Schon klar, eigentlich lag es nahe, dass irgendjemand irgendwann in diesem auf Elektromotoren spezialisierten Unternehmen Brose mal auf die Idee mit den Fahrradmotoren kommen musste. Hätte man sich einfach denken können. Ist ja schließlich seit Jahren ein Riesenladen, der viertgrößte Automobilzulieferer in Familienbesitz weltweit. Über 25.000 Mitarbeiter an 65 Standorten in 24 Ländern. Holla, in jedem zweiten Neuwagen weltweit gibt es mindestens ein System von Brose. Gesamtumsatz der Coburger im letzten Jahr: 6,2 Milliarden Euro.
Der oberfränkische Konzern liefert jährlich weltweit über 200 Millionen Elektromotoren für die Branche. Davon bekommt der normale Autokäufer nichts mit, denn die Dinger sind am Ende gar nicht zu sehen. Kleine Heinzelmännchen, die Fensterheber, Sitze, Heckklappen und Seitentüren bewegen. Die elektronisch oberschlau in der Lenkung, der Klimaanlage, im Antriebsstrang und in Bremssystemen wuseln. Feine, sensible Motörchen, die sich in jedes konstruktive Versteck einschmiegen — das können sie perfekt bei Brose.
Was gemerkt? Genau, da mussten nur ein paar Profis kombinieren, dass man mit den Elektromotoren nicht nur die Autoindustrie bedienen könnte. Und schon sind wir im Herbst 2008, als die Bankenkrise international voll durchschlug. Auch bei Brose wurde damals alles hinterfragt und nach neuen, zukunftsträchtigen Geschäftsideen gesucht. „Da hat man sich einfach mal überlegt, was man wo mit den eigenen Kompetenzen und dem großen Know-how noch so tun könnte“, erinnert sich Horst Schuster, 53, der Vertriebs- und Marketingschef der Berliner E-Bike-Mannschaft. Und man kam aufs Thema E-Bike, „weil schon damals sicher schien, dass es dafür bald einen Markt geben würde.“
Bei 50 Fahrradmarken an Bord
Macht euch mal ernsthaft Gedanken: Diesen internen Auftrag zum unauffälligen Start gab es dann 2010 nach dem Vorstands-Okay für vier, fünf Spezialisten in Berlin. Es folgten erste Vorentwicklungen. Noch streng geheim. Doch schon auf der Frankfurter IAA 2011 wird das Konzept gezeigt. Schuster: „Die Resonanz war sehr positiv.“ Klare Entscheidung: „Es geht weiter“. Brose macht ernst. Validieren, Testen, Entwickeln.
Bereits 2014 beginnt am Standort Berlin die Serienproduktion, 2015 sind erste Bikes mit Brose-Motoren bei den Händlern. Die mutigen Einstiegspartner? Bestens bekannt, nämlich die renommierten Mountainbike-Schmieden Rotwild und Bull. Kurzer Zeitsprung: Heute liefert Brose Motoren an 50 Fahrrad-Hersteller, darunter alle tollen Marken dieser Welt (von Specialized und Fantic bis Herkules). Sogar Autohersteller wie BMW und Porsche setzen bei ihren E-Bikes auf die Berliner Antriebe.
Technologisches Ziel war seinerzeit, als die E-Bikes noch nervig unhandliche, langgestreckte Geräte mit klobigen Anbauten waren, in Berlin etwas zu zaubern, was dem normalen, muskelgetriebenen Fahrrad nahe kommt. „Brose wollte schon damals das natürliche Fahrgefühl“, postuliert Schuster. Auch integrierte Batterien mussten es sein. Ebenso ein flüsterleises Laufgeräusch. Deshalb gab es gleich diesen geschmeidigen Zahnriemenantrieb. Pflichtfrage: Was war denn die technische Ausgangsbasis für den Fahrradantrieb? Weiß außer uns wohl jeder hier im Berliner Werk: ein millionenfach verbauter Brose-Motor, der in der automobilen Servolenkung wirbelt.
Vier Antriebe für vier Kundengruppen
Noch was Grundsätzliches. Bei Brose gilt der Leitsatz: „Das Bike ist der Star, nicht der Motor“. Das klingt erst einmal wie nettes Understatement, aber die Berliner meinen das ernst. „Powered bei Brose“ als Aushängeschild klänge ja wirklich gut, aber, so Schuster, aber man wolle da gegenüber den Fahrradherstellern nicht dominierend sein. Verstanden, Überzeugung geht anders.
Spätestens jetzt ist ein Überblick zum aktuellen Programm der Berliner fällig. Also: Brose offeriert vier verschiedene Antriebe für vier verschiedene Kundengruppen. Lässt sich fix erklären. Drive C ist laut Brose der »City-Champion«, der Antrieb für die kürzeren Wege mit Ampel- und Coffee-Stopps. Ausreichende 50 Newtonmeter Drehmoment, bis zu 280 Prozent Tretkraft-Unterstützung, 250 Watt Nenndauerleistung und die gängige Spitze von 25 km/h.
