Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) liegen neben Hamburg beim Umbau ihres Fuhrparks bundesweit ganz vorne. Während die Hanseaten mit verschiedenen Antrieben experimentieren, tauschten die Berliner den Diesel bisher ausschließlich gegen die Batterie aus. Mit den 90 Fahrzeugen die sie gerade bestellt haben, wächst die Flotte auf 228 Elektrobusse an. Das klingt zwar viel. Bei insgesamt 1.568 Bussen, die auf den Straßen der Bundeshauptstadt fahren, ist es das aber nicht. Es ist vielmehr ein Anfang, hin zu einer Transformation, die für die BVG bis zum Jahr 2030 in einer kompletten Dekarbonisierung der Busse enden soll.
Die Herausforderung besteht dabei längst nicht mehr in der Technik, sondern im „Umbau der Infrastruktur im laufendem Betrieb und der notwendige Digitalisierung von betrieblichen Prozessen“, erklärt BVG-Mann Nils Kremmin. Getrieben wird der Wandel von der Bundesregierung und der EU. Die seit Sommer geltende „Clean Vehicles Directive“ (CVD) der Europäischen Union setzt erstmals verbindliche Mindestziele für Neubeschaffungen emissionsarmer und CO2-freier Busse im ÖPNV. Danach müssen 45 Prozent „saubere Fahrzeuge“ sein, aber 2030 steigt der Anteil Fahrzeuge auf 65 Prozent. „Sauber“ sind dabei Busse, die ohne Dieselantrieb auskommen – neben Elektrobussen zählen auch solche dazu, die mit Erdgas, Wasserstoff oder synthetischen Kraftstoffen betrieben werden.
Die Hanseaten gehen schon jetzt viel weiter: Die Hamburger Hochbahn AG bestellt seit 2020 ausschließlich emissionsfreie Busse und orderte bereits 530 emissionsfrei angetriebene Solo- und Gelenkbatteriebusse bei Daimler Buses, MAN Truck & Sales und Solaris. Und mit „HEAT“ testen sie zudem den deutschlandweit ersten autonom fahrenden E-Bus, der unter realen Verkehrsbedingungen und Einbindung einer Leitstelle mitten in einer deutschen Metropole unterwegs ist. Auch wenn er bisher nur eine kleine Runde von zwei Kilometer in der bei Touristen beliebten Hafencity im Kriechtempo mit 25 km/h dreht. Vorerst ist es nur ein Forschungsprojekt. Wie der autonome Betrieb weitergeht, ist noch offen.
Förderanträge für 5000 Busse
„Mit der Clean Vehicles Directive findet eine deutliche Verschiebung hin zu E-Mobilität statt“, ist Martin Schmitz, Geschäftsführer Technik des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), überzeugt. Für ihn hat das Jahrzehnt des E-Busses begonnen. „Ich schätze, dass die Busflotte 2030 bereits überwiegend elektrisch fährt“, ergänzt Philipp Kosok, Projektleiter Öffentlicher Verkehr beim Think Tank „Agora Verkehrswende“, hinter der die Stiftung Mercator und der European Climate Foundation stehen. „Der Trend ist eindeutig: Europa bereitet sich auf den Umstieg auf emissionsarme Busflotten vor. Der Dieselbus wird zum Auslaufmodell.“
Vom Bundesministerium für Verkehr und Infrastruktur (BMVI) wird dies finanziell unterstützt. In diesem Jahr legten sie ein Förderprogramm in Höhe von 1,5 Milliarden Euro auf, was bereits nach kurzer Zeit mit 500 Millionen überzeichnet war. Denn der Andrang war enorm. „Es wurden 5000 Busse zur Förderung beantragt“, erklärt Schmitz. Für ihn ist dies ein klares „Zeichen des Aufbruchs“. Deutlich wird dies im Vergleich. Schließlich fahren bisher lediglich 1.068 Busse mit alternativen Antrieben auf den Straßen – davon 1.012 batterieelektrische und 53 mit Brennstoffzelle (Stand 31. August 2021).
