Keine Marke hat weltweit im vergangenen Jahr mehr elektrisierte Fahrzeuge verkauft als BYD. Drei Millionen Modelle mit Stecker sind eine gigantische Zahl, von der die meisten Hersteller nur träumen können. 50 Prozent oder knapp 1,6 Millionen Autos davon waren reine Elektromodelle, was dem chinesischen Autobauer Platz zwei hinter Tesla sicherte – die Kalifornier brachten es auf einen Verkauf von etwas mehr als 1,8 Millionen Stromern.
In Europa trat BYD im vergangenen Jahr mit vier Modellen an: Neben der fünf Meter langen Limousine Han und dem SUV Tang mit dem Kompaktautos Atto 3 und Dolphin. Mit der Mittelklasse-Limousine Seal und dem SUV Seal U kommen nun zwei Familienautos hinzu, die nicht nur Tesla, sondern auch den etablierten Autobauern in Europa einige Sorgen bereiten dürften – nicht nur mit einer aggressiven Preisgestaltung. Das zeigt ein Vergleich des Seal mit dem BMW i4 eDrive 35, dem vollelektrischen Gran Coupé aus Bayern.
Die 4,80 Meter lange Elektro-„Robbe“ aus Fernost basiert auf der 3.0-Elektroplattform des BYD-Konzerns, die eine wichtige Neuerung aufweist: Bei der sogenannten Cell-to-body-Konstruktion (CTB) anstelle einer Cell-to-pack-Konstruktion (CTP) sind die Batteriezellen direkt mit der Karosseriestruktur verwoben. Der obere Teil der Batterie und der Boden des Fahrzeugs sind ein und dasselbe Teil, was für eine geringere Sitzhöhe und sportlichere Fahrerposition sorgt, mehr Kopffreiheit bringt und ganz nebenbei die Torsionssteifigkeit der Karosserie verbessert. Mit einem Luftwiderstandsbeiwert von 0,22 zählt der Seal – entworfen von Ex-Audi-Chefdesigner Wolfgang Egger – zu den aerodynamisch besten Autos auf dem Markt.
An Leistung herrscht kein Mangel
Die in allen europäischen BYD-Modellen eingesetzte Blade-Batterie verwendet die Lithium-Eisenphosphat (LFP)-Chemie und ist dank der Integration aller Komponenten in einem einzigen Modul besonders flach. Im Seal hat sie eine Kapazität von 82 kWh, was für eine Reichweite von bis zu 570 Kilometern gut sein soll. Der Seal wird als „Design“-Version mit Hinterradantrieb und einem Permanentmagnet-Synchronmotor angeboten, der 230 kW oder 313 PS bei einem maximalen Drehmoment von 360 Nm leistet. Auf Wunsch ist der Seal als „Excellence“ auch mit einem zusätzlichen, 160 kW oder 218 PS starken Asynchron-Frontmotor mit 218 PS verfügbar, womit die Antriebsleistung auf 390 kW (531 PS) steigt.
Wir haben den BYD Seal in Portugal mit dem BMW i4 vergleichen können, der in der heckgetriebenen Einstiegsversion mit einer Antriebsleistung von 210 kW (286 PS) und einem maximalen Drehmoment von 400 Nm ausgeliefert wird. Die fast identischen Abmessungen (4,80 Meter Länge, 1,87 Meter Breite und 1,46 Meter Höhe) bestätigen, dass die beiden Autos direkte Konkurrenten sind. Allerdings hat der Seal einen sieben Zentimeter längeren Radstand, was den Passgieren im Fond etwas mehr Kniefreiheit gibt.
Qualitativ auf Augenhöhe
Der BMW i4 glänzt dagegen mit seiner großen Heckklappe und einem Kofferraum, der mit einem Stauvolumen von 470 Litern den Chinesen um 70 Liter übertrifft. Dieser versucht dies durch ein zweites Staufach unter der Fronthaube zu kompensieren. So lässt sich das Ladekabel noch leicht erreichen, wenn der Kofferraum voll beladen ist. Bei beiden Fahrzeugen können die Rücksitzlehnen umgeklappt werden, wobei der Laderaum des i4 etwas flacher ist als der des Seal.