Drive T (70 Nm, 320 Prozent Unterstützung) hingegen ist als „effektiver Langstreckenläufer“ konzipiert. Passend für längere Strecken in der Stadt und auf dem Land, aber auch für passionierte Radwanderer. Ideal für Cargo-Bikes, womit natürlich die in unseren Städten immer beliebteren Lastenräder gemeint sind, die sich vor den Kitas und Wochenmärkten der Hauptstadt drängeln.
Weiter geht’s. Gewissermaßen eine Etage höher. Zum Drive TF. Der ist mit satten 90 Nm (380 Prozent Unterstützung) der angesagte „Sprinter“ des Hauses. Einer für die bis zu 45 km/h schnellen (und gepfeffert teuren) E-Fahrräder. Richtig, wir sind bei den S-Pedelecs, ideal für eilige Langstreckenpendler oder euphorische Speed-Junkies, die im Fahrradsattel am stockenden Berufsverkehr vorbei ins Zentrum düsen.
Gipfelstürmer mit 410 Prozent Unterstützung
Fehlt noch der Überflieger Drive S, bei Brose dann 2018 unterm Slogan „Gipfelstürmer“ gestartet. Besonders sensibles Ansprechverhalten und Spitzenleistungen auf allen Trails, versprechen die Berliner. Bis zu 410 Prozent maximale Unterstützung, wenn die hier die Edelvariante mit Magnesiumgehäuse im Spiel ist. Vervierfacht quasi die Beinkraft des Bikers. Die Magnesiumhülle ist 500 Gramm leichter (Motorgewicht 2,9 Kilogramm) und 15 Prozent kleiner als die bei Brose auch noch angebotenen Aluminiumversionen. Dazu kommt hier der „Flex Power Mode“, der die Leistungsabgabe fein nach der vom Fahrer aufs Pedal gebrachten Kraft dosiert. Erkennt geringste Änderungen beim Pedalieren, schwört man bei Brose. Superschnelle Reaktionen. Wir werden das demnächst testen.
Unbedingt sollen wir noch notieren, dass Brose ausschließlich auf Mittelmotoren setzt. Wissen wir doch. Klar, mit dem einleuchtenden Argument, dass diese durch ihre zentrale Platzierung zwischen Vorder- und Hinterrad am besten für Stabilität, Handling und Sicherheit sorgen. Mögliche Einbaulagen? Die Brose-Mittelmotoren mit Aluminiumgehäuse sind beim Fahrrad-Hersteller in jeder Position 360 Grad um das Tretlager einsetzbar, die Magnesium-Varianten horizontal und vertikal.
Motor und mehr
Dazu kommt, dass die Berliner inzwischen den schönen Sprung zum Systemanbieter geschafft haben und auf Wunsch auch den Stromspeicher und die Schaltzentrale liefern. Ein Baukastensystem. Nebenbei praktisch für die zertifizierten Fahrradhändler, die dann Wartung und Diagnose völlig easy mit Broses Cloud-basiertem Service-Tool (alle Daten, Einstellungen, Updates, Fehlersuchen, Reparaturwege und so weiter) übernehmen können.
Zum kompletten »Brose Drive System« gehören neben dem Antrieb ein Brose-Display (1,5- oder 3,5-Zoll-Farbscreen mit Bedieneinheit oder nur das puristische Remote-Ding mit LED-Signalen) sowie die lediglich 3,8 Kilo schwere Batterie mit 630 Wattstunden, die sich an jeder Steckdose in 3,5 bis vier Stunden wieder aufladen lässt. Damit kommt man, die Frage haben wir natürlich auch gestellt, je nach Bike-Auslegung, Fahrergewicht, Reifenluftdruck und Fahrweise problemlos 80 bis 120 Kilometer weit. Ups, beinahe vergessen: Eine Schiebehilfe offeriert der Brose-Antrieb selbstverständlich auch. Bis zu 6 km/h. Stichwort steile Tiefgaragen-Ausfahrt.
Der Kaffee ist getrunken, aber jetzt sollen wir noch notieren, dass Brose besonders in der weltweiten Mountainbike-Szene eine gesetzte Supernummer ist. „Da kennt uns jedes Kind“, wirft Schuster lässig ein. Ja, das wissen wir bei EDISON natürlich. Auch dass bei der ersten E-Mountainbike-Weltmeisterschaft der Südafrikaner Alan Hatherly auf einem (Specialized-)Bike mit Brose-Antrieb gewann. Technische Basis? Drive S im Magnesium-Dress. Professionelle Trail- und City-Tester, so verweist man bei Brose an dieser Stelle auch immer gern, schwärmten immer wieder von einem „völlig natürlichen, intuitiven Fahrgefühl“. Man vergesse doch glatt, dass man auf einem E-Bike säße.
Im nächsten Teil sehen wir uns die Fertigung an.