Elektromobilität dürfe kein Luxusversprechen bleiben, wünschen Politiker in Europa und insbesondere Fahranfänger, die sich der Klimawende verpflichtet fühlen. Unermüdlich fordern sie von der Autoindustrie, preiswerte EV zu entwickeln. Gemeint sind batterie-elektrische Kleinwagen unter 20.000 Euro, die gleichfalls Berufspendler in Agglomerationen, Kurierfahrer und Pflegedienste ansprechen. Doch wo bleiben die Antworten von Volkswagen, Renault und dem Stellantis-Konzern? Bisher erschöpfen sie sich in Versprechen auf die Zukunft.
Die Angebotslücke zu nutzen, ist aktuell nur ein europäisches Startup bemüht: In der Schweiz wuchs der zweisitzige Microlino heran, gebaut wird die elektrisch betriebene, aufgefrischte Replika des BMW Isetta in Italien. Mit derzeit maximal 177 Kilometer Reichweite ist die elektrische Knutschkugel einerseits Sympathieträger, kann als Leichtfahrzeug der Klasse L7e andererseits aber die Sicherheitsanforderungen an „erwachsene“ Autos nicht erfüllen.
Renault schneidert für diese Preisklasse mit dem 3,70 Meter kurzen Spring im Geländewagen-Outfit einen Viersitzer für seine Submarke Dacia. Der in Deutschland ab 16.900 Euro erhältliche, mager ausgestattete Fronttriebler überbaut die elektrifizierte Plattform des Kleinwagen Renault Kwid, der in Dritte-Welt-Ländern verkauft wird. Hergestellt wird der Spring auf Fertigungsanlagen des chinesischen Kooperationspartner Dongfeng in Wuhan. Im Euro-NCAP-Crashtest konnte er gerade einmal einen Stern gewinnen. Renommierte Autotester bewerten ihn auch wegen seiner dürftigen Fahrqualitäten als Minimalauto. Müssen wir also auf den von Renault für 2026 angekündigten neuen Elektro-Twingo und den von Volkswagen für 2027 geplanten ID.1 warten?
Europa-Version mit 42 kWh-Akku
Bu yao (chinesisch für Nein), verneinen nach Europa strebende chinesische Hersteller, die bereits im heimischen Markt mit zahlreichen batterie-elektrischen Kleinwagen Erfolge einfahren. Den Anfang macht ausgerechnet Renaults Kooperationspartner Dongfeng mit dem Nammi 01, der ab sofort als Nammi Box von NOYO Europe mit Sitz in der Schweiz international vermarktet werden soll. Er überbaut die hauseigene Quantum S03 Architektur, die speziell für kompakte Elektroautos entwickelt wurde und in der Basisversion mit einer 32 kWh fassenden Lithium-Eisen-Phosphat (LFP)-Batterie für rund 250 km Reichweite (WLTP) ausgestattet ist. In China kostet der Fünfsitzer umgerechnet etwa 10.000 Euro.
Wir sind die für Europa vorgesehene, besser ausgestattete Topversion mit 42,3 kWh LFP-Stromspeicher und 70 kW (95 PS) starkem Elektromotor an der Vorderachse in China ausgiebig gefahren, haben die versprochene Reichweite von 310 km sogar übertroffen und dürfen attestieren: Wenngleich der oder die 4,03 Meter kurze Box auf 2,66 Meter Radstand nicht als Schmuckkästchen glänzt, kann von einem Verzichtsauto keine Rede sein.
Smart nur auf den ersten Blick
Sicherlich nicht zufällig erinnert die Front des Nammi Box an den von Geely für seine Tochtermarke Smart gebauten #1, der auf 4,27 Meter Länge deutlich mehr Leistung und Ausstattung bietet und deshalb eine Klasse höher positioniert ist. Offensichtlich möchte Dongfeng aber eine Verwandtschaft zu dessen bereits etabliertem Stadtauto-Image suggerieren.
