Mit Autodesignern ist das so eine Sache. Meistens liegen sie mit den Ingenieuren im Clinch, wenn es darum geht, ob ein Bauteil der Funktion oder der Form folgen soll. Polestar-Chef Thomas Ingenlath ist gelernter Formgeber, also sollte bei Volvos Elektro-Schwester bei derartigen Diskussionen die Entscheidung klar sein. Weit gefehlt. „Thomas hat uns herausgefordert, aus seinem Polestar 2 etwas Besonderes zu machen“; erzählt Fahrwerksexperte Joakim Rydholm. Der Rallyefahrer und Test-Ingenieur ist bei Polestar das, was Walter Röhrl jahrelang bei Porsche war: Er gibt den E-Mobilen den letzten Abstimmungsschliff.

Also tüftelten die schwedischen Ingenieure herum, um dem Polestar 2 mehr Agilität einzuhauchen. Die Vorgabe war klar. Bei einem Elektroauto mit 350 kW (476 PS) Spitzenleistung geht es weniger um ein Aufrüsten der Power, sondern darum, das Vehikel leichtfüßiger zu machen. Angesichts des Basisgewichts von 2.113 Kilogramm keine ganz triviale Aufgabe. Zumal der Polestar 2 von Haus aus schon eine recht steife Karosserie hat. Frei nach dem Motto: Das Bessere ist der Feind des Guten, hat Joakims Truppe in den Dienstwagen des Chefs zunächst eine Domstrebe im Vorderwagen eingezogen, um das Einlenkverhalten zu verbessern, das Fahrwerk anschließend mit speziellen Stoßdämpfern auf Angriff getrimmt und zum Schluss Akebono-Bremsen eingebaut. Die grundsätzliche Idee war damit geboren.

Polestar 2 im Renntrimm 
Die Karosserie der Elektro-Limousine wurde 25 Millimeter tiefer gelegt, eine Domstrebe eingezogen, Brembo-Bremsen und spezielle Stoßdämpfer installiert sowie ein wenig an der Software gefeilt. Einen Rallye-Streifen gibt es obendrauf - für 77.400 Euro.
Polestar 2 im Renntrimm
Die Karosserie der Elektro-Limousine wurde 25 Millimeter tiefer gelegt, eine Domstrebe eingezogen, Brembo-Bremsen und spezielle Stoßdämpfer installiert sowie ein wenig an der Software gefeilt. Einen Rallye-Streifen gibt es obendrauf – für 77.400 Euro.

Dieses erste Resultat des Ingenieurs-Dopings haben die Schweden 2020 beim Goodwood Festival of Speed den Hügel hinaufgejagt und mit dem Spitznamen „The Beast“ versehen. Angesichts der Leistung und des Gewichts vielleicht etwas euphemistisch. Das ändert aber nichts an der positiven Resonanz, die der erste Prototyp des Power-Polestar 2, den Thomas Ingenlath übrigens heute noch als Dienstwagen fährt, beim PS-Klassentreffen erhielt. Also gab es im Jahr darauf unter dem Titel Polestar 2 BST Experimental einen Nachschlag, ehe nun die Serienversion des Polestar 2 BST Edition 270 den Gipfelstürmer gibt.

Alltagssportler für die Rennstrecke

Die Domstrebe ist geblieben und die Karosserie saust 25 Millimeter tiefer über den Asphalt, als das beim Standard-Polestar der Fall ist. Die Bremsen liefert statt Akebono nun Brembo zu. Genau in diesem Auto sitzen wir jetzt. Vor uns schlängelt sich das Ascari Race Resort durch die Hochebene der Provinz Málaga. „Motorhaube öffnen, bitte“, lautet die Ansage. Klick, klick, klick. „Wir stellen jetzt die Dämpfer ein“, erklärt Joakim Rydholm. Dann feuern wir los.

Schon nach den ersten Kurven wird klar: Der Polestar 2 BST Edition 270 ist kein Taycan-Gegner. Soll er auch gar nicht sein, sondern ein Auto, mit dem man unkompliziert Spaß haben kann, auf der Straße oder auf einer abgesperrten Rennstrecke. Den haben wir! Der Top-Polestar 2 lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen, weder durch Schikanen, die Lastwechselreaktionen provozieren, noch durch das Räubern über Curbs oder Vollgasecken. Wow!

Klick-Klick-Klick
Mit dem Drehen wird die Einstellung des Öhlins-Dämpfer verändert, die exklusiv für diesen Polestar 2 entwickelt worden sind. Die erste Einstellung justiert die Druckstufe, die zweite die Zugstufe. Beides vorne, wo drei Öl-Kreisläufe pro Dämpfer installiert sind.
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Mit dem Drehen wird die Einstellung des Öhlins-Dämpfer verändert, die exklusiv für diesen Polestar 2 entwickelt worden sind. Die erste Einstellung justiert die Druckstufe, die zweite die Zugstufe. Beides vorne, wo drei Öl-Kreisläufe pro Dämpfer installiert sind.

