Laurens van den Acker, 59, gibt als Chief Design Officer der Renault Group seit 2021 die Linien vor – für die Gestaltung der Autos nicht nur von Renault, sondern auch von Dacia, Alpine sowie Mobilize, der neuen Konzernmarke, unter deren Dach innovative Mobilitätskonzepte entwickelt habe. Eine Herkulesaufgabe für den ehemaligen Audi-, Ford- und Mazda-Designer aus den Niederlanden. In den zurückliegenden drei Jahren kostete sie noch mehr Kraft als zuvor schon. Denn Konzernchef Luca de Meo, der aus dem Volkswagen-Konzern zum französischen Autobauer kam, forcierte nicht nur die Modernisierung der Modellpalette. Er gab mit dem „Renaulution“ genannten Strategieplan auch das Ziel aus, bis 2050 in Europa den CO2-Fußabdruck der Renault Gruppe auf Null zu reduzieren. Das macht es erforderlich, jede Menge neue Autos mit voll- und teilelektrischen Antrieben auf den Markt zu bringen. Bis Ende 2025 sollen sieben neue Batterieautos auf dem Markt sein – und 2030 alle Modelle, die von der französischen Traditionsmarke in Europa angeboten werden, vollelektrisch fahren. Die ersten Auto kommen in den kommenden Monaten auf den Markt. Wir sprachen auf dem Pariser Autosalon mit dem vielbeschäftigten Designer. Über die neuen Autos und neue Herausforderungen.
Laurens, ihr zeigt hier in Paris gerade mit dem neuen R5 E-Tech Electric, dem R4 E-Tech Electric, dem Alpine A290 so viele neue Modelle wie kein anderer Autohersteller hier. Von den Konzeptautos Alpine 390 Beta, dem Renault Twingo und dem Renault Enblème ganz zu schweigen. Langweile dürftest Du in jüngerer Zeit nicht gehabt zu haben.
Na ja, das ist ja nicht alles erst in diesem Jahr entstanden. Das haben wir alles in den zurückliegenden drei Jahren mit einem großen Team entwickelt.
Aber eine solche Ballung ist schon ungewöhnlich, oder?
Na ja, Luca…
…de Meo, der Konzernchef…
….hat viele Passionen, viele Ideen – und wollte alles gleichzeitig. Und deshalb können wir jetzt eine Menge zeigen.
Vor Jahren hieß es noch, mit der Elektromobilität halte in das Autodesign eine neue Formensprache Einzug. Stattdessen sehe ich hier jetzt Retro-Design. Warum das?
Auch da gab Luca den Anstoß. Er suchte eine Verbindung zu den glorreichen Zeiten von Renault in den 1970 und 1980 er Jahren. Der R5 war da für ihn ein No Brainer, eine klare Sache. Er weckt Emotionen, die man mit einem komplett neuen Auto niemals erzielen könnte. Das müsste man mit rationellen Argumenten verkaufen, was immer mühsamer ist. Zumal die Architektur des R5 mit kurzen Überhängen sehr gut zu unserer Ampere-Elektroplattform passt. Die ersten Reaktionen auf das Fahrzeug freuen mich: Die Leute wollen das Auto spontan kaufen – ganz egal, was es für einen Antrieb hat. Das zeigt die Stärke des Konzepts.
Man muss Emotionen wecken, um erfolgreich zu sein – nicht Nachdenklichkeit erzeugen.
Richtig, eine rationelle Herangehensweise, die Argumentation mit dem Klimawandel und so, erleichtert den Verkauf eines Elektroautos nicht unbedingt. Unsere Designstrategie ruht deshalb nun auf zwei Säulen. Es gibt „Legendary Icons“ und „Future Icons“. Wir bauen einerseits mit R4, R5 und Twingo eine Brücke in die Vergangenheit. Und mit Megane und Scenic Electric sowie Enblème weisen wir den Weg in die Zukunft. Der Enblème ist geradezu futuristisch. Hier hat man gewissermaßen einen Blick in die Küche und sieht, woran wir arbeiten. Auf den ersten Blick scheint beides nicht zusammenzupassen. Tatsächlich aber scheint es gut zu funktionieren – die Leute finden sich hier wie da wieder.
Luca de Meo gab also den Impuls, mal in die Modellgeschichte zu schauen. Hat Dich das Überwindung gekostet? Ein Designer, vermute ich mal, schaut lieber nach vorne denn nach hinten.
Als ich 2009 zu Renault kam, haben mich viele Deiner Kollegen nach einem Nachfolger für den Renault 4 und Renault 5 gefragt. Ich habe damals geantwortet, dass ich für die Zukunft von Renault geholt worden sei und nicht für die Vergangenheit. Ich wollte wirklich ein neues Kapitel aufschlagen. Und dann wirft man nicht einen Blick zurück, sondern nach vorne. Das haben wir auch einige Jahre gemacht, mit etlichen Konzeptautos, aber auch mit Serienautos, die eine neue Linie aufzeigten. Als Luca zu Renault kam, war es sein Ziel, für eine neue Liebe zwischen der Marke und dem Publikum zu sorgen. Im Hinterkopf hatte er wohl noch seine persönliche Erfolgsgeschichte bei Fiat mit der Wiederbelebung des Cinquecento.
