Aiways-Kunden wird die Konfiguration und Bestellung ihres neuen Elektroautos ganz leicht gemacht. Bestellt wird im Internet, hierzulande auf der Website von Euronics, der bekannten Einkaufsgenossenschaft von Fachhändlern von Elektrogeräten aller Art. Da gibt es jede Menge Computermäuse, PCs, Fernseher und Saugroboter. Und seit 2019, wenn man ein wenig sucht, auch Elektroautos aus China.

Den seit 2019 schon bekannten Elektro-SUV Aiways 5 und ab Sommer auch den Aiways 6, das schnittigere und höherwertige Stufenheck-Coupe im Stil eines Polestar 2. Den einen zu Preisen ab 37.569 Euro, den Neuen in der „Prime“-Ausführung zu einem Bruttopreis von 45.500 Euro. Nach Abzug von Umweltbonus und Innovationsprämie sowie inklusive Steuern, Überführung und Bearbeitungsgebühr bleiben davon 41.200 Euro, die per Paypal, Kreditkarte oder Banküberweisung zu zahlen wären. Das kennt man so ähnlich schon von Tesla oder auch von Polestar.

Auf ins Verkehrsgewühl 
Das Exterieur ist den Aiways-Designern gut gelungen. Das "SUV-Coupé" kommt sehr schnittig daher, allemal in der (aufpreisfreien) Kontrast-Lackierung Canay-Yellow. Kleine Flips an den Stoßfängern vorn wie hinten unterstreichen den sportlichen Charakter des 4,80 Meter langen Mittelklasse-Stromers. Foto: Aiways
Auf ins Verkehrsgewühl
Das Exterieur ist den Aiways-Designern gut gelungen. Das „SUV-Coupé“ kommt sehr schnittig daher, allemal in der (aufpreisfreien) Kontrast-Lackierung Canay-Yellow. Kleine Flips an den Stoßfängern vorn wie hinten unterstreichen den sportlichen Charakter des 4,80 Meter langen Mittelklasse-Stromers. Foto: Aiways

Nur dass das Tesla-Einstiegsmodell mit der Nummer 3 (43.990 Euro) einen Tick, ein Polestar 2 (48.990 Euro) deutlich teurer ist – und der Aiways in der Startversion „Prime“ überhaupt keine aufpreispflichtigen Extras mehr benötigt: Ob 20-Zoll-Räder oder Assistenzsysteme – alles ist beim 4,80 Meter langen U6 bereits an Bord. Da könnte der eine oder andere schon ins Grübeln kommen. Zumal der sportliche-schnittige Aiways eine gefällige Erscheinung ist. Insbesondere in der Lackierung „Canary Yellow“, in der er uns für eine erste Testfahrt in Portugal zur Verfügung stand.

Prächtiges Platzangebot

Die Exterieur-Designer haben einen guten Job gemacht. Die Front im „Haifisch“-Style mit großem Maul, giftigen kleinen LED-Augen und einem schwarz abgesetzten Splitter sorgt für ein hohes Maß an Aufmerksamkeit und einen hohen Überhol-Faktor auf der Autobahn. Nicht minder scharf ist das abfallende und in einem kleinen Spoiler mündende Heck des Stromers gestaltet, den Aiways selbst als SUV-Coupé bezeichnet. Dabei dürfte allerdings die Betonung eher auf Sport denn auf Utility liegen: Ausritte in Gelände möchte man dem Fronttriebler nicht unbedingt zumuten.

Trotzdem ist der Nutzwert der Fließheck-Limousine aufgrund der großen Heckklappe und eines Radstands von 2,80 Metern beachtlich: Selbst Insassen mit 1,80 Metern Körpergröße können im Fond noch die Beine übereinanderschlagen. Auch das Kofferraumvolumen ist mit 472 Litern ganz ordentlich, größer jedenfalls als im Tesla Model 3 (340 Liter) und im Polestar 2 (405 Liter). Allerdings haben die beiden Wettbewerber vorne noch einen „Frunk“ genannten zweiten Stauraum – unter der Fronthaube des Aiways U6 ist dafür leider kein Platz geblieben.

Blau-Weiß-Rot 
Taiwanesen dürften sich an den Farbspielen im Innenraum erfreuen. In Kombination mit einer gelben Außenlackierung jedoch stellen sich jedoch Disharmonien ein. Wer sich damit nicht anfreunden kann: Ab Herbst gibt es auch ein schwarzes Interieur.
Blau-Weiß-Rot
Taiwanesen dürften sich an den Farbspielen im Innenraum erfreuen. In Kombination mit einer gelben Außenlackierung jedoch stellen sich jedoch Disharmonien ein. Wer sich damit nicht anfreunden kann: Ab Herbst gibt es auch ein schwarzes Interieur.

