Albert Biermann ist ein Spezialist für dynamische Automobile. Erst machte er den Boliden der BMW M GmbH Beine, um dann bei Hyundai ein Pendant mit dem Buchstaben N aufzubauen. N wie Namyang (so heißt der Ort, in dem Hyundais Entwicklungszentrum sitzt) oder eben dem Nürburgring, von dem manche Asiaten (nicht nur in Südkorea) fast schon besessen scheinen.

Die ersten sportlichen Modelle des koreanischen Autobauers wie der i30 N oder der i20 N waren für Biermann letztendlich nur Business as usual. Nur eine Anwendung der in München angehäuften Kompetenz. Doch bei einem Elektromobil wie dem Ioniq 5 mit einem Gewicht von gut zwei Tonnen schaut die Sache schon anders aus. „Es ist, als wenn man einen Elefanten zum Tanzen bringt“, beschreibt Biermann schmunzelnd die Herausforderung.

Alles im Griff
Der Spaßfaktor auf der Rennstrecke ist immens, zumal der Power-Koreaner immer beherrschbar bleibt und im Falle des Falles auch das ESP eingreift, selbst wenn dieses manuell deaktiviert wurde.
Alles im Griff
Der Spaßfaktor auf der Rennstrecke ist immens, zumal der Power-Koreaner immer beherrschbar bleibt und im Falle des Falles auch das ESP eingreift, selbst wenn dieses manuell deaktiviert wurde.

Abgesehen vom hohen Gewicht hat ein Stromer allerdings auch Eigenschaften, die der Agilität förderlich sind. Die Batterie sorgt für eine Grundsteifigkeit der Karosserie, von der die Ingenieure, die mit Automobilen mit Verbrennungsmotor zu tun haben, nur träumen können. Ganz ohne Nachbesserungen geht es dennoch nicht: Die Techniker nutzen Hilfsrahmen vorne und hinten und stärkere Motor- und Batteriehalterungen, um die Seitensteifigkeit zu erhöhen. Insgesamt 42 zusätzliche Schweißnähte und 2,1 Meter Strukturklebstoffe optimieren die Torsionssteifigkeit der Karosserie.

478 kW im Boost-Modus

Das ist auch nötig, um die Kraft des 5N ordentlich auf die Straße zu bringen. Power ist bei einem Stromer ohnehin kein Problem. Das ist auch bei Hyundais Top-Modell so. Der Allradantrieb setzt sich aus zwei E-Maschinen zusammen mit 166 kW (226 PS) an der Vorderachse und 282 kW (383 PS) hinten. So schrauben die Techniker die Leistung auf 448 kW oder 609 PS. Holt man per Boost alles aus dem Antriebsstrang heraus, sind es sogar 478 kW – bei 21.000 Umdrehungen pro Minute. Dazu einen traktionsfördernden Allradantrieb sowie ein elektronisches Differenzial – und fertig ist die Renn-Laube. Sollte man meinen.

Rollende Playstation
Im Cockpit des Hyundai Ioniq 5N findet der Fahrer schier unendliche Möglichkeiten, die Charakteristik des Antriebs und das Fahrverhalten des Stromers auf seine Bedürfnisse – und die Rennstrecke – abzustimmen.

Bei einem Elektromobil ist es mit dem Aufdrehen des Inverters allerdings nicht getan. Das Thema Reproduzierbarkeit spielt gerade bei dynamischen Elektromodellen eine große Rolle. „Was helfen die ganze Kraft, wenn das Auto schon nach einer Runde auf der Rennstrecke schlappmacht?“, stellt Biermann eine berechtigte Frage. Also haben die Hyundai-Ingenieure viel Aufwand in die Kühlung des Antriebsstrangs sowie des Akkus gesteckt und unter anderem weitere Kühlelemente installiert. Dazu gibt es einen neben einem Ausdauer- für den Ioniq 5 nun auch einen speziellen Rennstrecken-Modus, der die Batterietemperatur in einem Wohlfühlfenster von 20 bis 30 Grad hält.

Fit für zwei Runden auf der Nordschleife

„Wir müssen zwei Hochgeschwindigkeitsrunden auf der Nordschleife mit jeweils unter acht Minuten schaffen“, setzte Biermann ein klares Ziel. „Wenn wir kein rennstreckenfähiges Auto schaffen, können wir aufhören!“ Das war mal eine Ansage. Doch wer glaubt, dass der Ioniq 5N ein kompromissloses Track-Tool ist, ein Auto nur für die Rennstrecke, irrt gewaltig. „Wir hören auf unsere Kunden“, erklärt Till Wartenberg, verantwortlich für die Submarke N.

Allerlei Spoilerwerk 
Der Hyundai Ioniq5N macht auch optisch keinen Hehl aus seinen sportlichen Ambitionen.
Allerlei Spoilerwerk
Der Hyundai Ioniq5N macht auch optisch keinen Hehl aus seinen sportlichen Ambitionen.