Eigenständiger wirkt die Heckansicht. Sie verzichtet auf das heutzutage fast ausnahmslos von Fahrzeugen aller Klassen inflationär verbaute durchgängige Leuchtenband und setzt auf ein eigenständiges, auch nachts wiedererkennbares Rücklichtdesign. Für eine optimale Innenraumausnutzung fällt das Heck steil ab. Doch leider öffnet dessen Klappe nur für Menschen bis 1,70 Meter Größe hoch genug. Wer höher aufragt, kollidiert mit der Klappenverkleidung.
Funktioneller Innenraum
Darüber hinaus baut die Ladekante zum 326 Liter fassenden Kofferabteil recht hoch. Klappt man die (ungeteilte) Lehne der Fondsitze um, wächst das Ladevolumen zwar auf 945 Liter. Aber es bietet für großes Gepäck oder sperrige Güter keinen ebenen Ladeboden, weil die Fondlehne eine Stufe bildet und zudem nicht flach liegt. Insbesondere Kurierdienste dürften sich daran stoßen.
Der erste Eindruck vom Fahrersitz aus versöhnt: Dank einer Fahrzeugbreite von 181 Zentimeter und einer Gesamthöhe von 157 Zentimeter wirkt der Innenraum geräumig. Das Armaturenbrett des Nammi Box ist funktionell, klar gegliedert und im Rauten-Steppdesign durchaus anmutig bezogen. Natürlich nicht mit Leder, doch mit weich unterfüttertem, bündig verarbeiteten hellgrauen Kunststoff, der sich in allen vier Tür-Innenverkleidungen fortsetzt. Passgenau sind Luftauslässe, Schalter für vier elektrische Fensterheber und in der Fahrertür die elektrische Außenspiegel-Verstellung integriert. Abgesehen von den etwas wackeligen Schaltern wirkt die Verarbeitung insgesamt gut.
Mehr braucht ein Berufspendler nicht
Durchs Zweispeichen-Multifunktionslenkrad hat man das freistehende, fünf-Zoll große Cockpitdisplay gut im Blick. Es informiert beim Fahren über Geschwindigkeit, Stromverbrauch sowie den Rekuperationsgrad, die Restreichweite, den Einsatz der bei Ampelstopps automatisch schließenden Parkbremse sowie die Frontlicht-Funktionen. Mehr braucht ein Berufspendler nicht. Übers ebenfalls freistehende 12,8-Zoll Zentraldisplay ruft man Infotainment-, Lade-Funktionen, die NAVI-Streckenführung ab und reguliert die Klimatisierung. Auch spielt eine Heckkamera hier den rückwärtigen Raum beim Einparken ein. Zudem gibt es diverse Kommunikations-Apps, selbstredend ist die Integration des Smartphones möglich. Das System arbeitet wahlweise sprachgesteuert und ist OTA (Over The Air) updatefähig.
Die sehr pfiffige Schublade auf der Beifahrerseite kann unterwegs als Picknick-Tablett für die Reise-Mahlzeit oder Mitreisenden als Snackbar und Ablage fürs Smartphone dienen. Überhaupt: Ablagen gibt es zuhauf. Auf und unter der Mittelkonsole mit zahlreichen Ladebuchsen, in den Seitentüren, unter der Mittelarmlehne. Merkzettel und dergleichen finden unter zwei Gurten auf der Beifahrerseite des Armaturenbretts Halt.
Leergewicht von nur 1312 Kilogramm
Angenehm überrascht in dieser Preisklasse auch der elektrisch verstellbare Fahrersitz. Dem gegenüber wird die Längsverstellung des Lenkrades eingespart. Es kann leider nur in der Höhe angepasst werden. Auf der Rückbank sind drei Sitze vorgesehen, von denen allerdings nur die beiden äußeren ordentlichen Sitzkomfort mit in dieser Fahrzeugklasse ausreichender Kopf- und Beinfreiheit bieten. Wir fahren los, zunächst im Eco-Modus.