Von der soliden und im Vergleich zum BMW sogar etwas besseren Schließung der Türen bis zu den Soft-Touch-Oberflächen oder dem doppelten Verbundglas in den vorderen Türfenstern, bietet der BYD Seal ein in dieser Klasse hohes Maß an subjektiv erlebbarer Qualität. Der zentrale Touchscreen mit seiner 15,6-Zoll-Diagonale kann hier auf Knopfdruck sogar um 90 Grad gedreht werden, was für manche Anwendungen sinnvoll ist. Der BMW i4 verfügt über zwei fixe Monitore, die nebeneinander liegen und sich leicht zum Fahrer hin krümmen. Einen 12,3 Zoll großen für die Instrumente und einen im 14,9 Zoll-Format für das Infotainment. Das Betriebssystem des BMW arbeitet intuitiver, ist funktioneller und die Sprachsteuerung ist deutlich besser als im BYD.
„Multi-Energy“-Plattform des BMW kostet Platz
Die Vordersitze beider Modelle mit integrierten Kopfstützen sind breit, bequem und bieten ausreichend Seitenhalt: hier wie da lässt es sich auch auf längeren Fahrten gut aushalten. Die Sicht nach hinten ist wegen der wuchtigen C-Säulen hingegen gleichermaßen schlecht, was durch Rückfahrkameras und digitale Spiegel ausgeglichen wird. Beim Platzangebot im Innenraum ist der Seal hingegen klar im Vorteil. Das liegt zum einen am sechs Zentimeter größeren Radstand, vor allem aber daran, dass er auf einer speziellen Elektro-Plattform aufbaut.
Technische Daten
BYD Seal „Design“
Antrieb (Heck) mit 230 kW / 313 PS Leistung;
Max. Drehmoment: 360 Nm;
Höchstgeschwindigkeit: 180 km/h;
Beschleunigung 0 – 100 km/h: 5,9 Sekunden;
Verbrauch: 16,6 kWh/100 km (WLTP) – gemessen: 19 kWh/100 km;
Akkukapazität: 82,5 kWh, Reichweite: 570 km (WLTP-Norm);
Leergewicht: 2.055 kg;
Preis: ab 44.990 Euro.
Der i4 hat hingegen das Handicap, dass BMW für das Modell eine Multi Energy-Plattform nutzt – als 4er Gran Coupé ist es auch noch mit Benzin- und sogar Dieselmotoren erhältlich. auch mit Verbrennern zu bekommen ist. So reisen die Passagiere im BYD spürbar komfortabler. Ein weniger relevanter Ausgleich im i4: Die Rückbank ist flacher und die Sitzlehnen stehen senkrechter. Der Seal ist dafür serienmäßig mit einem Panoramadach ausgestattet, das sich über die gesamte Länge der Kabine erstreckt und für mehr Helligkeit im Innenraum sorgt. Für den i4 gibt es lediglich ein kleineres Glasschiebedach – gegen einen Aufpreis von 1200 Euro.
Die Abstimmung des Fahrwerks ist im über zwei Tonnen schweren Seal ganz klar auf Komfort ausgelegt: Fahrbahnunebenheiten werden hier wirksam abfedert. Die sehr gute Isolierung macht die Fahrt bei allen Geschwindigkeiten sehr leise; auch dank der Doppelverglasung vorne, der besseren Aerodynamik und einer Innenverkleidung der vorderen Haube. Dynamisch jedoch ist der Bayer dem Chinesen in vielen Punkten überlegen. Das gilt insbesondere für die Bremsen, mit einem direkteren Ansprechen als beim Seal. Und auch wenn die Lenkung des BYD direkter ist (2,5 gegenüber 2,7 Lenkradumdrehungen von Anschlag zu Anschlag), ist die des ebenfalls knapp 2,1 Tonnen schweren BMW deutlich präziser und kommunikativer. So wirkt der i4 bissiger und auch sportlicher als der kommodere Seal. Mit einer Höchstgeschwindigkeit von 190 km/h übertrifft er den Seal um 10 km/h, was im Alltag allerdings keine Rolle spielen dürfte.
