Welches sein Lieblingsauto sei? Uwe Koenzen braucht ein paar Sekunden für die Antwort, geht in der Zeit vermutlich in Gedanken seine umfangreiche Sammlung durch. Und da gibt es in der Tat einige automobile Schätzchen. Einen Lancia Aurelia beispielsweise, einen italienischen Sportwagen aus den 1950er-Jahren, mit dem Koenzen schon so manches Eifelrennen für Oldtimer auf dem Nürburgring bestritten hat. Oder einen Jaguar E-Type, einen über 50 Jahre alten VW Bus, mehrere Messerschmitt-Kabinenroller, einen Ginetta G4R-Rennwagen. Und, na klar, auch das eine oder andere Exemplar eines Porsche 911.
In der früheren Scheune des denkmalgeschützten Gutshofs aus dem späten 16. Jahrhundert hat der 59-Jährige Ingenieur, Gewässerökologe und Multi-Unternehmer aus dem Rheinland eine ganz Reihe von Klassikern eingelagert. Die meisten davon sind voll fahrbereit, aber nicht alle sind voll originalgetreu.
3250 Newtonmeter Drehmoment
Das aktuelle Lieblingsmodell, für das sich Koenzen schließlich entscheidet („Da hängt mein Herz dran“), ein bronzefarbener Porsche 911 SC von 1981, hat mit dem Serienmodell allerdings mehr oder minder nur noch die äußere Hülle gemein. Unter der Motorhaube des historischen G-Modells sitzt ein Batterieblock, ebenso unter der Kofferraumhaube. Und nach dem Dreh am Zündschlüssel hört man nur ein leises Summen statt des typischen Auspuffsounds eines Sechszylinder-Boxermotors. Denn der Porsche 911 ist zum Elektroauto mutiert und trägt nun den neuen Namen e01.
Den kompakten Hochleistungsantrieb hat Koenzen zusammen mit seinem 2022 verstorbenen Schulfreund, dem Maschinenbau-Ingenieur und Porsche-Spezialisten Jens Broedersdorff, selbst entwickelt. Die Leistungsdaten des sogenannten Direct eDrive sind atemberaubend. Die Spitzenleistung im „Race“-Modus beträgt 518 Kilowatt oder 704 PS, das maximale Drehmoment am Rad 3250 Newtonmeter – da hätte selbst ein Porsche Taycan Turbo S Mühe mitzuhalten. Auch beim Energieverbrauch: Der e01 benötigt für 100 Kilometer Strecke im Schnitt nur 11 Kilowattstunden (kWh). Bei der Kapazität des Lithium-Ionen-Akkus von netto 42 kWh sind damit selbst in den Alpen noch Touren von über 300 Kilometern drin. Oder vier Runden auf der Nordschleife des Nürburgrings im Renntempo.
Über vier Jahre hat Koenzen zusammen mit Broedersdorff und dem Team von Classic eCars an dem getriebelosen Hohlwellen-Hochleistungsantrieb gearbeitet. An der Konstruktion der ebenso kompakten wie effizienten Elektromaschine und ihrer Anpassung an den zur Verfügung stehenden Bauraum. Aber auch an der Steuerung des Systems, das dem Drehmomentverlauf und dem Charakter des Originals möglichst nahe kommen sollte. Ein sechsstelliger Betrag ging dabei drauf.
Langsamläufer mit maxinal 3500 Umdrehungen
Aber die Arbeit hat sich gelohnt. Als Langsamläufer mit maximal 3500 Umdrehungen pro Minute entfaltet der bei Engiro in Aachen produzierte Motor nun erst jenseits von 20 km/h seine ganze Kraft und hält diese dann bis über 180 km/h. Die Spitzengeschwindigkeit des e01, verrät Koenzen, beträgt 320 km/h – mit Rücksicht auf das Fahrwerk wird der Antrieb aber schon bei 250 km/h abgeregelt. Wie er bei einer kurzen Demofahrt über die nahe gelegene Autobahn beweist, reicht das auch völlig aus, um anderen Verkehrsteilnehmern die Rücklichter zu zeigen.
Unternehmen, die historische Fahrzeuge elektrifizieren, gibt es seit vielen Jahren, in den USA, aber auch in Europa. Selbst Autohersteller wie Jaguar, Volkswagen, Ford und Renault bieten inzwischen sogenannte Retrofit-Kits an, mit denen Oldtimer mit Verbrennungsmotoren zu lokal emissionsfreien Stromern umgebaut werden können.
