Zum „Auto des Jahres“ hat es nicht gereicht – den Titel fährt 2025 der Renault 5 E-Tech Electric ein. Gegen die elektrische Wiedererweckung des automobilen „Kleinen Freund“ aus den 1970er Jahren hatte der Kia EV3 keine Chance. Mit 44 Punkten Abstand zum knuffigen Sympathieträger aus Frankreich landete der kantige Kompakt-SUV nur auf dem – respektablen – zweiten Platz. „Der EV3 macht fast alles gut und nichts schlecht und ist eine deutliche Verbesserung gegenüber dem Niro EV, den er ersetzt“, urteilte einer der Juroren. Aber zum Sieg reiche es nicht – weil der Kia nur ein bekanntes Konzept weiterentwickele statt – wie der Renault 5 – neue Wege zu beschreiten.
Inwiefern und auf welchen Feldern der Renault 5 tatsächlich neue Wege beschreitet, lassen wir hier mal dahingestellt sein. Der elektrische Kleinwagen ist letztlich auch nur eine Weiterentwicklung des Renault Zoe im nostalgischen Gewand. Dafür weist die Formgebung des Kia eher in die Zukunft. Und in punkto Praktikabilität und Alltagstauglichkeit schlägt der EV3 den kleinen Franzosen um Längen – so unsere Erfahrungen aus einem ausgiebigen Alltagstest mit dem Koreaner. Aber der Reihe nach – das soll hier noch nicht unser Fazit sein.
Beginnen wir mit den Fakten. Für den Test stand uns der Kia EV3 in der Topausstattung GT-Line zur Verfügung. Also mit einem 150 kW oder 204 PS starken Frontantrieb und einem Akku, der 81,4 kWh Strom speichern kann. 48.690 Euro ruft Hyundai derzeit für das Modell auf, bei unserem Testwagen kam noch Sonderausstattung (Metallic-Lackierung in Silber-Matt, Komfort-Paket mit elektrischen Sitzen und Sitzheizung sowie das Assistenzpaket mit Head-up-Display) im Gesamtwert von über 4000 Euro hinzu. Machte summasummarum einen Betrag von 52.770 Euro.
Ordentliche Reichweite – und clevere Lösungen
Der inzwischen nicht mehr erhältliche Kia Niro Elektro stand mit gleichstarkem Antrieb und einem 64,8 kWh großen Akku zuletzt mit 47.590 Euro im Lieferprogramm. Anbetracht der größeren Reichweite – der Niro EV kam mit einer Akkuladung maximal 455 Kilometer weit, beim EV3 sind (theoretisch) bis zu 605 Kilometer drin – ist der Aufpreis also durchaus fair. Zumal der Neue mit einem umfangreicheren Angebot an Assistenzsystemen daher kommt und trotz etwas knapperer Außenmaße (4,31 Meter zu 4,42 Meter Länge) den Passagieren im Innenraum spürbar mehr Platz bietet. Das nennt man Fortschritt.
Der eine oder andere mag sich über die reichliche Anwesenheit von Hartplastik im Innenraum des EV3 mokieren, aber dafür ist die Materialgüte und Verarbeitungsqualität insgesamt recht gut. Und wer wie wir schon einmal in einem Kia EV9 gesessen hat, findet sich auch sofort im EV3 zurecht, dem kleinen Bruder des vollelektrischen Fullsize-SUV. Ablagen gibt es mehr als reichlich, auch eine zum induktiven Laden des Smartphones. Und sogar einen aus der Mittelkonsole herausausziehbaren „Konsolentisch“, auf dem während einer Ladepause ein Laptop oder das Frühstück abgelegt werden kann. „Simply clever“ hätte ein Wettbewerber aus Tschechien die Lösung wohl genannt. Gleiches gilt für die Idee, gleich neben dem Türöffner die Schalter für die Sitzklimatisierung und die Lenkradheizung zu positionieren – andere verstecken solche Features in irgendwelchen Untermenüs des Bordcomputers. Das nennt man praktisch.
