Die Sonne strahlt vom Himmel, die Leute haben wegen der Corona-bedingten Betriebsschließungen und Werkspausen jede Menge Zeit. Und weil in diesem Jahr wohl keine Reisen in ferne Länder möglich sein werden, investieren die Menschen statt in ein Flugticket und eine Ferienunterkunft das Urlaubsgeld lieber in den Kauf eines Elektro-Bikes.

Das ist jedenfalls die Erklärung der Fahrradhändler für den Ansturm, den sie seit der Wiedereröffnung ihrer Läden Ende April erleben. Einige Betriebe werden derzeit geradezu überrannt von Kunden, die sich ein „Pedelec“, ein Fahrrad mit elektrischer Trittunterstützung, zulegen wollen. Und was heißt ein Fahrrad – meist werden die E-Bikes gleich im Doppelpack geordert. Eines für den für den Mann und eines für die Frau. Denn die Fahrradtouren möchte man ja gemeinsam unternehmen.

Fährt bald Hälfte der Fahrräder elektrisch?

Entsprechend gut ist im Fahrradhandel derzeit die Stimmung: 2020 könnte trotz – oder wegen – Corona ein Rekordjahr werden. Fast jedes dritte verkaufte Fahrrad hat inzwischen einen Elektromotor und einen Akku an Bord. Inzwischen scheint selbst die Prognose, dass in ein paar Jahren 50 Prozent der Räder mit Motor fahren, nicht mehr so abwegig. Aber was bedeutet dieser E-Bike-Boom für die Verkehrssicherheit? Nicht wenige Experten befürchten, dass mit der rasanten Verbreitung der neuen Fahrradgattung die Zahl der Verkehrsunfälle steigt. Wie groß ist die Gefahr, die von den Pedelecs ausgeht, aber tatsächlich?

Katja Schleinitz, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Allgemeine Psychologie und Arbeitspsychologie an der TU Chemnitz, ist für die Arbeitsgemeinschaft der Technischen Überwachungsvereine dieser Frage nachgegangen. Wie sie in einem Beitrag für die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift für Verkehrsicherheit berichtet, war in den vergangenen fünf Jahren tatsächlich eine wachsende Zahl von Pedelecs (mit Tempolimit 25 km/h) und bis zu 45 km/h schnellen S-Pedelecs in Verkehrsunfälle verwickelt. Aber die Mehrzahl der Fahrradunfälle (knapp 97.000 in 2018) ging auf das Konto der sogenannten Bio-Biker – Radler, die sich allein auf Muskelkraft setzen.

Mountainbikes mit elektrischer Trittunterstützung sind ein Verkaufshit. Doch vor dem ersten Ausritt ins Gelände, braucht es Training. E-Bikes

Dafür sind die Unfälle, in die E-Bikes verwickelt werden, sind meist schwerer: Der Anteil der Getöteten ist doppelt so hoch wie bei den Bio-Bikes. Und auch tragen die Opfer meist schwerere Verletzungen davon. Ein wesentlicher Grund sind die im Schnitt höheren Fahrgeschwindigkeiten. Nach den Analysen der Unfallforscherin, die dazu Studien auch aus den Niederlanden, Österreich und Schweden heranzog, fahren Pedelecs im Schnitt etwa zwei bis drei km/h schneller als Fahrräder ohne Trittunterstützung. S-Pedelcs, die gerne von Berufspendlern eingesetzt werden, sind sogar 7 bis 9 km/h schneller als die konventionell angetriebenen Räder.

Viele verunglücken beim Auf- und Absteigen

Die meisten Pedelec-Fahrer verunglücken übrigens ohne Fremdeinwirkung und passieren schon beim Anfahren oder später beim Absteigen. Weitere Ursachen sind zu hartes Bremsen – wenn die Scheibenbremsen am Vorderrad zupacken, können Ungeübte schnell über den Lenker absteigen. Und nicht wenige E-Biker verlieren aufgrund der höheren Fahrgeschwindigkeit in der Ebene und erst recht bergab schneller die Balance. Eine Rolle dabei, so vermutet Schleinitz, spielt möglicherweise „die Altersstruktur der Nutzer“: Elektrofahrräder sind inzwischen zwar auch bei jungen Leuten populär. Aber die teuren Bikes können sich oft auch nur ältere Menschen leisten. Und viele davon hatten vor dem Kauf des E-Bikes keine große Fahrpraxis mehr. Das durchschnittlich höhere Alter könnte auch ein Grund für die Schwere vieler Verletzungen sein. Zudem, so vermutet die Forscherin, sind Elektrofahrräder deutlich schwerer. Fällt das Rad bei einem Sturz auf den Fahrer, trägt dieser oft Knochenbrüche davon.

Elektro-Radler deutlich entspannter unterwegs

Die meisten Alleinunfälle passieren übrigens auf dem Land. In der Stadt sind in die Unfälle meist Autos verwickelt – deren Fahrer oft auch die Schuld tragen. Denn die, so der Erklärungsversuch, haben oft Probleme die Geschwindigkeit der E-Bikes richtig einzuschätzen. „Ein Grund hierfür liegt in den visuellen Merkmalen“, führt die Verkehrspsychologin aus: „Ein Elektro-Fahrradfahrer sieht bei gleicher Geschwindigkeit entspannter beim Pedalieren aus als ein Fahrradfahrer“, der sich allein mit Muskelkraft fortbewegt. Zudem lasse die Trittfrequenz keine Rückschlüsse auf die Fahrgeschwindigkeit zu.

Das Fazit: Ja, E-Bikes sind etwas schneller unterwegs als normale Fahrräder. Und Menschen, die längere Zeit nicht mit einem Fahrrad unterwegs waren, tun gut daran, vor dem ersten Ausflug mit dem neuen Stromer erst ein kleines Fahrtraining zu absolvieren. Aber ein Risiko stellten Pedelecs nicht dar: „Es ist nicht das Verkehrssicherheits-Desaster, das erwartet worden war.“

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