Im Fond werden sie sich zudem über ein riesiges Panormadach freuen, das den Blick zum Himmel öffnet. Aber vermutlich werden sich die Passagiere wie wir auch erst einmal fragen, wer bei Aiways bei Colour&Trim verantwortlich ist – und was der so intus hatte, als er die Farben für das Interieur festlegte. Denn egal ob der U6 kanariengelb, mintgrün, in Weiß oder Schwarz geordert wird – die mit echtem und „veganen Leder“ bezogenen Sitze und Türverkleidungen prangen stets in den Farben der Nationalen Volkspartei Chinas – also in einem beigen Weiß, in Rosarot und einem kräftigen Blau. Das will erst einmal verkraftet werden. Wer bei dem Anblick ein erhöhtes Risiko von Augenkrebs befürchtet, sollte seine Fahrzeug-Bestellung bis zum Herbst zurückhalten. Dann soll der Innenraum ohne Aufpreis ganz konventionell auch in schwarzen Tönen geordert werden können.

Navigation mit Smartphone und Pump-App

Nachdem unser erste Farb-Schock überwunden ist, können wir uns wieder auf die wesentlichen Dinge konzentrieren. Auf das Anpassen der bequemen Sitze vorne und des Lenkrads an die Körpergröße. Auf den Fahrstufenwähler an der Mittelkonsole, der an den Schubhebel eines Düsenjets erinnert, aber durch Drehen einer querliegenden Walze vom Vorwärts- in den Rückwärtsgang wechselt. Gut gemeint, schlecht umgesetzt.

Und es braucht auch etwas Zeit, um das Fahrtziel zu programmieren. Denn der Aiways verfügt zwar über ein volldigitales Cockpit mit einem 8,2-Zoll-Display hinter dem Lenkrad und einem 14,6-Zoll großen Touchscreen in der Mittelkonsole als „Infotainment-Monitor“. Aber ein Navigationssystem ist nicht im Angebot: Um sich in der Fremde zurechtzufinden und unterwegs beispielsweise eine Ladesäule ausfindig zu machen, soll zunächst die „Pump“-App der Potsdamer ‚800 Volt Technologies GmbH‘ auf das eigene Smartphone heruntergeladen und mit dem Bordsystem des Aiways verbunden werden – das Apple iPhone (noch) per Kabel. Bei Smartphones mit Android-System gelingt es bereits kabellos.

Fehl am Platz 
Mit einer maximalen Ladeleistung von 90 Kilowatt braucht sich der Aiways U6 erst gar nicht an einer 300kW-Ladesäule anzustöpseln. Er blockiert den Ladeplatz nur für Elektroautos, die über eine deutlich höhere Ladeleistung verfügen.
Fehl am Platz
Mit einer maximalen Ladeleistung von 90 Kilowatt braucht sich der Aiways U6 erst gar nicht an einer 300kW-Ladesäule anzustöpseln. Er blockiert den Ladeplatz nur für Elektroautos, die über eine deutlich höhere Ladeleistung verfügen.

Und wenn dann – wie in unserem Fall – nach gefühlt einer Viertelstunde – die Verbindung endlich hergestellt ist, erscheinen auf dem großen Touchscreen auch Routenempfehlungen samt Ladestopp-Empfehlungen und aktuellen Verkehrsinformationen. Der Service ist für Aiways-Kunden allerdings nur drei Monate lang kostenlos. Anschließend wird (wer dann nicht einfach zu Google Maps wechselt) eine Monatsgebühr von 4,99 Euro fällig.

Maximale Ladeleistung 90 kW

Die Smartphone-Integration erspart dem Autohersteller und auch dem Käufer Geld, Premium ist eine solche Hilfskonstruktion gleichwohl nicht. Und auch an anderen Stellen zeigt sich sehr schnell, wo Aiways gepart hat. An der Abdeckung des Koferraums. Oder, noch schmerzlicher, bei der Ladetechnik beispielsweise. Der U6 kann seinen 63 kWh fassenden Akku zwar wie inzwischen die meisten Elektroautos mit 11 kW an öffentlichen Wechselstrom-Ladesäulen befüllen (beim U5 waren es anfangs nur 6,6 kW), aber an Schnellladestationen sieht das elektrische Sportcoupé dann nicht mehr so dynamisch aus: Gleichstrom zieht er nicht mit mehr als 90 kW. Das Heben des Ladestands von 20 auf 80 Prozent soll damit 35 Minuten dauern. Für eine vollständige Ladung von 0 auf 100 Prozent muss da wahrscheinlich eine Stunde veranschlagt werden. Da ist selbst ein Opel Corsa-e schneller (max. Ladeleistung 100 kW), vom Tesla (240 kW) ganz zu schweigen.