Der ja auch als vollelektrischer 500e bis heute ein Erfolgsmodell ist.
Richtig. Und das Lustige war: Wir hatten 2019 schon einen neuen R5 in unserem Advanced Design-Studio stehen. Die Idee war, mit einem Modell den Zoe und den elektrischen Twingo zu ersetzen. Das Auto sah schon super aus, aber das damalige Management wollte es nicht so richtig. Wir haben das Konzept deshalb wie einen guten Wein in den Keller gelegt und reifen lassen. Und als Luca kam, holten wir es wieder heraus. Und er hat darauf sofort sehr emotionell reagiert.
Womit es dann bis zum Design Freeze nicht mehr weit war.
In der Tat. Und wenn man R5 sagt, sagt man auch schnell R4. Wir haben uns deshalb die Plattform angesehen, sie ein wenig gezogen. Und das Ergebnis fanden wir sehr gut. Die größere Herausforderung war Lucas Wunsch, den Preis für die Autos so zu drücken, dass sie trotz Elektroantrieb für jedermann erschwinglich sind. Denn nur so können wir die Menschen auch zum Kauf des Autos verführen. Ich bin gespannt, ob uns das mit den beiden Autos gelingt.
Ich habe keinen Zweifel daran. Aber wie geht es weiter? Der Twingo zitiert das Design der ersten Generation, auch der R17 Restomod ist nahe am Original von 1971. Fehlt eigentlich nur noch eine Neuauflage des Renault Espace, nicht als SUV, sondern als elektrische Großraum-Limousine.
Ich glaube, wir müssen aufpassen, dass wir nicht zu weit zurück schauen und uns nur noch an der Vergangenheit orientieren. Wobei: In den Car Clinics haben die Menschen das Design des R5 als futuristisch beschreiben, nicht als nostalgisch. Das Twingo Concept finde ich auch sehr modern aussehend. Die Autos sehen so aus, als hätten wir die Autos systematisch weiterentwickelt, ähnlich wie den Porsche 911. Der ist ja auch nicht retro, nur konsequent weiterentwickelt worden. Aber die Urform sieht man immer noch.
Aber es gibt bei Renault auch eine progressive Linie, die stylistisch neue Wege einschlägt?
Ja, und die muss es auch geben. Sonst landet man in einer Einbahnstraße, aus der man nicht mehr rauskommt.
Aber starke Emotionen sollte es auch auf diesem Pfad geben, oder?
Unbedingt. Beim Emblème gelingt das meines Erachtens schon. Er kommt mit französischem Chic daher. Ich habe schon viele Konzeptautos gemacht, um die Menschen träumen zu lassen. Und dieser Traum wird auch realisiert.
Vor Jahren hieß es, der Wechsel auf den Elektroantrieb erleichtere den Designern die Arbeit, weil es hier mehr Freiheitsgrade gebe. Würdest Du das heute auch noch so sagen?
Durchaus. Denn die Ingenieure haben zumindest bei uns einen super Job gemacht. Wir haben eine Plattform, die beim R5 3,92 Meter, beim R4 genau 4,14 Meter lang ist. Wir haben größere Räder – 670 Millimeter im Durchmessen beim R5, 690 Millimeter beim R4 -, aufgrund des großen Radstands auch viel Platz für den Fahrgastraum. Dazu eine Multilenker-Hinterachse für hohen Fahrkomfort – wir Designer können uns da wirklich nicht beschweren. Die Fahrzeugarchitektur wird immer besser. Und das ist gut so. Denn wir müssen uns gegen die Wettbewerber wehren. Mit Top-Autos, denn mit mittelmäßigen Autos kann man heute nicht mehr bestehen.
Du bist ja für das Design aller Marken der Renault Group verantwortlich. Welche ist deine liebste?
Das ist wie mit den Kindern.
Nämlich?
Sie sind mir alle gleich lieb. Aber ich bin unheimlich stolz, was wir aus Dacia gemacht haben. Die aktuellen Fahrzeuge sind meine zweite Generation. An ihnen sieht man, wie die Marke an Kraft und Reife gewonnen hat. Auch bin ich stolz, dass wir Alpine wiederbeleben konnten…
…auch mit einem Auto im Retro-Design.
Ja. Die Marke hatte eigentlich keine Zukunft, bestand nur aus einem Auto. Ich werde Luca ewig dankbar sein, dass er die Marke nicht getötet hat. Und jetzt wird es eine komplette Sportwagenmarke mit mehreren Modellreihen. Mobilize ist wiederum wie ein Startup.
Zum Abschluss aber noch eine kritische Anmerkung – zum Interieur-Design des R5: Die Lenksäule ist dort gespickt mit Hebeln und Schaltern wie ein „Mettigel“, mit dem man früher kalte Platten garnierte.
Ich stimme Dir zu: Es gibt zu viele davon. Ich habe versucht, den Schalthebel dort wegzubringen, auch den Satelliten für die Radiobedienung wollte ich töten. Aber mein Produktplaner sagte, es gebe viele Kunden, die vor allem den Satelliten lieben. Und wenn ich den streichen würde, gebe es jede Menge Beschwerden. Ich habe daraufhin den Kampf eingestellt. Aber ich verspreche: In der nächsten Generation wird es weniger Hebel geben.
Wir drücken die Daumen – und danken für das Gespräch.