Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) ist eindeutig. „Ziel des EEG ist es, die Energieversorgung umzubauen und den Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung bis 2050 auf mindestens 80 Prozent zu steigern.“ Hehre Ambitionen, doch die normative Kraft des Faktischen malt ein anderes Bild. Deutschland ist nicht Norwegen, wo 99 Prozent des elektrischen Stroms mit Wasserkraft erzeugt wird. Und auch nicht Österreich, wo die Erneuerbaren dank einer intensiven Nutzung der Wasserkraft inzwischen auf einen Anteil von rund 75 Prozent an der gesamten Stromerzeugung kommen. In Deutschland liegt ihr Anteil aktuell nur bei 46 Prozent. Denn Sonne und Wind sind nicht konstant im Überfluss vorhanden. Und die Wasserkraft wird durch den Gewässerschutz gebremst, kommt so nicht einmal auf einen Anteil von vier Prozent an der Stromerzeugung.
Wasserstoff ist für den Ingenieur Tobias Brunner deshalb als Energieträger unverzichtbar. Für die Energiewende insgesamt, aber auch für die Elektrifizierung des Straßenverkehrs. „Wir haben einfach nicht genug Strom für sämtliche Batteriefahrzeuge. Wir brauchen die Kombination aus Batterie und Wasserstoff, um den Verkehr zu dekarbonisieren. Eines alleine reicht nicht“, erklärt der frühere Leiter des Brennstoffzellen-Programms von BMW und heutige CEO von Cryomotive. Das Start-Up aus Grasbrunn bei München beschäftigt sich intensiv mit Wasserstoff-Technologien und will den Energieträger in kryogener, also tiefgekühlter Form als Kraftstoff im Straßengüterverkehr etablieren.
„Der Wasserstoff wird Teil des Stromsystems. Dieser Trend zeichnet sich jetzt schon ab“, findet Brunner. Er meint dabei ausdrücklich grünen Wasserstoff, der mit Hilfe von Elektrolyseuren aus Wind- und Sonnenkraft gewonnen wird. Hierzulande immer dann, wenn die Kräfte im Überfluss vorhanden sind und nicht gespeichert werden können. Oder mithilfe von Anlagen in Regionen der Welt, wo sie konstant herrschen. Aus Arabien, Nordafrika, Südamerika oder gar aus Australien. Eine Studie des Hydrogen Councils geht davon aus, dass in einigen Jahren grüner Wasserstoff im Import nur noch etwa vier Euro pro Kilogramm kosten wird.
Lkw-Bauer verabschieden sich vom Diesel
Gerade bei großen und schweren Nutzfahrzeugen soll Wasserstoff als Energiequelle spätestens ab 2030 seine Trümpfe ausspielen. Gerade erst haben die europäischen Lkw-Hersteller angekündigt, sich zum Schutz des Klimas bis zum Jahr 2040 vom Diesel zu verabschieden: „Batterieelektrische Fahrzeuge“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung des europäischen Herstellerverbandes ACEA und des Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PIK), „sind die erste emissionsfreie Technologie, die den Lkw-Markt erreicht – und werden unmittelbar von wasserstoffbetriebenen Lkw gefolgt.“
Cryomotive bereitet sich intensiv auf diese Energiewende auf der Straße vor und will schon 2023 die ersten Prototypen eines wasserstoffbetriebenen Lastwagens auf die Straße schicken. Im Unterschied etwa zu den „Xcient Fuel Cell Trucks von Hyundai, die mit hochkomprimiertem gasförmigem Wasserstoff betankt werden, sollen die Brennstoffzellen-Laster mit dem Cryomotive-System den Kraftstoff in tiefkalter Form und mit deutlich niedrigeren Drücken aufnehmen. Das Konzept ist schon im Firmennamen angedeutet: Abgeleitet ist er von „Kryos“, dem griechischen Wort für Frost oder Kälte. Denn die Cryomotive-Inenieure machen sich den Umstand zunutze, dass Wasserstoff sich bei extrem niedrigen Temperaturen, konkret bei minus 253 Grad, verflüssigt und dabei auf eine Speicherdichte von 70,8 kg pro Kubikmeter kommt. In gasförmigem Zustand ist die Speicherdichte nicht einmal halb so hoch. Das Verfahren zur Luftzerlegung und Verflüssigung von Wasserstoff hatte Carl von Linde schon 1895 entwickelt.