Reichweiten-Wettbewerb zwischen MAN und VDL
Der Grund dafür, dass die meisten Busbetreiber auf Batterie und nicht etwa auf die Brennstoffzelle setzen ist aus Sicht von Schmitz einfach: „Die Technik ist ausgereifter und die Reichweite steigt kontinuierlich.“ Zurzeit liefern sich MAN Truck and Bus aus München und VDL aus den Niederlanden einen regelrechten Reichweiten-Wettbewerb. Ausgestattet mit einem modularen Batteriesystem mit insgesamt 480 kWh Kapazität haben die Süddeutschen im Frühjahr bei einem Test im Frühjahr bereits eine Strecke von 550,8 Kilometer geschafft. Und auch Niederländer werben mit einem Aktionsradius von 500 bis 600 Kilometern der neuen Citea-Generation. Noch bleibt der VDV-Geschäftsführer aber skeptisch. „Wir müssen abwarten, ob dies nur ein Marketing-Trick ist oder ob die Busse im Einsatz halten, was die Hersteller versprechen.“
Europäischer Vorreiter bei der Umstellung auf Elektrobusse sind derzeit die Niederlande: Bereits 2016 beschloss die Regierung in einer Vereinbarung mit den Verkehrsunternehmen, ab 2025 nur noch emissionsfreie Busse zu kaufen. Und so sind in den Städten wie Leiden und Eindhoven die Busflotten bereits vollständig elektrifiziert. Zu den anderen europäischen Ländern gibt es im Vergleich aber kaum Unterschiede. „Es ist schade, dass Deutschland hier bisher keine Führungsrolle in der EU einnehmen konnte“, bedauert Philipp Kosok von der Agora Verkehrswende.
Weltweit bestimmt wird der Markt wie bei den elektrischen Autos von China. „In Metropolen wie Shenzhen ist der Umstieg auf Elektrobusse bereits abgeschlossen. In dieser Stadt sind mehr batteriegetriebene Busse im Einsatz als in ganz Europa. Das war auch ein Konjunkturprogramm für die Industrie. Nur so konnte der örtliche Fahrzeughersteller BYD in wenigen Jahren zur Weltspitze aufschließen“, erklärt der Verkehrsexperte.
Hohe Strompreise bremsen
„Jetzt ist es an der neuen Bundesegierung den Rahmen für ein starkes Wachstum des gesamten ÖPNV zu schaffen. Da geht es um deutlich mehr Mittel für den Betrieb, einen schnellen Ausbau der Infrastruktur und die Bevorzugung von klimafreundlicher Mobilität bei den Steuern und Abgaben“, so Kosok und macht dabei deutlich. „Wir dürfen nicht vergessen, dass es vor allem die Verlagerung von Autoverkehr hin zu Bus und Bahn ist, die einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz leistet.“
Auch VDV-Geschäftsführer Schmitz hofft, dass die Stromsteuer gesenkt und die EEG-Umlage abgeschafft wird. Das würde die Wirtschaftlichkeit stark verbessern. Bisher sind Batteriebusse aufgrund der höheren Anschaffungs-, aber geringen Wartungskosten am Ende der Lebenszeit so teuer wie der Diesel unter der Motorhaube. Das, so Schmitz, könne sich aber verschieben, wenn der Strom günstiger werde. „Das würde die E-Mobilität fördern und wirtschaftlich attraktiver machen.“
Stuttgart setzt auf Brennstoffzelle
Die Frage der Wirtschaftlichkeit stellt sich Markus Wiedemann dagegen erst gar nicht. „Der Gesetzgeber schreibt eine Umstellung vor, also müssen wir es machen“, erklärt der Unternehmensbereichsleiter Kraftfahrzeuge der Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB). Daran, dass ein alternativer Antrieb für ihn sinnvoll ist, besteht allerdings kein Zweifel. Lange bevor die Politik überhaupt an einen emissionsfreien ÖPNV dachte, hat die SSB die ersten Brennstoffzellenbusse von Daimler getestet – bevor der Konzern die Technik wieder auf Eis legte. Und die Busse fahren noch heute, werden aber im kommenden Jahr ersetzt und um vier weitere aufgestockt.
