In China gehören blumige Bezeichnungen zum Konzept. „Xuanji“ bedeutet in die deutsche Sprache übersetzt so viel wie „Nordstern“. Eigentlich nichts Außergewöhnliches, doch dem einen oder anderen teutonischen Automobilmanager dürfte bei diesem Begriff bald das Frühstücksmüsli im Hals stecken bleiben. Denn hinter diesem Namen verbirgt sich ein Teil einer großangelegten Technologie-Offensive des chinesischen Autobauers BYD, die das Infotainment und die Konnektivität noch einmal eine Stufe höher hebt und dem Autofahren damit eine neue Qualität verleiht.
Sicherlich ist nicht alles, was die zunehmend selbstbewusst auftretenden Asiaten als den letzten Schrei und „Best in Class“ anpreisen, so bahnbrechend und einzigartig, wie es die markigen Worte vermuten lassen. Aber der Trend ist eindeutig. Während der VW-Konzern lange Schwierigkeiten hatte, ein reibungslos funktionierendes Infotainment mit selbst geschriebener Software ins Auto zu bringen und sich letztlich mit Google verbinden musste, nehmen die Chinesen ihr Bits-und-Bytes-Schicksal in die eigene Hand – und es funktioniert.
Dass Infotainment weit mehr ist als präzise Navigationskarten und eine reibungslos funktionierende Bluetooth-Verbindung, ist jedem klar. Doch BYD zeigt, wohin die Reise geht und dass man unkonventionelle Wege einschlagen muss, um auf dem Heimatmarkt erfolgreich zu sein. Im Reich der Mitte ist das eigene Auto so etwas wie ein rollendes Wohnzimmer. Nicht wenige Angestellten verbringen ihre Mittagspause nicht im Büro mit den Kollegen, sondern in den eigenen vier Blechwänden. „Das Auto soll ein vertrauter Partner, ein Freund sein“, sagt ein BYD-Ingenieur.
Das Auto wird zur Spielkonsole
Wieder so eine Floskel aus dem Marketing-Lehrbuch. Für den chinesischen Autobauer gilt das nur bedingt. Ein smartes Cockpit soll zum Verweilen einladen, auch wenn der Wagen steht. Auf Wunsch verwandelt sich das Auto in eine Videospielkonsole, auf der der Fahrer ein Rennspiel zocken kann. Die Monitore sind groß genug und das Lenkrad fungiert als Gamepad. Da das Volant von den Rädern entkoppelt wird, kann man sich auf der virtuellen Nordschleife richtig ins Zeug legen.
Vermutlich auch deshalb setzt BYD auf Steer-by-Wire, bei der das Lenkrad keine Lenksäule mehr hat. Diese Technik entspricht im Grunde der eines Force-Feedback-Lenkrads, das bei einem Videospiel eingesetzt wird. Also ist die Umsetzung leichter als man glaubt. Bis zu 16 Zoll große Monitore und ein bombastisches Soundsystem gehören beim Innenraum der BYD-Modelle ohnehin zum guten Ton.
Wer lieber Karaoke-Hits schmettert, kann dies ebenfalls tun. Wie die Tüftler im BYD-Hauptquartier ticken, merkt man am nächsten Feature, das den meisten europäischen Automobilisten vermutlich deutlich zu verspielt und dem Gesetzgeber nicht geheuer ist, aber in Asien (und sicher auch anderenorts) seine Fans finden wird. Denn bald soll auch eine Drohne an Bord sein, die vom Auto aus gestartet wird, dem Wagen bis zu einer Geschwindigkeit von 50 km/h folgt und auf Wunsch Fotos und Videos erstellt, ehe sie wieder landet und aufgeladen wird. Zu diesem Zweck arbeiten die Chinesen bereits mit dem renommierten Drohnenhersteller DJI zusammen.
Autonom fahren auf Level 3
Beim autonomen Fahren hört dann der Spaß sowieso auf. BYD ist längst in das Wettrennen um das Robo-Fahrzeug eingestiegen und jetzt legt das Unternehmen erstmals die Karten offen auf den Tisch. Die Chinesen erreichen zwar noch nicht Level 3, da der Wagen maximal 30 Sekunden selbsttätig fährt. Aber auf einer 19,8 Kilometer langen Testrunden durch Shenzhen inklusive einer kurzen Strecke über die Stadtautobahn gibt der autonom agierende Denza N7 eine gute Figur ab.
Vor allem das Einfädeln und das Ausweichen von Hindernissen absolviert das Fahrzeug ziemlich geschmeidig. Es funktioniert ohne abruptes Abbremsen und das Anfahren erfolgt samtartig. Auch an einer roten Ampel verzögert das System gefühlvoll – ähnlich wie ein menschlicher Fahrer. Als unvermittelt ein motorisiertes Zweirad die Fahrbahn kreuzt, reagiert der Auto-Pilot vorausschauend und geht sachte sofort vom Gas.
Künstliche Intelligenz, na klar, spielt bei BYDs automobiler Zukunft eine wichtige Rolle. „Das Auto soll wie das menschliche Gehirn funktionieren, in dessen beiden Hälften verschiedene Daten gespeichert werden“, erklärt der Techniker und meint damit KI, die in der Cloud oder im Auto agiert. Also kein grundlegend neues Konzept, da das Vehikel ohnehin zu einem rollenden Hochleistungscomputer mutiert.
Drei neue Elektroautos der Extraklasse
Damit soll eine Antwort auf eine Spracheingabe innerhalb von 300 Millisekunden erfolgen. Wie bei Audi und anderen deutschen Herstellern auch, wird eine leistungsstarke Recheneinheit, bei dem die Meldungen der Sensoren zusammenlaufen, den Taktstock schwingen. So ist das Auto nicht nur mit dem 5G-Netz verbunden, sondern zusätzlich auch mit einem Satellitennetzwerk.
Begleitet wird diese Technik-Offensive von einer Reihe neuer Autos, wie den Bao 5 (ein SUV in der Größe des Land Rover Defenders), dem Mercedes-EQG-Konkurrenten BYD Yangwang U8 und seinem Hypercar-Verwandten BYD Yangwang U9. Ob und wann die drei Elektroautos nach Europa kommen und hier das Angebot von BYD rund um den Seal und Dolphin ergänzen, steht noch nicht fest. Bei den Technologie-Features ist es nur noch eine Frage der Zeit.