Maximal 300 bar Druck auf dem Tank
Der Kniff der Cryomotive-Lösung ist, dass der Wasserstoff im tiefgekühltem flüssigen Zustand zur Tankstelle transportiert wird und hier aus einem hochisolierten Speichertank mithilfe einer speziellen schwimmenden Pumpe und mit einem Druck von maximal 300 Bar in die Tanks des Lastwagens geleitet wird. Normalerweise müssen die Tanks für gasförmigen Wasserstoff bis zu 700 bar Druck aushalten. Sie werden deshalb aus Hochleistungs-Kohlefasern gefertigt, was sie sehr teuer macht. Zudem verschlingt ihre Herstellung viel Energie.
Bei nur 300 bar Druck können die Tanks deutlich einfacher ausfallen und preisgünstiger produziert werden. Und der Energiegehalt von „kaltem Gas“ (Brunner) ist höher als bei Normaltemperatur. Beim Cryomotive-System nutzt zudem ein Wärmetauscher das Kühlwasser und damit die Wärmeentwicklung der Brennstoffzelle, um den Wasserstoff auf die passende Temperatur zu bringen. Auch können die Akkus, die an Bord sind, um den Brennstoffzellenantrieb beim Anfahren zu unterstützen, deshalb kleiner dimensioniert werden.
Kosten- und Platzvorteile bringt die Technik auch bei der Tankstellen-Infrastruktur, die für den Betrieb einer großen Zahl von Brennstoffzellen-Trucks erforderlich wäre: Eine Wasserstoff-Tankstelle a la Cryomotive kommt mit weniger als 300 Quadratmetern Fläche aus. Benötigt werden beim Cryomotive-System zudem im Grunde nur Tanks, Pumpen und Zapfsäulen, aber keine Kompressoren, die im Massenbetrieb den Tankvorgang verzögern. So sollen die Lkws tatsächlich in zehn Minuten Energie für eine Reichweite von rund 1.000 Kilometern aufnehmen können. Da die Tankstelle im Idealfall etwa auf dem Betriebsgelände einer Spedition ständig in Betrieb ist, fallen auch die Verluste durch die Verdampfung des allmählich wärmer werdenden Wasserstoffs sehr gering aus.
Auch der Transport des Wasserstoffs ist laut Brunner auch deutlich einfacher, wenn der Energieträger tiefgekühlt ist. „Flüssiger Wasserstoff wird in Deutschland schon seit 50 Jahren transportiert“, weiß der Ingenieur, der sich schon bei BMW im Rahmen des Projekts Hydrogen 7 intensiv mit dieser Technik befasst hat und die Erfahrungen sowie die Patente daraus in das neue Unternehmen mitgenommen hat. Der Autohersteller hatte die Arbeiten an der Wasserstoff-Technologie 2009 aus Kostengründen beendet.
Batterie oder Brennstoffzelle?
Seitdem sind die Vorbehalte gegen die Wasserstoff-Technologie speziell in Deutschland nicht kleiner geworden. Die Herstellung, der Transport und die Lagerung von Wasserstoff seien zu aufwendig und die Effizienz zu niedrig, lauteten nur einige Argumente der Gegner, die bei der Dekarbonisierung des Straßenverkehr lieber auf batterieelektrische Lösungen setzen. Die jüngsten Wasserstoff-Initiativen der EU und der Bundesregierung haben an deren Einschätzung wenig geändert.
Immerhin scheint die Front der Wasserstoff-Widersacher in der Autoindustrie selbst zu bröckeln. BMW lässt sich von Kooperationspartner Toyota mitziehen und wird die Brennstoffzellen der Japaner für sein „i Hydrogen Next“ getauftes Kleinserienfahrzeug auf Basis des BMW X5 nutzen.
„Der Brennstoffzellenantrieb ist die ultimative Lösung für automobile Antriebsstränge“, ist Toyota-Europachef Dr. Johan van Zyl sicher. Und Toyota-Chef Akio Toyoda warnte dieser Tage in Japan vor einem „gefährlichen Hype“ um Batterieautos: „Je mehr Elektroautos wir bauen, desto höher wird der Ausstoß von CO2“, meinte Toyoda auf einer Veranstaltung der Japan Automobile Manufacturers Association (JAMA). Kein Wunder: Japan erzeugt seit der Zerstörung des Atomkraftwerks Fukushima durch ein Seebeben seinen elektrischen Stroms größtenteils wieder mithilfe von Kohle und Erdgas.