Hier sollte die Chinesen also schnell nachbessern. Zumal, wie Europa-Chef Alexander Klose lobt, das Team im Hauptquartier sehr lernfähig sei: Kritik werde sehr schnell angenommen und in Verbesserungen umgesetzt. Das zeigt sich nicht nur an der im Vergleich zum U5 deutlich höheren Verarbeitungsqualität und der gelungenen Fahrwerksabstimmung. Es zeigt sich auch beim Antrieb: Statt eines Zuliefererteils wie im U5 sorgt nun im U6 ein von Aiways selbst konstruierter und gebauter hochdrehender Synchronmotor für den Vortrieb, der dynamischer auf die Fahrbefehle reagiert.

Testverbrauch um die 19 kWh/100km

Der Motor verfügt über eine nur geringfügig höhere (160 statt 150 kW) Leistung und nur etwas mehr Drehmoment (315 statt 310 Nm), glänzt aber mit einer kompakteren Bauweise und einer höheren Effizienz: Der WLTP-Normverbrauch ist mit 16,6 kWh/100 km angegeben – das wären gegenüber dem U5 (17,5 kWh/100km) immerhin über fünf Prozent weniger. Aber Normverbräuche sind bekanntlich Traumwerte. Auf unserer (relativ kurzen) Testfahrt kamen wir auf einen Schnitt von rund 19 kWh/100km. Was im direkten Vergleich mit dem U5 (22,5 kWh/100 km) eine spürbare deutliche Verbesserung wäre.

Von wegen "Frunk" 
Unter der Fronthaube des Aiways U6 sitzt die komplette Antriebseinheit. Geöffnet werden muss sie im Normalfall nur, wenn die Scheibenwaschanlage nachgefüllt werden muss. Ein Ablagefach für das Ladekabel wie im Polestar 2 fehlt hier.
Von wegen „Frunk“
Unter der Fronthaube des Aiways U6 sitzt die komplette Antriebseinheit. Geöffnet werden muss sie im Normalfall nur, wenn die Scheibenwaschanlage nachgefüllt werden muss. Ein Ablagefach für das Ladekabel wie im Polestar 2 fehlt hier.

Reichweiten von über 300 Kilometer wären damit realistischerweise darstellbar, die vom Hersteller genannten 400 Kilometer vermutlich nur im reinen Stadtverkehr. Damit ist der Aiways U6 trotz seines geringen Gewichts von 1790 Kilogramm beileibe kein Überflieger. Ein Renault Megané E-Tech – um mal einen anderen Wettbewerber zu nennen – kommt dank eines Leergewichts von 1708 Kilogramm in der Topversion auf Durchschnittsverbräuche um die 18 kWh/100 km und mit einer ähnliche Akkukapazität (60 kWh) auf Reichweiten auch im Alltagsbetrieb um die 360 Kilometer.

Ehrgeizige Absatzziele in Europa

Was spräche da für den Aiways? Im Vergleich zum Renault das deutlich bessere Platzangebot, im Vergleich zum Polestar 2 und Tesla Model 3 der etwas günstigere Preis. Doch die niedrigen Ladeleistungen am Schnelllader sind ein echtes Handicap des Newcomers. Und gemessen daran haben die Marketingexperten möglicherweise etwas zu hoch gegriffen beim Prizing. Für 40.000 Euro (vor Umweltbonus) wäre der Aiways U6 ein „Schnapper“ gewesen, eine echte Alternative zu den drei genannten Wettbewerbern. So aber dürfte es schwer werden, die angepeilten Absatzziele in Europa zu erreichen. Im vergangenen Jahr wurde das Absatzziel von 10.000 Fahrzeugen in den 16 Auslandsmärkten von Aiways verpasst, für 2023 soll die Zielmarke dank des U6 deutlich übertroffen werden. Die Euronics-Genossen, die auch das Elektroauto im Angebot haben, werden sich ordentlich ins Zeug legen müssen.

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