Herausgekommen ist so etwas eine rollende Playstation mit einer gehörigen Prise BMW M GmbH, wie man unter anderem an den Fahrmodi-Kurzwahltasten am Lenkrad sieht. Darüber hinaus bietet der Ioniq 5N ein Füllhorn noch an anderen Einstellungsmöglichkeiten. Der Nutzer (von Fahrer kann man in diesem Zusammenhang kaum mehr sprechen) wird davon fast erschlagen. Von der Gaspedalkennlinie über das Links-Bremsen bis hin zur manuellen Kraftverteilung des Allradantriebs und einem Drift-Programm – alles ist drin und individuell konfigurierbar.

Ioniq 5N mit V8-Sound auf Knopfdruck

Wir gehen den Hyundai Ioniq 5N von oben an. Sprich auf dem Korean International Circuit, einer Formel-1-Rennstrecke, auf der ein gewisser Sebastian Vettel den Rundenrekord hält. Schnell wird hier klar: Die Techniker haben nicht zu viel versprochen. Man kann den Ioniq 5N richtig fliegen lassen, auch wenn man in Kurven schon das Gewicht und eine Neigung zum Untersteuern spürt. Aber das ist vermutlich gewollt, da der Bolide so leichter zu beherrschen ist.

Wer ein tänzelndes Heck will, schiebt den Antriebskraftregler ganz nach hinten und schon ist quer das neue Geradeaus. Der Spaßfaktor ist immens, zumal der Power-Koreaner immer beherrschbar bleibt und im Falle des Falles auch das ESP eingreift, selbst wenn dieses manuell deaktiviert wurde. Da die Verteilung vollvariabel ist, kann man sich die Heckschleuder nach Gusto austarieren.

Ready to rumble 
Dem neuen Ioniq 5N sind die sportlichen Ambitionen ins Gesicht geschrieben. Per Wippen am Lenkrad kann sogar ein virtuelles Achtgang-Doppelkupplungsgetriebe ruckelnd in Gang gesetzt werden. Die Höchstgeschwindigkeit? 260 km/h.
Ready to rumble
Dem neuen Ioniq 5N sind die sportlichen Ambitionen ins Gesicht geschrieben. Per Wippen am Lenkrad kann sogar ein virtuelles Achtgang-Doppelkupplungsgetriebe ruckelnd in Gang gesetzt werden. Die Höchstgeschwindigkeit? 260 km/h.

Der Ioniq 5N ist ein Elektrosportler, mit dem sich auch Petrol Heads schnell anfreunden dürften. Denn die E-Maschine vorne ähnelt der Charakteristik eines Otto-Motors und dazu gibt es auf Wunsch einen synthetischen V8-Sound auf die Ohren.

Damit das traditionelle Fahrerlebnis komplett ist, haben die Techniker Schaltpunkte eines Achtgang-Doppelkupplungsgetriebes implementiert. Das ist eines der Highlights des Ioniq 5N – wenn der virtuelle Verbrennungsmotor sägend kreischt und man mit dem vermeintlichen Achtgang-Doppelkupplungsgetriebe per Schaltwippen die Gänge hineinschnalzt. Begleitet von einem merklichen Ruckeln. Klasse. Die Beschleunigung ist ohnehin Hyper-Car verdächtig: Nach 3,4 Sekunden erreicht der Ioniq 5N die 100 km/h Marke und stürmt weiter bis 260 km/h.

Preise um die 75.000 Euro ab Februar

Dennoch ist der Elektro-Sportler für ein reines Rennstrecken-Spaßmobil eine Spur zu weich abgestimmt. Das zahlt sich wiederum auf öffentlichen Straßen aus, da der Ioniq 5N absolut alltagstauglich ist. Die Batterie hat eine Kapazität von 84 Kilowattstunden, was für eine WLTP-Reichweite von rund 450 Kilometern gut – bei zurückhaltender Fahrweise und einer freiwilligen Beschränkung auf eine Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h. Dank der 800-Volt-Technik schafft der Hyundai eine maximale Ladeleistung von bis zu 350 kW. Damit sind die Akkus innerhalb von 18 Minuten von zehn auf 80 Prozent gefüllt.

Spannend ist auch die Rekuperation (bis zu 0,6 g), die sogar auch beim ABS-Eingriff funktioniert, allerdings dann nur bis 0,2 g. Einen Norm-Verbrauch gibt Hyundai noch nicht an. Wir benötigten auf unserer Testfahrt laut Bordcomputer 21,6 kWh/100 km, was angesichts des Gebotenen völlig ok ist. Das gilt übrigens auch für den Preis, der bei rund 75.000 Euro liegen dürfte. Zum Vergleich: Der zahme Ioniq 5 mit Allradantrieb und 77,4 kWh-Akku und Top-Ausstattung ist 10.000 Euro günstiger. Ab Februar 2024 steht der Ioniq 5N beim Händler. Rennsportfreunde mit Klimagewissen: Nichts wie hin.

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