Manchmal steht Toshiba drauf, Panasonic oder Sharp – aber im Grunde sind es Fernseher oder Haushaltsgeräte von Vestel. Auch die alten deutschen Marken Telefunken und Graetz kommen im breiten Produktangebot von Vestel noch zu Ehren. Die Fernsehgeräte beider Marken für den europäischen Markt werden allerdings schon lange nicht mehr in Deutschland produziert, sondern ebenfalls in „Vestel City“, einem 1,3 Millionen Quadratmeter großen Fabrikkomplex im Westen der Türkei. Hier werden übrigens auch sämtliche Wallboxen montiert, die von Eon Drive unter dem Namen vBox angeboten werden – und von Vestel unter der Modellbezeichnung EVC04.

Fernseher, Kühlschränke, Geschirrspüler, Backöfen, Staubsauger, Kaffeemaschinen und Toaster, dazu Wallboxen, Heimspeicher und auch E-Bike-Akkus: Das Produktportfolio der zur Industrie- und Finanzgruppe Zorlu gehörenden Vestel Group mit einem Jahresumsatz in 2023 von umgerechnet etwa 3,5 Milliarden Euro ist heute bereits ebenso vielfältig wie beeindruckend groß. Und Ergün Güler, der 50-jährige CEO von Vestel, sieht noch großes Potenzial für Wachstum. In der Mobilitätsbranche und im Zusammenhang mit der Antriebs- und Energiewende.

Ergün Güler
Der vor 50 Jahren in Berlin geborene Betriebswirt steht seit 2023 an der Spitze der Vestel-Unternehmensgruppe.

Unter dem Dach der Sparte Vestel Mobility hat der gebürtige Berliner kürzlich alle Mobilitäts- und Energiespeicherprojekte und Aktivitäten zusammengefasst, die das Unternehmen heute schon betreibt. Sie reichen vom Batterie- und Ladegeschäft bis tief hinein in die Fahrzeugelektronik. Für den Togg T10X, das erste Elektroauto aus der Türkei, hat Vestel nicht nur ein riesiges, 27 Zoll großes Infotainment-Display entwickelt, sondern baut auch den Domain-Controller, den Zentralrechner, über den der Antrieb und die smarten Funktionen des Elektroautos gesteuert werden. Zum Einsatz kommen dabei unter anderem Hochleistungs-Prozessoren von Qualcomm.

Börsengang in drei Jahren

„Wir profitieren hier von unserer langjährigen Expertise im Elektronikgeschäft“, erläutert Güler im Gespräch mit EDISON. Und die kommt dem Unternehmen nicht nur im Automobilgeschäft zugute: In Kürze, so verrät er, werde man die hohe Qualität der Vestel-Monitore auch an Bord von neuen Airbus-Flugzeugen erleben können. Mit „einer der größten Airlines der Welt“ – der Name wird noch nicht verraten – habe Vestel kürzlich einen Liefervertrag abgeschlossen. Das Unternehmen profitiere hier auch von den Bemühungen vieler Fahrzeughersteller, die Abhängigkeit von chinesischen Zulieferern zu verringern. „Unsere Produktion hier in der Türkei ist ein großer Vorteil für uns.“ Also nicht nur wegen der vergleichsweise günstigen Lohn- und Energiekosten.

Produktion von High Power-Chargern 
Von 60 Kilowatt bis zu einem Megawatt Ladeleistung decken die Schnellladestationen von Vestel Mobility ab. Fotos: Vestel
Produktion von High Power-Chargern
Von 60 Kilowatt bis zu einem Megawatt Ladeleistung decken die Schnellladestationen von Vestel Mobility ab. Fotos: Vestel

Die Transformation der Autoindustrie sieht Güler als große Chance für sein Unternehmen. „Durch den Wechsel auf Elektroantriebe ändert sich die ganze Szene, ergeben sich große Chance für neue Spieler, Erstausrüster zu werden.“ In der Fahrzeugproduktion, aber auch beim Aufbau der Ladeinfrastruktur. Der weltweite Gesamtmarkt habe eine Größenordnung von etwa 580 Milliarden Dollar – daraus wolle sich Vestel ein großes Stück herausschneiden. Um dann in etwa drei Jahren an die Börse mit einer Marktkapitalisierung von einer Milliarde Dollar an die Börse zu zu gehen: Der Mann hat große Pläne.

