Für Pamela Condoni ist die Sache klar: Auch wenn die Sole aufgrund der extrem hohen Salzkonzentration für Mensch wie Tier ungenießbar sei, sei es Flüssigkeit auf Wasserbasis und damit Gemeingut. Auch schuldeten die Rohstoffkonzerne der Bevölkerung des Salar etwas für die Ausbeutung der Lithium-Vorkommen. Für sie ist das keine Frage.
Aber sollte die Diskussion in der Hauptstadt letztlich auf eine Verstaatlichung der Lithiumproduktion hinauslaufen, wäre das für die Menschen in der Region eine Katastrophe: „Dann sterben wir alle.“ Klar: SQM und Albumerle müssten dann ihre Aktivitäten einstellen und könnten keine Wasser- und Landwirtschaftsprojekte mehr finanzieren wie das in Pamelas Heimatdorf Rio Grande.
Ohne Wasser geht es nicht
Die Diskussion birgt also einiges an sozialem, politischem wie wirtschaftlichem Sprengstoff. Und das nicht erst seit dem Start der Verhandlungen über die neue Verfassung Chiles. Denn nichts ist in einer Wüste kostbarer als Wasser. Und die Lithiumproduktion benötigt ohne Frage Wasser in großen Mengen. Zur Beförderung der Sole zu den Bohrlöchern und anschließend zum Pumpen aus der Tiefe an die Oberfläche.
Das weiß niemand besser als Corrado Tore, den wir in San Pedro de Atacama treffen, einer von Touristen aus aller Welt überlaufenen kleinen Oase im Schatten des Vulkans Licancabur. Der gebürtige Italiener, der seit 2005 als Chef-Hydrologe für SQM arbeitet, fährt mit einem knallroten Toyota-Pickup vor unserem Hotel vor, mit wippender Wurfantenne für die Funkanlage und Rundum-Beleuchtung. Die Ausstattung ist Pflicht in der Atacama – für den Fall, dass das Auto aufgrund technischer Probleme oder nach einem Unfall nicht mehr fahrtüchtig sein sollte. Die Insassen sollen dann schnell geortet werden können, um nicht zu verdursten.
Lithiumchlorid bleibt am Ende übrig
Ja, Wasser sei äußerst knapp im Salar und der Klimawandel mache es nicht besser, erzählt Tore, während wir über die gut ausgebaute Fernstraße 23 gen Süden rollen. In der Tat: Die Vegetation am Straßenrand ist äußerst dürftig, die Macchia auf seiner Heimatinsel Sardinien sei dagegen geradezu paradiesisch. Hier und da sieht man an Wasserlöchern eine Herde Lamas oder ein paar Vikunias. Nach den Straßenschildern zu schließen, sollen in der Steppe auch ein paar wilde Esel leben. Aber je weiter wir nach Süden kommen, desto mehr fühlen wir uns wie auf dem Mars – in einer Wüste aus rotem Stein und Staub.
Bizarr wird es, als wir nach einer Stunde Fahrt nach rechts abbiegen und über eine Schlaglochpiste auf den riesigen Salzsee fahren, der sich über die Talsenke erstreckt. Die Oberfläche glitzert in der Sonne vor lauter Salzkristallen, die Luft flimmert vor Hitze: Ohne Schutzkleidung und Sonnencreme mit Lichtschutzfaktor 50 wagt sich hier niemand vor die Tür.
Schon gar nicht die Beschäftigten von SQM, die hiertäglich Tausende von Litern Sole aus dem Boden pumpen und in unzählige Extraktionsbecken leiten, um daraus später Kalium, Natrium, Magnesium und verschiedene andere Salze zu gewinnen. Und ganz am Ende des Prozesses Lithiumchlorid – aus dem nach der Reinigung und Trocknung in der Raffinerie Lithiumcarbonat oder das noch hochwertigere Lithiumhydroxid wird.
22,5 Liter Wasser für ein Kilo Lithiumcarbonat
Dafür braucht es Wasser, jede Menge Wasser. Brauchwasser aus der Kläranlage in der Raffinerie in Antofagasta, Brunnenwasser aus dem Salar. Tore macht kein Geheimnis daraus: „Es wird alles genau dokumentiert“ – und ist im Internet nachzulesen. Mit seinem 250-köpfigen Team habe er dafür den Salzsee und dessen Randbereiche nach und nach mit einem riesigen Netz von über 225 Messstationen überzogen. Bis zu 1600 Liter Sole dürfte das Unternehmen nach den Genehmigungen fördern und dafür 240 Liter Grundwasser nutzen – pro Sekunde. Tatsächlich nutze man hier wie da aber nur die Hälfte des Pumpvolumens.
Und der Wasserbedarf sinke trotz steigender Lithiumproduktion eher als dass er steige, erklärt der Hydrologe in seinem klimatisierten Büro anhand zahlreicher Schaubilder. Denn durch das Monitoring ließen sich die Bewegungen der Sole im Untergrund besser verfolgen und die ertragreicheren Schichten effizienter anzapfen. Seit 2016 sei auf diese Weise die Entnahme von Grundwasser bereits um 40 Prozent gesenkt worden. Aktuell würden für ein Kilogramm Lithiumcarbonat nur noch 22,5 Liter Wasser aufgewendet – „die Landwirtschaft und der Tourismus verbrauchen ein Vielfaches“.
Anschließend legt der Hydrologe noch eine Folie auf, die belegen soll, dass der unter der Sole liegende Grundwasserspiegel seit dem Beginn der Lithiumproduktion nicht gesunken ist. Weder im Nukleus des Salar, noch in den Randbereichen der Salzwüste, wo sich das Wasser in Lagunen sammelt – und der Andenflamingo seine Heimat hat. Oder jedenfalls nicht stärker als nach den Dürreperioden und Niederschlagsmengen hier oben zu erwarten wäre.
Sonnenenergie im Überfluss
Tore hat keinen Zweifel: „Der Klimawandel ist auch hier längst angekommen. Es fällt weniger Regen als früher. Und wenn er mal fällt, dann umso heftiger.“ In Sturzbächen fließt er dann auch tief hinein in den Nukleus. Tore macht sich deshalb Sorgen, dass die Wassermassen ins Erdreich sickern und die Sole so sehr verdünnen, dass eine Lithiumgewinnung unwirtschaftlich würde. Das wäre übel: SQM will seine Produktion bis 2023 verdoppeln.
Auf dem Rückweg haben wir dann noch eine unheimliche Erscheinung: Der Turm des gigantischen Solar-Kraftwerks Cerro Dominador sieht mit seiner im Sonnenlicht glühenden Spitze aus wie Isengart aus Tolkiens „Herr der Ringe“. 10 600 bewegliche Spiegel bündeln die Sonnenkraft, um flüssiges Kaliumnitrat auf 560 Grad zu erhitzen. Eine Dampfturbine produziert damit Strom rund um die Uhr. Drei weitere Anlagen des Typs sind geplant – die Salze aus dem Salar bleiben begehrt. Und zumindest an Energie herrscht dann kein Mangel mehr.