„Die Neue Klasse ist unser Jahrhundertprojekt“, sagt BMW-Einkaufsvorstand Joachim Post. Ziemlich dick aufgetragen, könnte man meinen. Doch für den Autobauer ist die nächste Generation seiner Batterieautos tatsächlich ein wegweisendes Unterfangen. Denn es geht nicht nur um die reine Elektromobilität – die gesamte BMW-Produktpalette soll von der neuen Technik profitieren. Einen Schub bekommen, wie es Post ausdrückt. Das ergibt Sinn, den Batterietechnologie, Software und der Antrieb sind Schlüsselkomponenten für die emissionsfreie Automobilität der Zukunft. Bei einem Vollstromer, einem Plug-in-Hybrid-Modell oder einem Elektroauto mit einem Verbrennungsmotor als Range Extender.

Der kantige Elektro-SUV ist das erste Fahrzeug der sogenannten Neuen Klasse, die neue Standards im Bau von Elektroautos setzen soll.
Zunächst will BMW Ende des Jahres mit dem iX3, dem ersten Modell mit der neuen Technik, für einen Aha-Effekt bei den Kunden, aber auch deutschen und chinesischen Konkurrenten sorgen. Die Modelle der Neuen Klasse sollen rund 20 Prozent effizienter sein und etwa 30 Prozent schneller den Strom laden. Zudem soll das elektrische Antriebssystem (eDrive system) etwa 50 Prozent günstiger sein als bisher.
1000 Kilometer Reichweite sind nicht mehr fern
Ebenso wichtig ist, dass die Reichweite des Fahrzeugs bei gleicher Batteriekapazität und Gewicht um 30 Prozent steigt. Wenn man sich vor Augen hält, dass der iX xDrive 60 heute bereits bis zu 701 Kilometer weit mit einer Batterieladung fährt, kratzt es bei einem Plus von 30 Prozent schon an der Tausend-Kilometer-Marke. Spätestens dann würde das Thema Reichweitenangst der Vergangenheit angehören. Allerdings sollte man sich von diesen Zahlen nicht zu sehr blenden lassen, da auch andere Hersteller ihre Batterien sowie Steuergeräte weiterentwickeln und einen ähnlichen Technologiesprung hinlegen können.

Der Energy Master wird in Landshut mit einem sehr hohen Automatisierungsanteil von mehr als 80 Prozent produziert. Rund eine Milliarde Euro hat BMW dafür in den Komponentenstandort in den vergangenen Jahren investiert.
Trotzdem fallen solche Werte nicht einfach so vom weißblauen Himmel. Dafür sind einige grundlegende Veränderungen nötig. Nicht nur an der Batterie und den Motoren, sondern am ganzen Auto. Also auch an den Steuergeräten und der Software. Aber eines nach dem anderen.
Batteriezellen sind Teil der Karosserie
BMW wechselt bei den Energiespeichern auf selbstentwickelte zylindrische Zellen. Zwei Varianten stehen zur Wahl: eine mit 95 Millimetern und eine mit 120 Millimetern Höhe. Der Durchmesser bleibt mit 46 Millimetern gleich. Also sind die Akkus ziemlich flach, durch das „Pack-to-open-Body-Konzept“ Teil der Karosserie. Und sie schließen das Auto nach unten ab. Das spart Gewicht und Kosten. Bei der Montage der BMW-Energiespeicher gilt das Prinzip: Local-to-local, also in den wichtigsten Absatzregionen und nahe an den Fahrzeugfabriken: Irlbach-Straßkirchen (Niederbayern), Debrecen (Ungarn), Shenyang (China), San Luis Potosí (Mexiko) und Woodruff bei Spartanburg (USA).

BMW setzt künftig auf selbstentwickelte zylindrische Zellen. Zwei Varianten stehen zur Wahl: eine mit 95 Millimetern und eine mit 120 Millimetern Höhe. Der Akku baut extrem flach und lässt sich so leichter in die Karosserie integrieren. Bilder: BMW
Die Akkus beherrschen die 800-Volt-Technik und können bidirektional laden, also auch als Energiequelle zum Beispiel eines Hauses dienen. Das sollte im Jahre 2025 bei einem Premiummodell selbstverständlich sein. Da bei BMW auch in Zukunft die Technologieoffenheit eine Leitmaxime sein wird, können diese Batterien auch mit 400 Volt laden. „Je nach Marktanforderung“, heißt es in München.
Hohe Fertigungstiefe
Letztendlich könnte es aber bedeuten, dass die Modelle der Kompaktklasse oder Minis mit 400 Volt Strom laden, da dies günstiger ist. Der sogenannte „Energy Master“ steuert diese Funktionalitäten und ist gleichzeitig die Schnittstelle für das weiterhin notwendige 12-Volt-Netz. Hier gibt es einen wichtigen Fortschritt zu vermelden: Anders als bisher sitzt der „Energy Master“ auf den Akkus und ist nicht Teil des komplexen Systems. Das hilft, sobald Fehler auftreten.