E-Auto-Boom in der Türkei

In der Türkei kommt Vestel Mobility mit insgesamt 250.000 installierten AC- und 5.000 DC-Ladepunkten heute bereits auf einen Marktanteil von etwa 30 Prozent, bei Gleichstrom-Schnellladern sogar von 70 Prozent. Und die öffentliche Ladeinfrastruktur am Bosporus wächst weiter kräftig, nicht nur in und rund um Istanbul. Ende vergangenen Jahres waren nach Angaben der türkischen Statistikbehörde TÜIK landesweit bereits 300.000 Elektro- und Hybridautos zugelassen – 2023 betrug das Absatz-Plus 48 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Güler: „Togg hat hier für einen großen E-Auto-Hype gesorgt.“ Kein Wunder, bei Strompreisen an der heimischen Steckdose von umgerechnet sieben Euro-Cent und von nur 25 Cent am Schnelllader. “ Damit seien die Energiekosten im Vergleich zu einem Benziner oder Diesel nur etwa halb so hoch.

Am laufenden Band 
Auch die Produktion von Ladestationen ist in der Vestel City bei Manisa auf Massenproduktion ausgelegt. Fotos: Vestel
Am laufenden Band
Auch die Produktion von Ladestationen ist in der Vestel City bei Manisa auf Massenproduktion ausgelegt. Fotos: Vestel

Weltweit erwartet Güler bis zum Jahr 2030 einen Anteil der Elektroautos von 45 Prozent an den Neuzulassungen. Um all die Fahrzeuge mit Strom versorgen zu können, sei ein massiver Ausbau der öffentlichen Ladeinfrastrukturen erforderlich – auch für die elektrischen Nutzfahrzeuge, die immer häufiger mit Batterie fahren Auf der IAA Transportation in Hannover präsentierte der Vestel-Chef kürzlich neue Schnellladesäulen, die Ladeleistungen von 720 kW und 1 Megawatt darstellen können. Die ersten 720 kW-Charger sind bereits in der Türkei installiert, die ersten Megawatt-Charger werden im Frühjahr kommenden Jahr ausgeliefert. Zusammen mit Schnellladesäulen, die Gleichstrom mit 60, 120 und 150 kW abgeben – und und High Power Charger, die bis zu 180, 240, 320 und 400 kW liefern. Da ist für jede Ladesituation und jeden Anwendungsfall etwas dabei.

Megawatt-Charger mit Solaranschluss

Na klar, es gibt bereits etliche Anbieter von Schnellladesäulen. Einige wie Siemens, Alpitronic und Ekoenergetyka Polska stellten auch in Hannover aus. „Aber die Station mit der höchsten Ladeleistung, die ich dort von Konkurrenten gesehen habe, kam über 320 kW nicht hinaus“, stellt Güler zufrieden fest. Entsprechend gut laufe das Geschäft mit den 400-kW-Ladesäulen heute schon, dank Exporten nach Griechenland, Italien und Spanien, Bulgarien, Polen, Mazedonien und Albanien. Zahlreiche Ladepunktbetreiber in Südeuropa wie Electrip schätzten die Systeme bereits, freut sich der Firmenchef. Auch wegen ihrer hohen Betriebssicherheit von 99 Prozent, die ihnen Roland Berger bescheinigt habe.

Der neue 720 kW-Charger und der Meagawatt-Charger dürften aber noch einmal die Nachfrage erhöhen. Denn das System könne vom Anschlusspunkt bis zu zehn Satelliten im Umkreis bedienen. „Das ist derzeit einzigartig“. Zumal die Ladestation mit einem großen Energiespeicher mit einer Speicherkapazität von zwei bis zu 5,5 Megawattstunden verbunden werden könne, um das Stromnetz bei einer Vielzahl von Ladevorgängen nicht zu überlasten. In Istanbul werde das Konzept gerade in Kombination mit einer Solaranlage mit großem Erfolg getestet. Produziert werden alle Komponenten, na klar, von Vestel.

Artikel teilen

Kommentar absenden

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert