Eigentlich sind Kleinwagen ja besonders klimafreundlich. Sollte man meinen. Für ihre Herstellung werden deutlich weniger Energie und Rohstoffe benötigt als für die Herstellung eines, sagen wir mal, tonnenschweren SUV. Und weil Kleinwagen vergleichsweise leicht sind, benötigen sie auch weniger Energie, um ins Rollen zu kommen. So weit die einfache Physik.
Doch mit der hatten die Politiker in Brüssel offenbar wenig am Hut, als sie vor sechs Jahren in der EU-Verordnung 443/2009 definierten, wie viel Kohlendioxid die Neuwagen eines Autoherstellers in den Jahren 2020/2021 im Schnitt ausstoßen darf. „Damit“, wie es in den Ausführungsbestimmungen zu jener Verordnung „zur Begrenzung der CO2-Emissionen von Personenkraftwagen“ heißt, „die Vielfalt des Automarkts und seine Fähigkeit, unterschiedlichen Wünschen der Verbraucher gerecht zu werden, erhalten bleibt“, wurden nämlich die CO2-Ziele für Pkw „in linearer Abhängigkeit vom Nutzwert der Fahrzeuge festgesetzt“. Als Parameter zur Bemessung des Nutzwerts wurde dabei das Fahrzeug-Leergewicht herangezogen. So weit, so verständlich. Doch dann wurde – als welchen Gründen auch immer – als Referenzwert ein Leergewicht von 1392,4 Kilogramm (kg) festgelegt. Das entspricht, was natürlich reiner Zufall ist, exakt dem Leergewicht eines dieselgetriebenen VW Golf neuester Bauart.
Warum werden die Benziner aussortiert?
Es war der K.O.Schlag für alle konventionell angetriebenen Kleinwagen, die seitdem nach und nach von der Bildfläche verschwunden sind oder noch in den kommenden Jahren verschwinden werden. Denn je geringer das Leergewicht eines Fahrzeugs, desto anspruchsvoller ist seit Beginn des Jahres der individuelle Grenzwert des Fahrzeugs. Ein benzingetriebener Renault Twingo – Leergewicht im fahrbereiten Zustand: 981 Kg – darf künftig maximal nur noch 81 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer ausstoßen – andernfalls muss der Hersteller eine Strafe in Höhe von 95 Euro für jedes Gramm über dem Grenzwert zahlen. Beim kleinsten Renault Twingo SCe 75 Life mit einer Motorleistung von 54 Kilowatt (74 PS) und CO2-Emissionen von 119g/km wären das nach Adam Riese ab kommendem Jahr sageundschreibe 3610 Euro. Damit rechnet sich dieses Fahrzeug nicht mehr.
Es sei denn, man elektrifiziert den Winzling. Das Schwestermodell Smart Forfour wird bereits seit 2017 wahlweise mit Elektroantrieb angeboten, seit diesem Jahr ausschließlich als Smart EQ. Zum Jahresende wird nun Renault nachziehen. Man hätte es sich einfach machen und den Smart-Antrieb in den Twingo transplantieren können. Aber weil die deutsche Halbschwester von ihrer Mutter mit einem Chinesen verkuppelt wurde, gingen die Franzosen einen eigenen Weg. Angetrieben wird der Twingo Z.E., der zum Jahresende in den Handel kommt, wie der Smart von einem Drehstrom-Synchronmotor mit 60 kW (82 PS) Leistung. Aber die Maschine mit der Typenbezeichnung R80 ist von dem Elektromotor R135 abgeleitet, der in der neuen Generation der Renault Zoe summt und angeblich deutlich effizienter arbeitet. Und auch die flüssigkeitsgekühlte Batterie im Fahrzeugboden mit Zellen des koreanischen Herstelers LG Chem profitiert von den Erfahrungen, die Renault mit der Zoe gesammelt hat und bietet mit einer Kapazität von 21 Kilowattstunden (kWh) einen Tick mehr Volumen als im Smart (17,6 kWh). Auch davon profitiert die Reichweite: Mit einer Akkuladung soll der kleine Hecktriebler bis zu 180 Kilometer weit kommen, wenn man sich nicht dynamischer bewegt als es die neue Verbrauchsnorm WLTP vorsieht. Im Stadtverkehr wird wegen der höheren Rekuperationsleistung sogar ein Aktionsradius von bis zu 250 Kilometern versprochen. Der Smart muss hingegen schon in der Regel schon nach 139 Kilometern eine Ladestation ansteuern. Im Stadtverkehr sind es nur wenige Kilometer mehr.
