Stefan Berg hat seinen Ioniq 5 schon Mitte Juni bekommen, in „Atlas White“, mit großem Akku und Solardach. Der Duisburger hat ein Exemplar der Sonderedition „Project 45“ ergattert, mit der 3000 Kunden in Europa auf eine neue Ära der Elektromobilität eingestimmt wurden. Vollgepackt mit allen Extras und Allradantrieb, zum Preis von rund 60.000 Euro.

Berg hat dafür seinem Tesla Model 3 den Laufpass gegeben, das ihn von Anfang an mit einer schlechten Verarbeitungsqualität und einigen Bedienmängeln geärgert hatte. „Der Ioniq 5 ist da um Klassen besser und bietet einige Extras wie ein Head-up-Display, das bei Tesla überhaupt nicht zu bekommen ist“, schwärmt er während eines kurzen Stopps am Ladepark in Hilden. Als er seinen Hyundai mit dem Fastned-Supercharger verbindet, ist der 72,6 kWh große Akku des Stromers noch zu 30 Prozent gefüllt. Doch nach einer Viertelstunde zeigt das Zentraldisplay im Innern des Ioniq 5 schon wieder einen Füllstand von 80 Prozent – nach kurzer Aufwärmphase war die Ladeleistung behände auf 220 Kilowatt gestiegen. Selbst langjährige Tesla-Fahrer, die den Ladevorgang verfolgten, zollten da Respekt.

Starkes Statement
Mit dem Ioniq 5 strebt Hyundai eine Führungsrolle in nachhaltiger Mobilität an. Foto: Hyundai

Eigentlich könnte die Geschichte hier schon enden. Mit dem Fazit: Mit der 800-Volt-Architektur für besonders schnelle Ladevorgänge ist der Hyundai Ioniq 5 derzeit einzigartig in seiner Klasse – auf ähnlich hohe Ladeleistungen kommen derzeit nur der wesentlich teurere Porsche Taycan und sein Schwestermodell Audi e-tron GT. Und im Unterschied zu den Deutschen kann der Koreaner auch schon bidirektional Laden, also seine im Akku gespeicherte Energie beispielsweise dazu nutzen, um über einen 230 Volt-Adapter eine Kaffeemaschine zu betreiben oder einen Orangen-Entsafter.

Elegantes Design im Bauhaus-Stil

Womit wir bei unserer ersten eigenen Ausfahrt mit einem Hyundai Ioniq 5 wären. Denn die internationale Fahrpräsentation des neuen Elektroautos fand dieser Tage im spanischen Valencia statt. Die Mittelmeerregion ist in Sachen Elektromobilität eher noch Entwicklungsland – in der gesamten Stadt gibt es gerade mal sieben Ladeplätze mit schnellen CCS-Anschlüssen. Dafür herrscht dort (meist jedenfalls) Bilderbuchwetter. Und die niedrigen Corona-Inzidenzen erlauben inzwischen wieder Anflüge aus ferneren Regionen. Hyundai hatte deshalb die Veranstaltung kurzfristig von Norwegen nach Spanien verlegt.

Kia EV6 vor Villa Das neue Elektroauto EV6 ist der Auftakt zu einer Modelloffensive von Kia. Bis 2025 sollen weitere sechs Stromer auf der neuen Plattform entstehen - vom EV1 bis zum EV9. Elektroauto

Aber es lag sicherlich nicht an den norwegischen Kennzeichen, dass sich während der Testfahrten durch Valencia und das Hinterland pausenlos Köpfe von Passanten nach den in „Atlas White“, „Mystic Olive“ und „Gravity Gold“ lackierten Testwagen umdrehten. Dafür sorgte vielmehr das einzigartige Design im Bauhaus-Stil und der wuchtige Auftritt der 4,63 Meter langen und 1,60 Meter hohen Stromer – mit Kompaktklasse hat das nichts mehr zu tun, auch wenn der erste Blick Erinnerungen an die erste Generation des VW-Golf weckt.