Wir rollen wieder an die Box und bemängeln eine leichte Untersteuerneigung. Wieder Motorhaube auf, zwei Hände greifen hinein. Klick, klick, klick. Mit dem Drehen wird die Einstellung des Öhlins-Dämpfer verändert, die exklusiv für diesen Polestar 2 entwickelt worden sind. Die erste Einstellung justiert die Druckstufe, die zweite die Zugstufe. Beides vorne, wo drei Öl-Kreisläufe pro Dämpfer installiert sind. Zwei externe Reservoir-Zylinder ragen in die Frunk hinein. Die dritte Nummer definiert die Zugstufe für die Dämpfer hinten. Wir haben die erste Runde mit der Alltags-Einstellung 7-7-7 gedreht, mit der wir auch auf der Landstraße unterwegs waren. Die Parameter 4-4-4 sind der nächste Schritt. Das Fahrverhalten ist nun spürbar anders. Der Vorderwagen wird leichtfüßiger, auch weil sich das Heck aktiver am Asphaltcarven beteiligt.

Klick, klick, klick von 7-7-7 zu 2-2-2

Jetzt gehen wir mit 2-2-2 all-in und der Polestar 2 legt jegliche skandinavische Zurückhaltung ab und wirbelt über die Rennstrecke. Das Fahrwerk ist noch straffer und das Heck noch lebendiger. Trotzdem verwandelt sich der schwedische Dr. Jekyll nicht vollends in einen ungestümen Mr. Hyde. Der unkomplizierte Spaß steht nach wie vor an erste Stelle. Zudem wacht das ESP stets im Hintergrund, lässt aber dem Hinterteil so viel Twerk-Freiheiten, dass man sogar driften könnte.

Im Zusammenspiel mit den 20 Prozent steiferen Federn spielen die Öhlins-Dämpfer ihr ganzes Können aus. Selbst in der Feuer-frei-Einstellung bleibt der Polestar 2 stets problemlos beherrschbar und malträtiert nicht übermäßig den Rücken, kann aber bei aller Agilität nie ganz sein Gewicht kaschieren. Auch die indifferente Lenkung passt bei aller Präzision nicht zu diesem Auto. Dafür geben die Brembo-Bremsen mit den 375er Scheiben vorne und den 340er Scheiben hinten ein umso besseres Bild ab, lassen sich gut dosieren und lassen auch nach mehreren harten Bremsmanövern nicht nach. Jedenfalls bereitet das händische Abstimmen an den Drehschrauben und das Heraustüfteln der perfekten Einstellung jede Menge Spaß. Vor allem, weil sich das Fahrverhalten spürbar ändert.

High-Performance 
Auf dem Zentraldisplay im Innenraum lässt sich das Spiel der Kräfte grafisch nachverfolgen. Der Blick des Fahrers sollte aber besser auf die Fahrbahn gerichtet bleiben. Das Fahrwerk liefert schon genug Informationen über Fahrbahn und Kurven. Fotos: Polestar
High-Performance
Auf dem Zentraldisplay im Innenraum lässt sich das Spiel der Kräfte grafisch nachverfolgen. Der Blick des Fahrers sollte aber besser auf die Fahrbahn gerichtet bleiben. Das Fahrwerk liefert schon genug Informationen über Fahrbahn und Kurven. Fotos: Polestar

Szenenwechsel. Wir sind mit Über-Polestar 2 auf der Landstraße unterwegs. Wieder in der Kompromiss-Komfort-Abstimmung 7-7-7. Diese Eine-für-alles-Abstimmung passt ziemlich gut, aber der Polestar 2 BST Edition 270 ist ein Alltagssportler und dass merkt man ihm auch an. Die Federung ist straff und lässt die Insassen über den Zustand der Straße nicht im Unklaren. Zumal die Pneus im Format 245/35-21 kein Übermaß an dämpfenden Kautschuk bereitstellen. Der Antritt mit einer Zeit von 4,4 Sekunden von null auf 100 km/h reicht für die Landstraße völlig aus, nur dürfte das Top-Modell der Polestar-2-Baureihe einen höheren Top-Speed als 205 km/h haben.

Nur 30 Exemplare für Deutschland

Beim Verbrauch zeigt sich der Schwede dann wieder von seiner besten Seite. Polestar beziffert den durchschnittlichen Stromdurst mit 20,2 kWh/100 km, bei uns spuckte der Bordcomputer nach einer eher zurückhaltenden Fahrweise 20,4 kWh aus. Laut Polestar ist die 78-Kilowattstunden-Batterie (75 kWh netto) für maximal 462 Kilometer Reichweite gut (WLTP). Allerdings ist die maximale Ladegeschwindigkeit von 155 kW nicht gerade überragend.

Fazit: Für einen Preis von 77.400 Euro bietet der Polestar 2 BST Edition 270 jede Menge Spaß fürs Geld. Allerdings wird es bei den 270 Stück bleiben, Deutschland bekommt 30 Exemplare. Die sind alle schon verkauft. Aber Polestar hat schon angekündigt, dass es mehr Sondermodelle dieser Art geben wird.

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