Lutz Stiegler, 57, ist seit Dezember 2023 Chief Technology Officer – CTO oder Technikvorstand – bei der schwedischen Geely-Tochter und Volvo-Schwester Polestar in Göteborg. Zuvor war der Maschinenbauingenieur aus Zwickau bei Volvo Cars für die komplette Antriebsentwicklung verantwortlich – von den Dieselmotoren bis hin zu teil- und vollelektrischen Antriebssträngen. Seit 2020 leitete er zudem die Entwicklung der gesamten Software und Hardware für die elektrischen Antriebsstränge des Unternehmens, einschließlich Batterien, Ladevorgängen, Elektromaschinen und deren Getriebe: Mit Elektroautos und deren Besonderheiten kennt er sich bestens aus.
Herr Stiegler, Sie sind ja noch nicht allzu lange Technikvorstand von Polestar, erst im Dezember vergangenen Jahres sind Sie von Volvo zu der Schwestermarke gewechselt. Haben Sie am Polestar 3 und 4 trotzdem schon mitgewirkt?
Ja. Ich war ja bei Volvo für sämtliche Antriebsstränge und elektrischen Systeme verantwortlich. Und da sich Volvo und Polestar die Plattformen teilen, habe ich auch schon früh am Polestar 3 und 4 mitgearbeitet.
Sind die Antriebsstränge von Volvo und Polestar somit identisch – oder gibt es auch Unterschiede?
In den Hauptkomponenten – Motoren und den Batterien – sind sie prinzipiell gleich. Bei der Antriebsbatterie des Polestar 3 haben wir aber ein paar Sachen abgeändert. So verwenden wir mit Absicht bei der Long Range Single Motor-Version, die wir nächstes Jahr bringen, die gleiche Batterie wie den allradgetriebenen Versionen. So bekommt der Kunde die maximal mögliche Reichweite. Aber in Details unterscheiden sich die Modelle schon, vor allem in der Charakteristik und Abstimmung des Fahrgefühls.
Inwiefern?
Der Polestar 3 ist zumindest in der Performance-Variante deutlich sportlicher abgestimmt als der Volvo EX90. Auch ist die Bandbreite zwischen der Basis- und der Performance-Version deutlich stärker ausgeprägt. Wir verantworten das Tuning als Marke selber und hier kommt unsere Performance-Expertise zu tragen.
Aber es gibt schon Synergien zwischen beiden Marken?
Ja klar. Wir gehen gemeinsam auf Expedition und versuchen immer wieder aufs Neue mit beiden Teams, so weit wie möglich Synergien zu finden. Aber die Autos formen wir nach unserer eigenen Marken-DNA.
Bei Volvo beträgt die Höchstgeschwindigkeit allerdings 180 km/h – bei Polestar liegt das Tempolimit bei 210.
Das ist eine andere Geschichte, die freiwillige Selbstbeschränkung von Volvo. Wir machen es nicht, unsere Autos fahren so schnell wie es die Technik erlaubt.
Wie groß sind eigentlich die Freiheitsgrade einer Marke wie Polestar in einem Geely-Konzern?
Die sind sehr groß. Wir können die Komponenten, die im Konzern-Regal verfügbar sind, frei auswählen und etwas darumherum entwickeln, was typisch Polestar ist. Dadurch sparen wir Geld bei den Grundlagenentwicklungen. Wir stecken es allein ins Feintuning, um Kundenerlebnisse zu erzeugen.
Der Volvo EX90 kommt wie der Polestar 3 mit einem 400-Volt-Bordnetz aus. Wäre das Kundenerlebnis mit einem 800-Volt-Bordnetz an der Ladesäule nicht besser gewesen? Bei einem Fahrzeug der Luxusklasse erwarte ich das eigentlich.
Technisch gibt es für das 400-Volt-Netz zwei gute Gründe. Punkt Nummer Eins: Auf diese Weise können wir in Kooperation mit unserem Ladepartner Plugsurfing und unseren Ladetarif Polestar Charge einen Zugang zum Supercharger-Netz von Tesla zu vergünstigten Konditionen anbieten. Das erhöht die Verfügbarkeit an Lademöglichkeiten drastisch. Und da Teslas 400-Volt-Stationen mit höheren Ladeleistungen arbeiten als auf dem CCS-Standard basierende Systeme, hätte eine Investition in ein 800-Volt-Bordnetz keinen Sinn gemacht.
Und was ist der zweite Grund für das 400-Volt-Netz?
800 Volt ist ein wenig Voodoo-Technik. Ich vergleiche das immer mit dem Vierventiler beim Verbrennungsmotor: Kein Vierzylinder-Benziner braucht wirklich 16 Ventile, aber jeder will sie gerne haben.
Rein aus Marketinggründen?
Genau. Beim Elektroauto ist die 800 Volt-Technik nur ein Enabler, um schnell laden zu können. Der andere Enabler ist die Batterie, die einen möglichst niedrigen Innenwiderstand haben sollte. Zusammen mit ein paar anderen Dingen sorgt das dafür, dass man schnell laden und auch die 800-Volt ausnutzen kann. Ob der Strom von außen mit 400 oder 800 Volt angelegt wird, ist eigentlich egal. Die Batterie muss mit hohen C-Raten laden können – nur dann machen 800 Volt Sinn. Das ist Teil Eins der Erklärung.
Teil 2 der Erklärung erfahren Sie hier im zweiten Teil des Interviews.
die Überschrift vermittelt ein wenig den Eindruck von Clickbait… Detailierte Gründe die gegen 800V sprechen finde ich im Artikel an keiner Stelle.
Doch: Mit 800 Volt sind erhebliche Mehrkosten verbunden – und bringen im Supercharger-Ladenetz von Tesla keine Vorteile
Ich finde die 400V Technik auch in allen Belangen gut und wird von vielen Herstellern auch weiterhin eingesetzt. Es gibt aber auch Entwicklungen von Geely mit LFP und 800V um ggf. noch ein paar Minuten noch schneller nachladen zu können. LFP finde ich gut, die 4C+ ist mehr eine Werbung.