Der Schock saß tief, denn auf der Auto China in Shanghai im April vergangenen Jahres hatten die zahllosen chinesischen Marken den europäischen Herstellern schmerzhaft ihre Grenzen aufgezeigt. Drei Jahre Corona-Abstinenz hatten BYD, Geely, Nio, Saic oder Geely wahre Flügel verliehen. Wie sieht es in diesem Jahr auf der Peking-Show aus?
Diesmal, für die Auto China 2024 in Peking, waren gerade die deutschen Marken deutlich besser vorbereitet – so etwas wie 2023 sollte nicht noch einmal passieren. Und doch war die Anspannung bei vielen Verantwortlichen von Volkswagen, BMW, Audi oder Mercedes deutlich zu spüren: Zu hoch ist die Schlagzahl der chinesischen Hersteller auf ihrem Heimatmarkt – und zu wichtig der seit langem größte Autohandelsplatz der Welt für Absatz und Ertrag von Volkswagen und Audi, BMW und Mercedes-Benz.
Heimische Anbieter punkten mit Design und Preis
„Die Produktpalette von Audi ist stark“, gab sich Audi-CEO Gernot Döllner zuversichtlich. „Wir haben einen klaren Plan für die Lokalisierung und Regionalisierung unserer Modelle und haben mit unseren Partnern FAW und SAIC alle Voraussetzungen, um ein starker Player auf dem chinesischen Markt zu bleiben.“ Doch wirklich verändert haben sich im zurückliegenden Jahr weder die Rahmenbedingungen noch die Situation für die europäische Hersteller. Im Gegenteil: Ihre Marktanteile schrumpfen stetig.
Denn die Produkte der heimischen Hersteller werden immer besser und begegnen den Importeuren aus dem Westen inzwischen optisch wie qualitativ auf Augenhöhe. Zudem können sie preislich deutlich günstiger angeboten werden. Für das eine sorgen viele Ingenieure und Designer aus Europa, die inzwischen in den Diensten der Chinesen stehen. Für den anderen Vorteil sorgen große Produktivitätsfortschritte sowie niedrige Energie- und Personalkosten: Ein Arbeiter in einer Automobilfabrik in China verdient mit 12-Stunden-Schichten an sechs Tagen in der Woche bestenfalls 8000 Yuan im Monat – umgerechnet etwas mehr als 1000 Euro.
Paukenschlag nur bei VW
Umso wichtiger sind neue Impulse durch frische Produkte. So präsentierte Audi in China erstmals seinen Q6 e-tron in einer Langversion, Mercedes zog das Tuch von seiner elektrischen G-Klasse. Und BMW einen dezent aufgefrischten i4 und gab mit der Neuen Klasse einen Ausblick auf die komplett neue Fahrzeugarchitektur. Doch wirkliche Reißer als echte Neuheiten suchen die meisten Besucher bei den europäischen Marken auf der wichtigsten Automesse des Jahres vergeblich.
Lamborghini präsentiert seinen hybriden Urus SE mit mehr Leistung und elektrischer Reichweite, Mini enthüllt mit dem Aceman seinen elektrischen Einstiegs-Crossover und Porsche wusste mit dem Elektro-Macan für Aufmerksamkeit zu sorgen. Einen Paukenschlag landete immerhin Volkswagen mit dem ID.Code-Konzept – einem stylishen, 4,90 Meter langen Crossover aus SUV und Van. Das Fahrzeug soll den Chinesen wieder Appetit machen auf Autos deutscher Machart – ID.3 und ID.7 konnten das bislang nicht.
Renaissance der Großraumlimousine
Deutlich dichter umdrängt waren da auf der Auto China die Stände der heimischen Anbieter, von BYD, Geely, Zeekr, Great Wall Motor, Avatr , MG, Baic und Xiaomi. Zu sehen gab es jede Menge neue SUVs, deutlich größer dimensioniert als in Europa und mit Chromornat und allerlei digitalen Spielereien im Innenraum mächtig aufgeladen. In Peking deutete sich zudem eine Renaissance der Großraumlimousine an. Nach dem Vorbild des Lexus LM oder Volvo EM90 haben auch XPeng und Zeekr neue Fahrzeuge dieser Gattung mit hoher Aufenthaltsqualität für bis zu sieben Personen aufgelegt. Mit Elektroantrieb, viele aber auch als wiederaufladbare Teilzeitstromer.
Vor allem Plug-in-Hybride sind in China heiß begehrt. Weil die Ladeinfrastruktur außerhalb der Megastädte von Peking und Shanghai noch lückenhaft ist und die Kombination aus einem großen Benziner und einem kräftigen Elektromotor nicht nur große Reichweiten, sondern auch jede Menge Fahrspaß verspricht – wenn die Autobahn mal frei ist. 30 Prozent der Neuzulassungen in China gehen inzwischen auf Pkw mit diesem Antriebskonzept – bei BYD machen die PHEVs sogar fast die Hälfte der Verkäufe in China aus. Den Rest des Marktes teilen sich mit jeweils 30 Prozent reine Batterieautos und Benziner.
Plug-in Hybride stromern fast 150 Kilometer weit
Der neue, 235 km/h schnelle Power-PHEV Wey 05 aus dem Reich von Great Wall Motor (GWM) verspricht mit einem 41,8 kWh großen Lithium-Ionen-Akku elektrische Reichweiten von 146 Kilometern – und weitere 500 Kilometer der 55 Liter fassende Benzintank. Und wie der frühere Mercedes-Motorenchef und heutige GWM-Chefingenieur Gerhard Henning verriet, arbeitet sein Team bereits an Teilzeitstromern mit noch größeren elektrischen Reichweiten. Die Rede ist von einer elektrischen Reichweite von bis zu 300 Kilometer. Weniger um das Klima zu schonen – „das spielt für die Autokäufer hier weniger eine Rolle“, sondern um den Fahrspaß zu steigern, ohne die Geldbörse durch hohe Spritkosten zu belasten.
Die Konkurrenz aus Europa hat dem bislang kaum etwas entgegenzusetzen, weil man auch in China entweder auf Elektromodelle oder reine Verbrenner setzte. Erst jetzt wollen Volkswagen und Co. auf den Trend reagieren – sie hatten den Hybridantrieb eigentlich schon abgeschrieben.
(Mit Ergänzungen von Franz Rother)