Die Kombination aus Historie und Moderne kommt allerdings nicht überall gut an. Manche Oldtimer-Fans betrachten das gar als Frevel an automobilhistorischem Kulturgut. Koenzen kennt die Diskussion zur Genüge – als Oldtimer-Fan, Aktiver im historischen Motorsport und als umweltbewegter Ingenieur, der sich nicht nur mit Elektroantrieben und nachhaltigen Energiesystemen auseinandersetzt. Er kann die Argumente der Retrofit-Gegner verstehen. Teilen kann er sie gleichwohl nicht: „Ich bin kein Dogmatiker. Aber es fällt mir inzwischen schwer, historische Fahrzeuge mit fossilen Kraftstoffen zu betreiben.“
Elektroantrieb als Brückenlösung
Synthetische Kraftstoffe, mithilfe von Wind- und Sonnenstrom generierte und auf grünem Wasserstoff basierende E-Fuels, könnten das Gewissen erleichtern und die Klimabilanz der Oldtimer im Betrieb verbessern. Aber die seien so bald nicht in großen Mengen verfügbar – da böte sich der Umbau zum Elektroauto „als Brückenlösung“ an. Zumal sich, so Koenzen, bei den Elektroantrieben „eine Wahnsinns-Evolution“ abzeichne – und ein Rückbau auf die Original-Aggregate jederzeit möglich sei. Einen Sechszylinder-Boxermotor schmeißt schließlich keiner zum Alteisen, wenn er voll funktionsfähig oder noch reparabel ist.
Ebenso wenig wie den Einzylinder-Zweitakter, mit dem einst der Kleinschnittger-Roadster motorisiert war – oder das Transaxle-Getriebe einer Lancia Flaminia aus den 1960er-Jahren. Die Elektrifizierung von zwei Oldtimern der beiden inzwischen sehr seltenen Typen ist bei Classic eCars gerade angelaufen.
Umrüst-Kits ab 75.000 Euro
Das junge sechsköpfige Team – Technischer Leiter des Unternehmens ist inzwischen der erst 28-jährige Maschinenbauingenieur Peter Rotenberger – kann sich über einen Mangel an Aufträgen wahrlich nicht beklagen. Interessenten an den (inklusive Straßenzulassung) bis zu 75 000 Euro teuren Umrüst-Kits gibt es genug. Es sind meist wohlhabende Menschen, die technikaffin und umweltbewegt sind, wie Koenzen eine kleine Oldtimer-Sammlung besitzen und das eine oder andere Fahrzeug daraus auch künftig noch durch Umweltzonen großer Städte bewegen wollen. Oder Unternehmen, die historische Fahrzeuge mit einem Elektroantrieb für Werbeaktionen einsetzen wollen.
Interessiert sind außerdem Konzerne, die für den patentierten Hochleistungsantrieb noch ganz andere Einsatzmöglichkeiten sehen als im Pkw. Der niedrigdrehende Elektromotor passt beispielsweise perfekt zu einem Schiffsantrieb. Auch bei der Umrüstung von Nutzfahrzeugen oder der Elektrifizierung von Anhängern ließe er sich gut nutzen. Sogar zu einem Rüstungsunternehmen hatte Koenzen schon Kontakt, das einen Panzer elektrifizieren wollte, um diesen im Einsatz akustisch wie thermisch zu tarnen. Koenzen hat den Mann abblitzen lassen – dafür gebe er die Technik nicht her.
E-Motor auch für Schiffe
Stattdessen tüftelt das kleine Unternehmen an einem Gleichstrom-Laderoboter und zusammen mit der Hochschule Osnabrück auch an einer bidirektionalen Gleichstromladesäule mit autarker intelligenter Ladesteuerung. Die Idee dahinter ist, die Akkus der Elektroautos künftig als Pufferspeicher zu nutzen und in ein intelligentes Stromnetz („Smart Grid“) zu integrieren. Auch wird mit verschiedenen neuen Batteriezellen experimentiert, um den Energiespeicher der Elektroautos noch leistungsfähiger zu machen.
Es ist da für Koenzen manchmal nicht einfach, seine Kapazitäten aufzuteilen. „Denn eigentlich und mit ganzem Herzen bin ich Gewässerökologe.“ Sein in Hilden bei Düsseldorf beheimatetes Planungsbüro für Wasser und Landschaft ist derzeit unter anderem damit befasst, wasserrechtliche Genehmigungen für den Bau von Elektrolyseanlagen zur Produktion von Wasserstoff vorzubereiten – Stahl soll in Nordrhein-Westfalen künftig grün produziert werden. Auch die Renaturierung von Flussläufen und der Hochwasserschutz in Zeiten des Klimawandels treiben das Planungsbüro um.
Wie er das alles unter einen Hut bringt? „20 bis 30 Prozent widme ich den Elektroautos, den Rest dem Gewässerschutz.“ Neben der Familie und auch noch dem Motorsport.