Zügig nimmt der Nammi Box Geschwindigkeit auf, die Lastwechsel übers Fahrpedal pariert sein Fahrwerk mit erträglichen Karosseriebewegungen. Die leichtgängige Lenkung bietet kaum Kontakt zum Strassenbelag. Auf Reifen im Form 215/55 R17 rollt der Wagen komfortabel und sehr leise ab. Als das System im Eco-Modus bei 100 km/h abriegelt, liegt der Durchschnittsverbrauch zwischen 12 und 14 kWh, was insbesondere der guten Aerodynamik seiner Karosserie und dem geringen Leergewicht von nur 1.312 Kilogramm geschuldet ist. Im Fahrmodus Normal rekuperiert der Nammi Box geringfügig stärker sobald man den rechten Fuss entlastet. Ansonsten lässt sich kein Unterschied zum Eco Modus feststellen.
Ladeleistung lässt zu wünschen übrig
Nominell gibt Dongfeng eine Reichweite von 310 km (WLTP) an. Im Eco-Fahrmodus fuhren wir den Stromer nach 360 Kilometern mit einer Restreichweite von 20 Kilometer an eine mit Gleichstrom betriebene Schnellladesäule, was seine uneingeschränkte Praxistauglichkeit beweist. Allerdings muss man dort deutlich mehr Zeit verbringen, als die Herstellerangabe – Nachladen von 200 Kilometer Reichweite in acht Minuten – verspricht. Wir parken fast 50 Minuten, um den Energievorrat von 20 auf 80 Prozent Batteriekapazität zu erhöhen, denn die Ladeleistung von anfänglich 33 kW fällt bereits nach wenigen Minuten deutlich ab.
Wer etwas zügiger unterwegs sein möchte, wählt den Fahrmodus Sport übers Zentraldisplay an. Jetzt liegen die volle Leistung von 95 PS und 160 Nm Drehmoment an, der Viertürer reagiert auf Fahrpedal-Befehle etwas spontaner und die Höchstgeschwindigkeit endet erst bei 140 km/h. Lenk- und Fahrwerksabstimmung bleiben unverändert, nur Windgeräusche und die Windanfälligkeit auf der Autobahn steigen.
Hohe Geschwindigkeiten mag der Nummi nicht
Ebenso wie der Stromverbrauch, der nun zwischen 18 bis 21 kWh/100 km beträgt. Und die etwas stößige Hinterachse überträgt Fahrbahnunebenheiten deutlich spürbar ins Interieur. Sein jetzt unruhigeres Fahrverhalten verlangt häufige Lenkkorrekturen und erinnert daran, dass der Nammi Box konzeptionell als Stadtwagen ausgelegt ist. Verbesserungspotenzial birgt auch der Tempomat: Wird die einmal gesetzte Geschwindigkeit kurzfristig gelöscht, nimmt das System sie nicht wieder auf. Sie muss nach jedem Bremsvorgang erneut gesetzt werden, was lästig ist.
Der Schweizer Importeur NOYO bietet den Nammi Box in der von uns gefahrenen Spitzenversion aktuell in der Schweiz für 21.990 Franken, umgerechnet 23.200 Euro, an. Auch in Norwegen wird er schon verkauft – für umgerechnet 16.000 Euro. „Demnächst“ (ein genaues Datum gibt es noch nicht) beginnt der Verkauf auch in Deutschland. Und hinter dem Preis steht noch ein großes Fragezeichen. Bei einem Preis deutlich unter 20.000 Euro könnte dieser Elektro-Kleinwagen in seinem Segment bei uns nicht nur erfolgreich werden, sondern auch die Messlatte für andere Hersteller legen. Zumal er sogar ein wenig Luxus bietet. Man erfährt ihn bei Dunkelheit, wenn die Ambiente-Beleuchtung in mehreren knackigen Farbtönen die Stimmung der Insassen hebt und auch Passanten bunte Einblicke in die Kabine gewährt.