Anders als bisher sitzt die Steuereinheit auf dem Akku und ist nicht mehr Teil des komplexen Systems. Das hilft, sobald Fehler auftreten.
Getreu dem Motto: Alles in bayerischer Hand hat BMW sowohl die Soft- und Hardware dieses Dirigenten selbst entwickelt. Das erhöht die Reaktionsgeschwindigkeit bei neuen Entwicklungen. BMW hält das Steuer fest in der Hand, entscheidet, welche Komponenten man selbst herstellt oder an Zulieferer delegiert. Das wiederum senkt die Kosten. Aus diesem Grund wird der Energy Master auch in Landshut mit einem sehr hohen Automatisierungsanteil von mehr als 80 Prozent produziert.
Power-Unit aus dem Reinraum
„Wir sind im Hochlohnland Deutschland“, erklärt der verantwortliche Techniker. Die Roboter sind sehr flexibel, haben selbstentwickelte Greifer, um mehrere Aufgaben zu erfüllen und können zudem anders als herkömmliche Maschinen auf einer Schiene vor und zurückfahren. Auch sind sie in der Lage, das Bauteil zu drehen und wenden – ganz wie es für die Montage erforderlich ist. Künstliche Intelligenz hilft bei der Auswahl der richtigen Schrauben und Kameras stellen die Qualität sicher. Aus Angst vor „Killerpartikeln“ (BMW), die zu Fehlfunktionen führen können, läuft die Herstellung der Power-Unit für die Hochvolt Elemente in einem Sauberraum ab.
Ganz ohne Menschen und deren Tastsinn geht es jedoch nicht. Sobald Kabelbäume und Stecker montiert werden, greift der Homo Sapiens ein, da er ein Gefühl dafür hat, ob eine Verbindung wirklich richtig sitzt. Allerdings tüfteln die BMW-Techniker bereits daran, dass Roboter auch diese Aufgabe übernehmen.
Vier Rechner und vier neue E-Motoren
Die Neue Klasse ist für BMW ein großer Schritt zum Software Defined Vehicle. Auch hier soll die Eigenleistung möglichst groß sein. Vier leistungsfähige Rechner haben künftig das Sagen: Einer ist für die Fahrdynamik zuständig, einer für das gesamte Infotainment inklusive dem BMW Panoramic Vision-Display, der dritte steuert die Assistenzsysteme und die autonomen Fahrfunktionen. Und der vierte ist für grundlegende Funktionen wie die Klimatisierung des Autos und das Datenmanagement verantwortlich.

Die neuen Elektromotoren für die Neue Klasse hat BMW selbst entwickelt. Sie sollen leichter, effizienter und günstiger sein als bisher.
Zur Freude am Fahren braucht es auch in Zukunft die entsprechenden (Elektro-)Motoren. Auch da legt die Neue Klasse zu. Statt wie bisher bis zu zwei EESM-Maschinen (Elektrisch erregte Synchronmaschine) können es in Zukunft maximal vier Elektromotoren sein, die sowohl leichter, effizienter als auch günstiger sind als bisher. „Wir haben die E-Drive-Einheiten in jedem Detail verbessert“, erklärt Techniker Michael Salmansberger und deutet auf die E-Maschinen der sechsten Generation.
Elektroantrieb knackt die 1000-kW-Marke
Die technischen Details sind spannend: BMW plant aktuell mit vier Varianten der EESM-Motoren, die jeweils rund 125 Kilogramm wiegen und zwischen 200 kW (272 PS) und 300 kW (408 PS) leisten. Zwei Untersetzungen mit drei Zahnrädern machen ein Zweiganggetriebe überflüssig. Damit sind bei den M-Modellen locker 800 kW oder 1.008 PS drin.
Dass dies kein Fabelziel ist, haben die Münchner mit der Studie BMW Vision Driving Experience unlängst selbst angedeutet. Vermutlich wird der iM3 mit vier EESM-Motoren die 1.000 kW-Marke knacken. In Bayern lässt man sich ungerne von einem Tesla auf der Nase herumfahren. Am Anfang backt man aber zunächst noch kleinere Brötchen. So startet der neue BMW iX3 mit einem EESM-Motor an der Hinterachse, ergänzt durch einen ASM-E-Motor (Drehstrom-Asynchron-Maschine) an der Vorderachse, der zwischen 120 kW und 180 kW leistet und rund 75 kg auf die Waage bringt. Die Vorderachse greift nur bei Bedarf in das Geschehen ein. Das spart Energie und Kosten.
„Dieser BMW fährt sich wie keiner zuvor“, schwärmt Joachim Post. Bis 2030 sollen rund 50 Prozent der verkauften BMWs reine Elektromodelle sein. Doch eines schaffen auch die Münchner mit der Neuen Klasse noch nicht: Kostenparität zum Verbrenner herzustellen. Es gibt weiterhin einen E-Aufschlag.