Der Twingo Z.E. kann also in mancherlei Beziehung mit dem direkten Wettbewerber punkten. Frederic Clermont, der für die Kleinwagen zuständige Marketingchef von Renault, sieht die stärksten Wettbewerber allerdings im Volkswagen-Konzern, im e-Up von VW, dem Skoda Citigo-e iV oder im Seat Mii Electric. „Der Twingo Z.E. ist unsere Antwort auf die steigenden Umweltauflagen für Personenwagen im Stadtverkehr, durch die das Kleinwagensegment auf den Kopf gestellt wird“, führt er bei der Vorab-Präsentation des Autos in Paris aus. Elektroantriebe seien hier in Zukunft alternativlos, weil politisch gewollt. Aber Renault sei darauf vorbereitet, habe mit der Zoe und dem Kangoo Z.E. bereits Angebote vorzuweisen und jede Menge Erfahrung mit der Antriebstechnik: „Das hilft uns nun natürlich sehr.“
Warum erst jetzt als Stromer?
Und warum bringt man den Twingo erst jetzt als Stromer? Der Verdacht liegt nahe, dass Partner Daimler ein Wörtchen mitzureden hatte und auf Vorfahrt für den Smart bestand. Doch der für das gesamte Elektroauto-Geschäft verantwortliche Renault-Direktor Emmanuel Bouvier dementiert derartige Absprachen. „Der eigentliche Grund ist“ erklärt er im Gespräch mit EDISON, „dass wir vor drei, vier Jahren bereits die Zoe auf dem Markt hatten. Ein kleineres Stadtauto mit ähnlicher Performance hätte da keinen Sinn gemacht – die beiden Modelle hätten sich nur gegenseitig kannibalisiert.“
Inzwischen sei die Zoe erwachsener geworden. Und auf der anderen Seite werde es aufgrund der Umweltgesetze immer schwerer, mit einem Verbrennungsmotor in die Städte zu kommen. Bouvier: „Deshalb ist heute die Nachfrage nach kleinen Elektroautos heute wesentlich größer als damals, als wir uns zum ersten Mal mit der Frage beschäftigten. Und deshalb haben wir jetzt die Karte gezogen.“
Damit der Einsatz sich auch wirtschaftlich rechnet, halten sich die Maßnahmen am Fahrzeug über den Austausch des Antriebsstrang in Grenzen. Zu erkennen ist die neue Elektro-Version lediglich an ein paar blauen Farbtupfern in der Kühlermaske und kleinen Schriftzügen an der Seite und im Heck. Die Tankklappe wurde zur Ladeklappe, hinter der sich ein Typ-2-Anschluss verbirgt. Der Strom kann darüber serienmäßig mit einer Geschwindigkeit von 22 Kilowatt in der Stunde geladen werden – länger als eine Stunde sollte also die Ladepause nie dauern. Auf eine CCS-Schnellladelösung, die der Volkswagen-Konzern für seine Mini-Stromer zumindest als aufpreispflichtige Option anbietet, hat Renault aus Kostengründen – und mit Rücksicht auf die Kunden verzichtet: „Die Ladekosten für Gleichstrom werden demnächst explodieren“, erklärte Marketingmann Clermont. Dank des patentiert Chameleon-Chargers von Renault könne Wechselstrom in Stärken von 230 und 400 Volt sowie mit Ladeleistungen von bis zu 22 Kilowatt gezogen werden – „das reicht völlig“.
Was wird der Twingo Z.E. wohl kosten?
Den Twingo wird es trotzdem „vorerst“ auch weiterhin mit Benzinmotoren zu kaufen geben. Schließlich wird das Fahrzeug auch in Märkten außerhalb der EU angeboten, wo die Umweltgesetze nicht zu streng sind und wo Elektroautos nicht staatlich gefördert werden. Renault ist vorsichtig, was die Absatzerwartungen anbetrifft: Marketingmann Clermont erwartet im ersten Verkaufsjahr nur einen Anteil von etwa 15 Prozent für den Stromer. Prognosen sind für ihn auch deshalb so schwierig, weil der Preis für den Twingo Z.E. noch nicht feststeht. Man will erst einmal schauen, wie sich die Wettbewerber schlagen. Der Smart Forfour EQ wird aktuell ab 22.600 Euro angeboten, die Preise für die kleinen Stromer aus dem VW-Konzern beginnen bei 20.650 Euro. Und die Zoe gibt es mit kleinen Akku (40 kWh) auch schon für 21.400 Euro zuzüglich Batteriemiete. Da will das Prizing des Kleinen wohl bedacht werden, mit Blick auf die Benziner-Version des Twingo (ab 10.950) – und auf mögliche Strafzahlungen.
Nach den Gesprächen mit den Renault-Experten in Paris tippen wir mal auf einen Basispreis von 16.000 Euro – zuzüglich Batteriemiete.