605 Newtonmeter Drehmoment

Aber die Generation Golf bereitet sich gerade auf die Rente vor – der Ioniq 5 zielt eher auf die Generation E. Also auf jene intelligenten wie umweltbewussten Menschen im Alter zwischen 30 und gut 50 Jahren, denen der lautlose wie emissionsfreie Antrieb eines Elektroauto deutlich mehr Freude bereitet als das satte Brummen eines Sechszylinder-Verbrennungsmotors. Zumal die ölgekühlten, jeweils 69 Kilo schweren Elektromotoren an den beiden Antriebsachsen des Hyundai mit einem maximalen Drehmoment von 605 Newtonmetern fast jeden Verbrenner beim Ampelstart alt aussehen lassen dürften: Tempo 50 ist gefühlt nach einem Wimpernschlag erreicht, Tempo 100 bereits nach 5,2 Sekunden.

Eins, zwei, drei im Sauseschritt
Mit einer Systemleistung von 225 kW und einem maximalen Drehmoment von 605 Newtonmetern ist der allradgetriebene Ioniq 5 bei jedem Ampelstart vorne mit dabei – so man dies denn will. Foto: Hyundai

Aber auch wenn der Ioniq 5 mit Antriebsleistung zwischen 125 und 225 kW sowie Akkukapazitäten von 58 und 72,6 kWh auf das Model 3 oder (noch mehr) auf das Model Y von Tesla zielen mag – auf einen Rüstungswettlauf mit den Kaliforniern mochten sich die Koreaner nicht einlassen. Warum sollte man die Speicherkapazität eines Akkus auch immer weiter in die Höhe treiben und dabei wertvolle Ressourcen verschwenden, wenn Fahrten über 485 Kilometer eher selten sind und Ladepausen nur wenige Minuten dauern? Und Tesla-Gründer Elon Musk mag Käufer eines Tesla Model 3 mit einem virtuellen Furzkissen erfreuen – bei Hyundai bevorzugt man distinguiertere Geräuschkulissen.

„Lebendiger Wald“ zum leisen Säuseln des Windes

So starten wir zu unserer Testfahrt schon am Flughafen mit Blätterrauschen und Vogelgezwitscher. „Lebendiger Wald“, erfahre ich später, heißt das Klangszenario, das über die Lautsprecher des BOSE-Soundsystems – unfreiwillig – eingespielt wurde. Wahlweise kann man auch ein Meeresrauschen erklingen lassen oder das Knirschen des Schnees unter den Füßen eines einsames Wanderers. Oder man lauscht ganz einfach nur dem Säuseln des Windes und dem sanften Surren der Elektromotoren.

Die Hyundai-Ingenieure haben sich jedenfalls alle Mühe gegeben, die Fahrt in einem Ioniq 5 so entspannend wie möglich zu gestalten. Für die Einstellung der Außenspiegel und des Lenkrads muss man deshalb nicht wie im Tesla auf dem Touchscreen in Untermenüs suchen – es gibt dafür im Hyundai noch ordentliche Knöpfe und Hebel. Und mögen die Touchscreens im Ioniq 5 auch deutlich kleiner sein als im Tesla, so präsentieren sie doch ganz pfiffige Lösungen. Beim Betätigen des Blinkerhebels beispielsweise wird auf der entsprechenden Seite ein Bild des jeweiligen Außenspiegels eingeblendet, damit beim Abbiegen auch ja kein Radfahrer oder Fußgänger übersehen wird.

Blick in den (virtuellen) Rückspiegel
Sobald der Blinker betätig wird, scheint im Display vor dem Fahrer auf der entsprechenden Seite automatisch eine Kameraansicht des Rückspiegels auf. Radfahrer und Fußgänger sollten dann nicht mehr übersehen werden.

