Es war einer dieser Tage, die Designer nicht immer erfreuen. Es ging um den Nachfolger des Audi A8. Marc Lichte, oberster Formgeber des Ingolstädter Autobauers, sollte seine Ideen der Chefetage des VW-Konzerns präsentieren. Normalerweise eine Situation, bei der die Kreativität der Formengeber eingebremst wird. „Zu teuer“, „technisch nicht realisierbar“ oder schlicht „trifft den Geschmack der Kunden nicht“. Doch diesmal kam alles anders. VW-Konzernboss Herbert Diess erteilte Marc Lichte mit der Aussage: „Audi war immer dann erfolgreich, wenn man mutig war“ quasi einen Persilschein, um neue Wege zu beschreiten.
Zu 80 Prozent bereits serienreif
Das lässt sich ein kreativer Kopf nicht zweimal sagen. Das Resultat: Die Studie Audi Grandsphere Concept, die auf der IAA Mobility in München steht. Sie gibt einen ziemlich konkreten Ausblick auf die nächste Generation des dann vollelektrischen Audi A8. Auf 75 bis 80 Prozent schätzt Marc Lichte die Serienreife des Konzeptautos ein, das mit einer Länge von 5,35 Metern und einem Radstand von 3,19 Metern eine bemerkenswerte Präsenz hat.
Audis neues Flaggschiff, das zum Jahreswechsel 2024/25 eine neue Ägide einläuten soll, bricht mit vielen Konventionen, nicht nur beim Antrieb. Zunächst führt der Audi Grandsphere den Betrachter optisch in die Irre. Blickt man schräg von hinten auf die Studie, kommt einem die Fronthaube noch relativ normal vor. Sobald man nach vorne geht, sieht man, dass von der mächtigen Kühlerhaube, die einst ein Statussymbol mächtiger Motoren war, nicht mehr viel übriggeblieben ist. „Die Haube ist radikal kurz. Die kürzeste, die ich je entworfen habe“, sagt Marc Lichte. Kein Wunder: Dort arbeitet künftig einer der beiden Elektromotoren.
Über 750 Kilometer Reichweite dank 120 kWh-Akku
Ähnlich gewöhnungsbedürftig ist die Silhouette des Konzeptautos, die mehr einem GT ähnelt als einer klassischen Stufenheck-Limousine, deren Zeit wohl ohnehin vorbei ist. Doch auch hier täuscht der Eindruck. Der Audi Grandsphere ist im Grunde ein Van mit jeder Menge Platz. Ein elegantes Fahrzeug, mehr Gleiter als Trutzburg. Kniffe wie die weit ausgestellten Seitenscheiben, die sich zum Dach hin schlagartig nach innen verjüngen und der markante Heckspoiler resultieren in einer sehr guten Aerodynamik, die sich in einem Plus an Reichweite auswirkt.
Die soll dank einer 120-Kilowattstunden starken Batterie im Fahrzeugboden mehr als 750 Kilometer betragen. Beim Laden setzen die Audi-Ingenieure aktuell noch auf die 800-Volt-Technik, aber bis Ende 2024 fließt noch viel Wasser die Donau hinunter. Kraft hat der Audi Grandsphere genug. Die kommt von zwei Elektromotoren mit insgesamt 530 kW / 721 PS Leistung, einem Drehmoment von 930 Newtonmetern und einer Höchstgeschwindigkeit jenseits der 200 km/h.
Das ist fahrdynamische Souveränität pur, aber alte Welt. Die neue Welt heißt autonomes Fahren. Der Grandsphere soll in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts das Robo-Fahren des Level 4 beherrschen. Ambitionierte Pläne, wenn man sich vor Augen hält, wie schwer sich der aktuelle Audi A8 mit dem autonomen Fahren auf Level 3 tut.
Lenkrad und Pedale verschwinden auf Knopfdruck
Platz ist der neue Luxus. Deswegen wurde der Grandsphere von innen nach außen entwickelt. „Wir machen aus der Business Class hinten rechts die First Class vorne links. Das ist eigentliche Revolution“, strahlt Mark Lichte. Auf Wunsch kann die Sitzlehne auf 60 Grad nach hinten geneigt werden. Die Sitzprobe ergab, dass man wirklich wie im Flieger von München bis nach Hamburg durchschlafen kann. Auch, weil die Pedale und das Lenkrad auf Knopfdruck komplett verschwinden. Das wird bei der Serie anders sein, da wird das Volant sich zwar zurückziehen, aber sichtbar bleiben.
Zum überragenden Raumgefühl trägt auch das gen Windschutzscheibe gerückte geschwungene schmale Armaturenbrett bei, das ein durchgängiges Display ziert. Beim Konzeptauto werden die Anzeigen wie bei einem Beamer auf die Holz-Applikationen projiziert. „Wir arbeiten wir noch an der Umsetzung“, ordnet Marc Lichte die Technik ein. Im ersten Schritt wird der Audi Grandsphere noch mit konventionellen Monitoren bestückt werden.
Die Displays können aber nicht nur für Informationen zur Geschwindigkeit oder der Restreichweite genutzt werden, sondern auch für Videospiele, Filme oder dem TV-Programm. Um dieses Infotainment realisieren zu können, wird der Ingolstädter Autobauer Hightech-Giganten wie Apple, Google oder Streamingdienste wie Netflix ins Boot.
So kann eine automobile Mutprobe aussehen. Übrigens hat auch Audi-Chef Markus Duesmann beim Anblick des Grandsphere den Daumen nach oben gereckt.
Irgendwie sehen diese Designstudien alle gleich aus: Hauchdünne Schalensitze, ein riesiger UFO-artiger Innenraum mit Lounge-Charakter und gegenläufigen Türen. In der Serie kann man den Entwurf dann kaum noch wieder erkennen. Ich bin gespannt, was hiervon übrig bleibt.