Berlin-Marzahn? Hui, das riesige, immer noch ganz schön kahle Ost-Revier der Plattenbauten gilt weiß Gott nicht gerade als hippes Mekka der Start-up-Szene. Doch im rustikalen Gewerbegebiet am Pyramidenring brummt es. Genauer gesagt in einer schmucklosen Industriehalle mit Wellblechdach und blauen Rolltoren, in der zuletzt eine Verkehrsbaufirma residierte. Jetzt montieren hier ziemlich junge Mechaniker aus jeweils rund 100 Einzelteilen unentwegt rabenschwarze Wägelchen (mit krassen Zebra-Streifen) für die urbane Mobilität der Zukunft. Gleich vorn stapeln sich die Pakete mit den E-Motoren, aus der letzten Arbeitsbucht hämmern leise Hip Hip-Soundtracks.
Willkommen bei Citkar, dem Hersteller dieses etwas ungewöhnlichen Nutzfahrzeugs namens Loadster, das jetzt, nach einigen anstrengenden Probier- und Basteljahren, gerade richtig in Schwung kommt. Genauso wie der Markt für Cargobikes. „Aktuell bauen wir zwischen zwei und sechs Loadster am Tag, maximal acht wären möglich“, erklärt Jonas Kremer, 27, Erfinder, Gründer und Geschäftsführer des jungen Unternehmens. Also bis zu 160 Exemplare im Monat, und das ist in der Cargobike-Branche schon mal eine Ansage. Neun feste Angestellte hat Citkar mittlerweile, außerdem machen hier 12 Werkstudenten mit. Tendenz steigend.
Klar, aktuell seien die potentiellen Kunden etwas vorsichtig. Stichwort Corona-Lockdown. Kremer sieht’s gelassen: „Wir nutzen die Zeit, um unsere Prozesse noch ein bisschen besser zu sortieren.“ Prinzipiell ginge da seiner Meinung nach ohnehin noch einiges mehr. „Mittelfristig haben wir Bedarf an mehr Produktionsfläche.“ Draußen, auf dem eingezäunten Citkar-Gelände könnte man noch zwei zusätzliche Hallen bauen. Spannend, ab wann? „Langsam, wir machen das erst einmal Schritt für Schritt“, bremst Kremer unsere Neugier.
„Wir breiten uns gerade in Europa aus“
Trotzdem fällt auf, dass die derzeitige Halle, die eine Fläche von gut 800 Quadratmetern hat, bereits gut gefüllt ist. Überall Teileregale, vorn links die Schweißerecke, der Karosseriebereich, vier Endmontage-Buchten, der Platz für die Endabnahme. Und dann, Achtung, die Prototypenbucht, in der jetzt aber leider nur drei alte Modelle stehen. Damit wir nicht die Zukunftsentwicklungen sehen?
Kremer selbst hat übrigens auch nicht viel Platz: Der Bürotrakt ist hier quasi ein langgestrecktes Zimmer. Acht abgetrennte Bildschirm-Arbeitsplätze, eine kleine Sitzecke nebst Miniküche. Das wichtigste: die ständig laufende Kaffeemaschine.
Überhaupt, alles nicht einfach in den bösen Zeiten von Corona. Keine Messen, keine Events, kein Publikum. Wie funktioniert da Marketing? Deprimiert ihn das? Nö, Kremer kontert: „Wir haben doch Glück, unsere Händler dürfen auch im Lockdown ihre Bike-Werkstätten offenhalten.“ Und damit auch einen direkten Kontakt zu den Kunden.
Wie bitte, Händler? Eigentlich hätte er die bei Citkar offizielle Bezeichnung „Premiumpartner“ wählen müssen. Ja, klingt so abgedreht wie bei Audi oder BMW. Gemeint sind lediglich Händler, die nach dem Verständnis von Citkar „eine besondere Expertise im Bereich der Lastenräder vorweisen können und über eine eigene Werkstatt verfügen“. Partner, die auch gleich die Wartung übernehmen.
Wie denn das Netz so geknüpft sei, wollen wir natürlich wissen. Citkar-Händler gäbe es bereits an 27 Standorten, erfahren wir. Darunter sei auch schon einer in Österreich (Wien) und einer in Schweden (Karlstad). Und im Moment beschäftigt man sich mit neuen Händlern in den Niederlanden, Frankreich, Spanien und der Schweiz. Da kann Kremer aufdrehen: „Wir breiten uns gerade in ganz Europa aus.“ Im Schnitt würden jetzt pro Woche vier bis fünf Händler hinzukommen, lässt er dann noch raus.
Vom City-Kettcar zum Citkar
Hätte vor ein paar Jahren niemand vermutet, denn der Anfang der Story liest sich wie ein lustiges Bastelprogramm. Also: Jonas Kremer, der früher in Bonn nebenbei in einem Supermarkt arbeitet, braucht eine Lösung, um seine Einkäufe trocken und bequem nach Hause zu bekommen. „An einem Morgen kommt mir da so ein Knirps mit einem Kettcar entgegen. Ey Jonas, denke ich mir, setz da hinten ’ne Kiste drauf und mach ein Dach drüber.“ Das ist die Lösung, befindet er, zersägt und verlängert ein Kettcar für eine Ladefläche. Im November 2013 entstehen die ersten weiterführenden Ideen und Handzeichnungen, 2014 ein erster Prototyp mit dem Namen City-Kettcar.
Dann geht es Schlag auf Schlag. 2016 entsteht der zweite, schon ziemlich professionelle Prototyp. Es gibt erste Überlegungen für eine Produktion. Kremer zieht nach Berlin und mit seinen Ideen in das Hardware-Innovation-Hub „MotionLab.Berlin“. Und zack, da kommt der dritte Prototyp und der Name „Loadster“. Die gerade gegründete Firma Citkar wird eine GmbH, erste Investoren fangen Feuer. Ein Jahr später gewinnt die Truppe sowohl den German Design Award als auch den Deutschen Exzellenzpreis, im Juli 2019 geht eine erste Kleinserie des Loadsters zu größeren Tests an diverse Interessenten. Im März dieses Jahres bezieht Citkar die eigene Produktionsstätte in Marzahn, und dort werden im Oktober die ersten 15 Loadster ausgeliefert. Insgesamt sind bis heute 97 Exemplare. Gutes Tempo.
Warum eigentlich gerade in diesen Steinbaukasten Marzahn? „Okay“, beginnt Kremer, der, wie erwähnt, aus dem schönen, braven und gesetzten Bonn kommt, „nach Westberlin wollten wir auf keinen Fall, zumal fast alle unsere Mitarbeiter in den in der Nähe liegenden Ostbezirken wohnen.“ Die meisten hatten vorher mit FaSTTUBe zu tun, diesem Formula-Student-Rennteam der Technischen Universität Berlin, das neuerdings auch mit einem Elektroracer startet. Also alle irgendwie vorbelastet. So, und am Marzahner Pyramidenring konnte Citkar diese verkehrsgünstig gelegene Halle (zum vermutlich erschwinglichen Preis) gleich bezugsfertig übernehmen. Passt.
Und wie fährt sich das Teil? Das lesen Sie im zweiten Teil.
Hi, wo kann man dieses Fahrzeug mal Probefahren.
Das müssen sie mal Stefan Räth von Citkar fragen, per Mail ([email protected]) oder telefonisch unter (030) 5490 668-40