Die wichtigsten Fahrinformationen werden ohnehin über ein Head-up-Display in die Frontscheibe projiziert – so kann sich der Fahrer ganz auf den Verkehr konzentrieren. Das Auto mag zu einem Smartphone auf Rädern mutieren, wie viele Experten meinen. Bei Hyundai haben sie trotzdem noch viel Mühe auf die Abstimmung des Fahrwerks, der Lenkung und des Antriebs verwendet. Der Lohn ist ein dynamisches Fahrerlebnis der komfortablen Art.

Das Platzangebot ist dank eines Radstands von exakt drei Metern vorne wie hinten riesig. Auch im VW ID.4 – einem der direkten Konkurrenten – muss niemand Platzangst leiden. Aber dort liegen die Achsen rund 30 Zentimeter enger beieinander. Das kann die Kniefreiheit schon ein wenig einschränken. Im Ioniq 5 hingegen kann man die Beine hinten überkreuzen, ohne dass es eng wird. Zudem lässt sich die Rücksichtbank auch noch um 135 Millimeter verschieben, gegen Aufpreis sogar elektrisch, wenn zugunsten des Gepäcks im Kofferraum der Beinraum einmal knapper ausfallen darf. Gegen Aufpreis von 1100 Euro gibt es obendrein ein „Relax“-Paket, mit dem sich die Sitze in der ersten Reihe in so etwas wie Schlafsessel verwandeln lassen. Dazu das Meeresrauschen aus den Lautsprechern – einfach wunderbar.

Stromverbräuche knapp unter 20 Kilowattstunden

Aber noch stromert der Ioniq 5 durch das Hinterland von Valencia, mit gut 120 km/h über die Autobahn, mit Tempo 70 bis 80 über die Landstraßen durch riesige Orangenhaine. Die entspannte Fahrweise schlägt sich schnell in sinkenden Energieverbräuchen nieder. Beim Start wies der Bordcomputer noch einen durchschnittlichen Stromverbrauch von 22 kWh/100 km aus. Inzwischen, nach knapp 150 Kilometern Teststrecke, ist er schon bis auf 19,3 kWh abgesunken. Damit sind wir nicht mehr so weit entfernt von den offiziellen Werten nach der Verbrauchsnorm WLTP, die beim allradgetriebenen Topmodell um 17,1 kWh pendeln sollen. Die heckgetriebene Basisversion mit einer Antriebsleistung von 125 kW (170 PS) ist mit einem Verbrauch von 16,3 kWh/100 km ausgewiesen. Das kann sich sehen lassen für ein solch großes Fahrzeug mit einem Gewicht von rund zwei Tonnen.

Mit viel Liebe zum Detail
Blick in den Innenraum des Hyundai Ioniq 5 in Topausstattung Uniq, mit hellen Ledersitzen und elektrischen Schlafsesseln.

Nein, mit dem Ioniq 5 ist Hyundai wirklich ein großer Wurf gelungen, technisch wie ästhetisch. In diesem Jahr wollen die Koreaner allein in Deutschland noch 8000 Fahrzeuge verkaufen, die meisten davon, so wird erwartet, mit Allradantrieb und großem Akku. Auf die Basisversion mit kleinem Akku und schwachem Antrieb werden nach Schätzungen der Marketingabteilung nur etwa fünf Prozent entfallen.

Nach der Testfahrt empfehlen auch wir den Allradler mit der großen Batterie sowie mit Techniq-Paket und Panoramadach. Die Lackierung in Mystic Olive gäbe es aufpreisfrei, acht Jahre Garantie ebenso – für 58.550 Euro vor Umweltbonus und Innovationsprämie in Höhe von 7500 Euro. Ein vergleichbares Tesla Model 3 käme etwa 5000 Euro teurer – Stefan Berg hat also wirklich keinen schlechten Deal gemacht.

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2 Kommentare

  1. Raimund Kamm

    Es ist eine Fehlentwicklung, Personenautos mit fast 2 Tonnen Gewicht zu bauen!

    Raimund Kamm

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  2. Peter W

    Netter Bericht.

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