E-Fuels – synthetische, flüssige Kraftstoffe – werden als Lösung für den Schwerlastverkehr, für die Schifffahrt oder die Luftfahrt gehandelt. Thorsten Herdan, Europa-Chef von HIF-Global und ehemaliger Leiter der Abteilung „Energiepolitik – Wärme und Effizienz“ im Bundeswirtschaftsministerium, sieht große Potenziale auch in der Chemieindustrie. Um diese zu heben, brauche es aber Verlässlichkeit der Gesetzgebung, sagt Herdan. Das regulatorische Risiko dürfe nicht zum Geschäftsrisiko werden.
HIF Global betreibt die E-Fuels-Anlage Haru Oni im chilenischen Patagonien als ein „Proof of Concept“. Die gemeinsam mit dem Autohersteller Porsche entwickelte Anlage soll zeigen, dass E-Fuels industriell produzierbar sind. Siemens Energy hat die Windturbine sowie den Elektrolyseur geliefert. Die Anlage nutzt derzeit CO2 aus biogenen Quellen, eine Direct-Air-Capture-(DAC)-Anlage wird noch entwickelt. Nur wenn das verwendete CO2 aus DAC-Anlagen stammt, gelten E-Fuels als gesichert klimaneutral.

Der Ingenieur leitete zwischen 2014 und 2022 die Abteilung Energiepolitik – Wärme und Effizienz im Bundesministerium für Wirtschaft. Zuvor war er Geschäftsführer der Forschungsvereinigung Verbrennungskraftmaschinen (FVV) sowie des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA). Seit Mai 2022 verantwortet er das Europa-Geschäft des E-Fuel-Produzenten HIF Global.
Herr Herdan, was genau passiert beim E-Fuel-Projekt Haru Oni in Patagonien?
Haru Oni ist unsere erste Anlage für die Herstellung von synthetischen Kraftstoffen – sogenannten E-Fuels. Wir produzieren dort mit Windstrom und Wasser Wasserstoff durch Elektrolyse. Den Wasserstoff verbinden wir mit CO2 aus einer Brauerei zu Methanol. Im letzten Schritt erzeugen wir in einer Anlage (MtG-Anlage) aus dem Methanol synthetisches Benzin (E-Gasoline) und synthetisches Gas (E-LPG).
Was ist das Ziel der Anlage?
Wir wollen zeigen, dass E-Fuels industriell produzierbar sind. Die Anlage ist ein „Proof of Concept“. Sie bildet alle erforderlichen Schritte ab: von der Stromerzeugung über die Elektrolyse bis hin zur Synthese und Abfüllung. Die Erfahrungen, die wir in Haru Oni sammeln, nutzen wir für größere Projekte. So entwickeln wir Anlagen mit deutlich höheren Produktionsvolumina in Chile, den USA, Uruguay, Brasilien, Australien, Oman und Marokko. Das Know-how aus Chile fließt direkt in diese Projekte ein. Entscheidend ist dabei: günstiger grüner Strom, Verfügbarkeit von CO2 und Skaleneffekte.
Wie groß ist die Anlage aktuell – und was leistet sie?
Die Elektrolyseleistung liegt bei 1,2 Megawatt. Die Leistung der Windkraftanlage liegt bei 3,4 Megawatt. Die Produktionskapazität beträgt jährlich rund 130.000 Liter synthetisches Benzin und 350 Tonnen E-Methanol.
Wer ist an Haru Oni beteiligt?
HIF Global hat die Anlage gemeinsam mit Porsche entwickelt, gebaut und betreibt diese auch. Siemens Energy hat die Windturbine sowie den Elektrolyseur geliefert. MAN Energy Solutions, jetzt Everllence, hat die Methanolsynthese auf Basis einer Lizenz von Johnson Matthey gebaut. Die Methanol-to-Gasoline-Anlage wurde von Sinopec, basierend auf einer Exxon-Mobil-Lizenz, gebaut. Alles in allem war der Bau der Anlage ein erfolgreiches Gemeinschaftsprojekt, das mit hervorragenden Partnern realisiert wurde. Porsche ist auch gleichzeitig der Kunde und nutzt den Kraftstoff etwa im Motorsport für den Porsche Mobil 1 Super Cup. Zudem ist Porsche über eine Beteiligung an HIF Global involviert und unterstützt uns beim globalen Hochskalieren.