Rückenwind bekam das Lager der Wasserstoff-Fraktion im vergangenen Jahr auch durch eine Studie des Fraunhofer-Studie für Solare Energiesysteme (ISE): „Bei 150.000 Kilometern Laufleistung“, hieß es dort, „liegen selbst im Worst-Case-Szenario die Treibhausgas-Emissionen des Brennstoffzellenfahrzeugs unter denen vergleichbarer Batteriefahrzeuge (90 kWh Batterie), die mit dem deutschen Strommix angetrieben werden.“ Der Fußabdruck, den ein Elektroautos mit einer großen Batterie mit über 45 kWh bei den Treibhausgasen hinterlasse, sei deutlich größer als ein Brennstoffzellenfahrzeug. Und um einen Schwerlaster batterieelektrisch betreiben zu können, bräuchte es bei heutiger Bauart Akkus mit einer Speicherkapazität von wenigstens 1000 Kilowattstunden.
Allerdings weiß auch Cryomotive-Chef Brunner, dass noch einige Arbeit vor ihm liegt. Für die Brennstoffzellen-Laster muss eine Infrastruktur aufgebaut werden, da keine bestehende Wasserstoff-Tankstelle von der Dimensionierung und Betankungstechnologie die Anforderungen von Nutzfahrzeugen mit hohen Speicher- und Betankungskapazitäten mitbringt. Batterieelektrische Lastzüge seien da nicht im Vorteil, mahnt Brunner. Im Gegenteil: Für die müsste eine Extra-Ladeinfrastruktur mit Megawatt-Chargern aufgebaut werden.
Der Aufbau einer Wassrstoff-Infrastruktur sei da deutlich kostengünstiger. Fahrzeughersteller, Mineralöl- und Gaseindustrie diskutieren bereits einen neuen Standard für die Betankung – Cryomotive will sich hier nun mit seinem Konzept einbringen. Brunner: „Die Cryomotive Tankstellentechnologie ist so kompakt und günstig, dass wir die Technologie zum einen den Tankstellenbetreibern anbieten, zum anderen aber auch direkt an die Logistikunternehmen liefern können, die heute Dieseltankstellen auf ihren Betriebshöfen betreibt. Die wiederum können dann den Lkw mit der passenden Speichertechnik ordern.“
Und Brunner muss jetzt noch die Fahrzeughersteller von seinem Speicherkonzept überzeugen. Er sieht da große Marktpotenziale – natürlich auch für sein eigenes Unternehmen: „Das Geschäft mit Tanksystemen wird in Zukunft eine ganz andere Dimension erreichen als heute. Ein Dieseltank für Lkw kostet einige Hundert Euro, ein Tank für Wasserstofftank wird 40 Prozent der Antriebskosten eines Fuel Cell Lkw ausmachen. Damit liegt im Wasserstoffspeicher eine nahezu ähnlich hohe Wertschöpfung wie im restlichen Brennstoffzellenantrieb.“
Aber natürlich liegt auch vor Cryomotive noch einiges an Entwicklungsarbeit. Das Unternehmen arbeitet bereits an einem Prototypen. 2023 soll die erste Tankstelle stehen, im Jahr darauf eine Kleinserienproduktion starten. Bis dahin sollen vor allem die Sytemkosten noch deutlich sinken. Brunner hat das Ziel ausgegeben, bis 2030 den mit Kryotechnik ausgestatteten Wasserstoff-Laster auf das Preisniveau eines heutigen Diesel-Trucks zu bringen. Aktuell läge der Aufpreis noch bei etwa 30.000 Euro.
Mit potenziellen Kunden aus der Nutzfahrzeugbranche redet Brunner bereits, Namen will er gleichwohl nicht nennen. MAN, so hört man, soll ein Gesprächspartner sein, Daimler der andere. Das könnte passen: Mercedes hat angekündigt, dass sein „GenH2 Truck“ Flüssigwasserstoff als Energiequelle für die Brennstoffzelle nutzen wird.