Größerer Akku trägt die „Robbe“ weiter
Bei der Rekuperation gibt es unterschiedliche Strategien. Der BYD zeigt geringe Amplituden bei der Energierückgewinnung in den beiden Stufen, die auf dem zentralen Bildschirm ausgewählt werden können: Beim Abbremsen aus 120 km/h werden hier etwa 52 kW in „High“ und 19 kW in „Standard“ zurückgewonnen. Beim BMW beträgt die Energie-Rückgewinnung bei der gleichen Geschwindigkeit 60 kW im Fahrmodus B und nahezu null im Drive-Modus. Darüber hinaus verfügt der BMW über die Funktion des „One Pedal Drive“, der die Fußbremse nahezu arbeitslos macht. Der BYD verzichtet darauf.
In Bezug auf die Reichweite schneidet der Seal dafür besser ab, denn seine Batterie ist mit 82 gegenüber 70 kWh nennenswert größer, was ihm in Verbindung mit einem geringeren Testverbrauch (etwa 19 kWh/100 km gegenüber 22 kWh beim BMW i4) eine Reichweite von fast 500 Kilometern ermöglicht. Der Fahrer des i4 dürfte hingegen kaum über 350 Kilometer hinauskommen. Für Kunden, für die die Reichweite ein entscheidendes Kriterium ist, gibt es allerdings andere i4-Versionen mit größerer Batterie (81,1 kWh) und entsprechend größerer Reichweite (590 Kilometer).
Am Preis scheiden sich die Geister
In beiden Autos sind die Batterien darauf vorbereitet, sich eine volle Ladung Wechselstrom mit maximal 11 kW zu gönnen. Aufgrund der größeren Batterie dauert es im BYD 8,5 Stunden und sieben Stunden im BMW. Noch deutlicher werden die Unterschiede an der mit Gleichstrom betriebenen Schnellladestation. Hier zieht der BYD Seal den Strom nur mit maximal 150 kW, der BMW i4 immerhin mit 180 kW. In beiden Fällen vergehen allerdings über eine halbe Stunde, ehe die Kapazität des Akkus von 10 auf 80 Prozent gestiegen ist. Interessant: BMW gibt auf die Batterie eine Garantie von zehn Jahren oder 250.000 Kilometern. Bei BYD beträgt sie nur acht Jahre oder 200.000 Kilometer.
Technische Daten
BMW i4 eDrive 35
Antrieb (Heck) mit 210 kW / 286 PS Leistung;
Max Drehmoment: 400 Nm;
Höchstgeschwindigkeit: 190 km/h;
Beschleunigung 0 – 100 km/h: 6,0 Sekunden;
Verbrauch: 15,8 kWh/100 km (WLTP) – gemessen: 22 kWh / 100 km;
Akkukapazität: 70,2 kWh, Reichweite: 478 km (WLTP);
Leergewicht: 2.065 kg;
Preis: ab 56.500 Euro.
Scheiden dürften sich die Geister aber letztlich beim Preis. Der BYD Seal in der heckgetriebenen Version Design wird bereits ab 44.990 Euro angeboten, der vollausgestattete Allradler für 50.990 Euro. Der heckgetriebene BMW i4 eDrive35 hingegen startet erst bei 56.500 Euro, für den Allradler sind wenigstens 71.100 Euro zu überweisen. Unter dem Strich ist der BMW i4 eDrive 35 zwar das Elektroauto, das erlebbar mehr Fahrspaß bereitet und für einen spürbaren Premiumanspruch steht. Doch der günstige Preis und der etwas größere Innenraum lassen den BYD Seal unseren kleinen Vergleich letztlich als Sieger über die Ziellinie gehen.