Ende 2022 wurde von HIF, Porsche und Siemens Energy die weltweit erste kommerzielle Anlage zur Herstellung von klimaneutralem Kraftstoff gestartet. Mit dem dort produzierten E-Fuel fahren unter anderem Rennwagen im Porsche Super Cup. Foto: HIF Global
Woher stammt das CO2 für die Synthese?
Derzeit nutzen wir CO2 aus biogenen Quellen, da sich unser ursprünglicher Plan, von Beginn an eine Direct-Air-Capture-(DAC)-Anlage eines Zulieferers zu nutzen, leider nicht umsetzen ließ. Wir sind allerdings nach wie vor von dem DAC-Konzept überzeugt. Deshalb entwickeln wir parallel zum Hochlauf von Haru Oni gemeinsam mit Porsche, der Volkswagen Group und Everllence eine eigene Technologie und bauen aktuell unsere DAC-Anlage in Haru Oni auf. Der Betrieb ist für dieses Jahr geplant. Langfristig wollen wir ausschließlich DAC einsetzen.
Ist das Produkt damit wirklich klimaneutral?
Wenn wir CO2 aus der Luft oder aus biogenen Quellen verwenden und ausschließlich erneuerbare Energie einsetzen, ist der Kraftstoff klimaneutral.
Warum haben Sie sich für Regionen wie Texas oder Süd-Chile entschieden?
Diese Regionen haben ein enormes Potenzial für die Produktion von Wind- und Solarstrom, können diesen aber nicht verwenden, da entweder nicht ausreichend viele Verbraucher vorhanden sind oder die Infrastruktur nicht ausreicht. Das Gleiche gilt beispielsweise für Australien, Afrika, Indien oder andere Länder in Südamerika. Das ungeheure Potenzial an erneuerbarem Strom können wir nur dadurch nutzbar machen, dass wir ihn „in Flaschen packen“. Unsere „Flasche“ ist dabei E-Methanol als erneuerbarer Energieträger und Plattformchemikalie. Dieses lässt sich einfach und kostengünstig an andere Orte verschiffen, an denen Kunden auf erneuerbare flüssige Energien, also E-Fuels, angewiesen sind.
„Das ungeheure Potenzial an erneuerbarem Strom können wir nur dadurch nutzbar machen, dass wir ihn in Flaschen packen“
Zusätzlich kann es an Standorten mit hervorragenden Raffineriekapazitäten in E-Kerosin oder E-Benzin weiterverarbeitet werden. Deutschland bietet hervorragende Voraussetzungen, um die Endproduktion in bestehenden Raffinerien durchzuführen. Dadurch können auf beiden Seiten Wertschöpfungsketten und gleichzeitig Energiehandelspartnerschaften geschaffen werden. Das erhöht in großem Maße die Energiesicherheit und Resilienz.
Kann E-Methanol nicht auch direkt für den Transport genutzt werden?
Theoretisch ja, E-Methanol könnte auch direkt in den Schiffen, die das E-Methanol von den Erzeugungsstandorten in die Verbrauchs- und Weiterverarbeitungszentren bringen, verwendet werden.
Welchen Anwendungsbereich halten Sie für die Zukunft von E-Fuels für den vielversprechendsten?
