunde BaSys Bartels Systembeschläge GmbH einen Messestand geplant.

„Wir haben viel Geld und Zeit in die Vorbereitung der Messe investiert, ohne vor Ort nun die Besucher betreuen zu können. Enra hat uns mit seiner Lösung eine attraktive Alternative angeboten, mit der wir virtuell unseren Messestand und unsere Produktneuheiten mit einem geringen Aufwand präsentieren können“ sagt Jürgen Bartels, der Geschäftsführer der BaSys Bartels Systembeschläge GmbH und Erstanwender der Lösung.

Farwick-Trio
Lara Farwick, Arne Farwick und Lena Farwick (v.l.)

Überschaubare Kosten

Innerhalb von zwei Tagen entwickelte das Enra-Team mit Hilfe der Daten, mit denen der Messebauer den Stand am Computer entwickelt hatte, einen virtuellen Messeauftritt auf dem PC-Bildschirm und für das Tablet. Per Post oder E-Mail bekommen die registrierten Messebesucher und Kunden zunächst einen vierseitigen Prospekt zugeschickt, mit Messestandimpressionen, Produktfotos und Detailinformationen zu Neuheiten. Über einen QR-Code werden die Empfänger dann auf direkt auf den virtuellen Messestand geleitet, wo sie sich Exponate in 3D ansehen, von Experten im Chat über die Qualitäten der Produkte informieren lassen oder auch Präsentationen ansehen können. „Ob Audio-Infos, Videos, Live-Chats oder Telefon-Schalte – alles ist denkbar und schnell machbar“, wirbt Farwick. Und das zu überschaubaren Kosten – inklusive der Druckkosten für den Prospekt sowie den Versand sind Lösungen schon für einen kleinen vierstelligen Betrag machbar.

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Was zunächst nur als Notlösung gedacht war, könnte nach Ansicht der Enra-Gründer auch nach Abklingen der Corona-Krise eine gute „digitale Erweiterung“ bei der Vermarktung von Produkten und Unternehmen sein: „Vertriebler könnten damit auch im Außendienst Produkte erlebbar machen“, findet Geschäftsführer Farwick. Und das nicht nur bei Reisen durch ihr Vertriebsgebiet, sondern „grenzenlos“.

Theoretisch wäre es natürlich auch möglich, mehrere virtuelle Präsentationen dieser Art zu einer Großmesse zu verknüpfen: „Messe-Besucher“ würden dann von einer Plattform zur anderen hüpfen, sich dort informieren und mit den Experten austauschen. Der persönliche Kontakt auf einem Messestand, bei einem Kaffee oder einem Kaltgetränk, räumt der Ostwestfale ein, sei dadurch aber nicht vollständig zu ersetzen.

Für die Messebauer und großen Messegesellschaften gibt es also noch Hoffnung.

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