Für Wiedemann hat der Antrieb viele Vorteile: eine hohe Reichweite, geringe Tankzeiten von 10 Minuten und der Kompressor braucht nur ein paar Kilowatt Strom. Aber auch schwefelfreie und synthetische Kraftstoffe wurden getestet. Wiedemann: „So eine Transformation ist ein langer Prozess und darauf wollten wir uns vorbereiten, sonst funktioniert das nicht.“
Weltmarktführer BYD erhöht Kapazitäten
Die SSB ist bei den Antrieben nach allen Seite offen und hätte auch noch ein paar Batteriebusse geordert. Ein Brand vor zwei Monaten hat jedoch das Busdepot und damit auch vier vier Batteriegelenkzüge zerstört. Die Ursache des Großbrands ist zwar noch ungeklärt. Nach Angaben des Südwestrundfunks (SWR) verdichten sich aber die Hinweise, dass das Feuer von einem Elektrobus des Typs eCitaro von Daimler ausging. Die Münchner Verkehrsgesellschaft hat darauf bereits reagiert und die acht Elektrobusse des gleichen Typs stillgelegt, bis die Ermittlungen in Stuttgart abgeschlossen sind.
Da kein Verkehrsunternehmen mehr um die Anschaffung von CO2-freien Bussen herumkommt, ist dies ein Wachstumsmarkt und damit eine Goldgrube für die zunehmende Anzahl von Herstellern. Um die kontinuierlich steigende Nachfrage zu bedienen, investiert Weltmarktführer BYD gezielt in die europäische Produktion und will allein im Werk in Ungarn die Produktionskapazitäten von 200 auf 1000 E-Busse jährlich verfünffachen. Ein Preisverfall der immer noch doppelt so teuren E-Busse im Vergleich zu Diesel ist trotz der gestiegenen Nachfrage nicht in Sicht. Schmitz: „Die Hersteller wissen, dass ÖPNV-Betreiber mit der Clean Vehicles Directive die Busse kaufen müssen und dass sie damit auch ein gewisses Preisniveau halten können.“
Wie andere Länder die Transformation fördern
Neben klassischen Subventionen versuchen es einige Länder und Regionen auch mit innovativen Förderungen. In Frankreich ermöglicht die Investitionsplattform „Bus Propres“ durch variable Anleihen die Umstellung auf emissionsfreie Busflotten und finanziert so bis zu 100% der Kosten für Beschaffung und Ladeinfrastruktur. Der Zinssatz verläuft dabei parallel zur Strompreisentwicklung und ist nach unten und oben begrenzt, was eine eine effektivere Risikoverteilung und eine Absicherung der Umstellung ihrer Busflotte bedeutet.
Auf der anderen Seite des Atlantiks, in Kolumbien, macht die Stadt Bogotá mit Maßnahmen auf sich aufmerksam, durch die Batteriesysteme im Rahmen eines Leasingmodells genutzt und Werbeflächen ausschließlich auf Elektrobussen vermietet werden können. Auch Santiago de Chile bringt öffentliche und private Akteure zusammen: Ein privates Energieunternehmen erwirbt sowohl die Elektrobusse als auch die Ladeinfrastruktur und verleast diese an das städtische Verkehrsunternehmen, welches die Busse sowie Terminals betreibt und wiederum das Unternehmen für die Energiebereitstellung bezahlt. Das System zahlt sich aus: Santiago hat seit 2019 die größte Elektrobusflotte in Lateinamerika.