Der Luftverkehr ist definitiv ein Bereich, in dem wir großes Potenzial sehen. Eine Elektrifizierung von Flugzeugen ist insbesondere bei Langstreckenflügen keine Alternative. Für den maritimen Sektor ist Methanol eine interessante Option. Die Schifffahrt hat mit der Nutzung von Methanol, Ammoniak oder anderen grünen Gasen verschiedene Möglichkeiten, die mittelfristig auch alle zum Einsatz kommen werden. Darüber hinaus ist der Chemiesektor langfristig auf erneuerbare Grundstoffe angewiesen und auch hier wird E-Methanol der Ausgangsstoff sein. Auch für den Schwerlastverkehr und den PKW-Bereich werden E-Fuels eine Rolle spielen.

2020 hatte Airbus unter dem Namen „ZEROe“ Konzepte für wasserstoffbetriebene Flugzeuge vorgestellt. Geplant war, bis 2035 ein mit Wasserstoff und Brennstoffzelle betriebenes Elektro-Verkehrsflugzeug in die Luft zu bringen. Die Pläne dafür wurden kürzlich verschoben – wegen zu großer Herausforderungen beim Aufbau eines Wasserstoff-Ökosystems. Alternativ wird nun auf synthetisches Kerosin gesetzt, um die Belastungen des Klimas durch den kommerziellen Flugverkehr zu reduzieren. Computeranimation: Airbus
Wie sehen Sie die langfristige Perspektive für den Chemiesektor in Bezug auf E-Fuels?
Der Chemiesektor wird mittel- bis langfristig ein gigantischer Markt für E-Fuels werden. Es gibt keine wirklichen Alternativen zu Kohlenwasserstoffen, und die Industrie muss sich vollständig von fossilen auf erneuerbare Kohlenwasserstoffe umstellen, wenn sie ihre CO2-Emissionen reduzieren möchte. Die Nachfrage nach grünen Produkten wird weiter steigen, vor allem, wenn der CO2-Preis weiter steigt und seine Wirkung entfaltet. Dann wird es für die Chemieindustrie sehr wichtig, auf erneuerbare Energiequellen und E-Fuels umzuschwenken.
Welche Herausforderungen begegnen Ihnen derzeit bei der Finanzierung und Skalierung solcher Projekte?
Die größte Herausforderung besteht darin, Kunden zu finden, die langfristige Abnahmeverträge abschließen, um die Finanzierung abzusichern. Ohne diese langfristigen Verpflichtungen sind die Projekte nicht realisierbar, da sie sich nicht refinanzieren ließen. Es geht also nicht nur um den Bau der Anlage, sondern auch darum, eine verlässliche Abnahmestruktur zu schaffen. Die Kunden müssen in der Lage sein, über einen Zeitraum von 15 bis 20 Jahren zu planen.
„Eine Elektrifizierung von Flugzeugen ist insbesondere bei Langstreckenflügen keine Alternative“
Ein wichtiger Punkt ist zudem die Verlässlichkeit der Gesetzgebung. Wenn wir heute in eine Anlage für E-Fuels investieren, müssen wir absolut sicher sein, dass die heute bestehenden gesetzlichen Vorschriften für diese Anlage auch in den nächsten 20 Jahren gelten. Der Gesetzgeber darf unser Produkt nicht während des Betriebs oder gar während des Baus der Anlage durch die Änderung der Gesetze „ergrauen“ lassen. Das regulatorische Risiko darf nicht das Geschäftsrisiko werden. Wir bezeichnen das als „Bestandsschutz“ für eine Anlage, die sich schon im Betrieb befindet. Zudem muss sichergestellt werden, dass in der Hochlaufphase der Markt unterstützt wird, zum Beispiel durch staatliche Absicherungsmechanismen wie Contracts for Difference (CfDs) oder Quotenregulierungen mit klaren Pönalen bei Nichteinhaltung der Quote.
Was sollte die Politik tun?
Es geht vor allem bei den ersten Projekten darum, langfristige Preissicherheit zu schaffen, um Investitionen abzusichern. Der Staat könnte hier Absicherungsinstrumente schaffen, um das Risiko von Technologie und CO2-Preisschwankungen zu reduzieren. Statt einer direkten Förderung könnte der Staat beispielsweise Versicherungslösungen anbieten, die das Preisrisiko für Investoren abdecken. Solche Mechanismen würden es ermöglichen, erste Projekte auf den Weg zu bringen, die Technologie schneller zu skalieren und sie weltweit umzusetzen.
Ein weiterer Punkt ist die Sicherstellung, dass die EU und andere große Märkte einheitliche und faire CO2-Bepreisungsmechanismen haben. Der CO2-Preis sollte hoch genug sein, um Unternehmen zu motivieren, auf E-Fuels und grüne Technologien umzusteigen. Derzeit gibt es in vielen Ländern eine riesige Unsicherheit in Bezug auf den Preis und die Regulierung von CO2. Wenn sich dieser Markt weiter fragmentiert, könnte das die Skalierung von E-Fuels-Projekten erheblich behindern.
Wie sehen Sie die Rolle des Staates bei der Bereitstellung von Infrastruktur und der Unterstützung der Wertschöpfungsketten für E-Fuels?
Der Staat könnte eine zentrale Rolle dabei spielen, die notwendige Infrastruktur zu schaffen. Zum Beispiel, indem er den Ausbau von Wasserstoff- und CO2-Pipelines und Importinfrastruktur für E-Fuels unterstützt. Auch die Schaffung von internationalen Handelsstrukturen für grüne Produkte könnte durch politische Akteure vorangetrieben werden. Der Staat kann hier als Initiator auftreten, um die nötige Infrastruktur zu finanzieren, besonders in den frühen Phasen, wenn die private Industrie noch zurückhaltend ist.
„In der Politik besteht die Tendenz, den Fokus ausschließlich auf die direkte Elektrifizierung zu legen“
Sehen Sie in der Politik Hindernisse für die Skalierung von E-Fuels?
In der Politik besteht die Tendenz, den Fokus ausschließlich auf die direkte Elektrifizierung zu legen. Dabei wird oft übersehen, dass die direkte Elektrifizierung in Bereichen wie der Luftfahrt oder der Schifffahrt keine schnelle Alternative zum Status quo ist. Die Politik könnte hier mehr Vision und Unterstützung für E-Fuels als Teil der Lösung zeigen, indem sie technologieneutral vorgeht und die CO2-Minderung verschiedener Technologien stärker in ihre Klimaschutzstrategien integriert. Zusätzlich verstärkt sich die Auffassung, dass Europa seine erneuerbare Energie selbst bereitstellen sollte. Das ist brandgefährlich, da nur ein Miteinander von europäischer Energiebereitstellung und internationalen Energieimporten Kosteneffizienz und Resilienz schafft. Nicht zuletzt entstehen dadurch diversifizierte Handelsstrukturen, die gerade in der jetzigen weltpolitischen Lage nicht unterschätzt werden dürfen.
Ein weiterer Punkt ist die europäische Gesetzgebung. Die regulatorischen Anforderungen variieren von Land zu Land. Das führt zu einem Flickenteppich, der die grenzüberschreitende Produktion und den Handel von E-Fuels erschwert. Eine engere Zusammenarbeit auf EU-Ebene, mit einheitlichen Standards und Subventionen für erneuerbare Technologien, würde das Wachstum der Branche erheblich fördern.
Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die öffentliche Meinung?
Die öffentliche Meinung spielt eine immer größere Rolle. Wenn die Bürger verstehen, dass E-Fuels eine Schlüsseltechnologie für die Defossilisierung von schwer bis gar nicht zu elektrifizierenden Sektoren sind, wird das die politische Unterstützung erhöhen. Öffentlichkeitsarbeit und Aufklärung sind hier entscheidend. Wir müssen der Bevölkerung erklären, dass E-Fuels keine Konkurrenz zur Elektromobilität im Straßenverkehr sind, sondern eine notwendige Ergänzung der gesamten Klimastrategie darstellen.
Gerade beim Flugzeug oder Traktoren könnte das durchaus eine Lösung sein. Ein Schnellzugnetz wie in China mit großen Flughafen an den EU Grenzen wäre eine sinnvolle Lösung.