Viel Platz – und eine harte Bank
Auch die bis zu drei Fondpassagiere finden so schnell keinen Grund zum Klagen. Die Kopf- und Kniefreiheit ist generös, es gibt USB-C-Anschlüsse für das Laden der Smartphones und sogar beheizbare Sitzflächen. Einziges Manko: für großgewachsene Personen liegt die Sitzfläche zu niedrig, um dort auch die Oberschenkel auflegen zu können. Auch gab es bei voller Besetzung Klagen über den etwas zu harten Mittelplatz hinten – den blockiert man am besten durch Ausklappen der Armlehne. Das Kofferraumvolumen geht in Ordnung, das Reisegepäck von zumindest drei Personen lässt sich hier problemlos unterbringen. Eher ein Witz ist allerdings der Frunk unter der Fronthaube: Statt des Ladebesteck passt hier lediglich das Pannenset für die Reifen rein. Das Ladekabel landet dann wieder im Untergeschoss des Gepäckabteils. Das nennt man eine verpasste Chance.
Die dynamischen Qualitäten des Kia EV3 hingegen sind ohne Fehl und Tadel. Das Fahrwerk ist trotz der Kia-typischen eher sportlichen Auslegung durchaus komfortabel zu nennen. Das aufwendige McPherson-Mehrlenker-Fahrwerk bügelt Fahrbahnunebenheiten so gut, dass man kleinere Schlaglöcher nur dezent spürt. Und die Zahnstangenlenkung reagiert bei entsprechender Einstellung (im Untermenü) erfreulich direkt. Auch die vier innenbelüfteten Scheibenbremsen packen ordentlich zu, wenn sie denn mal gefordert werden. Und trotz des relativ hohen Leergewichts von knapp 1,9 Tonnen hat der 150 kW starke Frontantrieb keine Mühe, den Kia EV3 auf der Autobahnauffahrt auf Tempo zu bringen: Tempo 100 ist im Sport-Modus handgestoppt in weniger als acht Sekunden erreicht. Und die Höchstgeschwindigkeit von 170 km/h ist mehr als autobahntauglich. Das passt.
Hoher Verbrauch – niedrige Ladeleistung
Ausschöpfen sollte man die Antriebsleistung auf längeren Touren allerdings nicht. Denn trotz aller Bemühungen der Aerodynamiker kommt der EV3 letztlich nur auf einen cW-Wert von 0,263 – die Stirnfläche ist damit nur geringfügig kleiner als die des EV9 (0,28) und wenig besser als eine Schrankwand auf Rädern. Was sich in einem relativ hohen Verbrauch niederschlägt, wenn man sich nicht allein im Stadtverkehr bewegt. Im Schnitt kamen wir auf einen Verbrauch von 23,3 kWh Strom auf 100 Kilometer Fahrstrecke. Auf Autobahn-Touren wies der Bordcomputer auch schon einmal Werte um die 28 kWh/100 Kilometer aus. Reichweiten von 500 Kilometer sind unter den Bedingungen und allzumal im Winter bei weitem nicht zu schaffen – spätestens nach 290 Kilometern muss dann eine Schnellladesäule angesteuert werden. Das nervt dann schon ein wenig.
Und hier erlebten wir dann die einzige größere Enttäuschung. Dass der EV3 im Unterschied zum EV9 aus Kostengründen auf eine 800-Volt-Architektur mit Ladeleistungen von bis zu 270 kW verzichten muss, hatten wir hier schon bei der Weltpremiere des Fahrzeugs im vergangenen Jahr bedauert. Der EV3 muss noch mit einem 400-Volt-Bordnetz auskommen, schöpft aber leider auch nicht aus, was damit möglich wäre.
Während etwa der neue Skoda Elroq in der (vergleichbaren) Ausführung mit 77 kWh-Akku am Schnelllader den Gleichstrom mit bis zu 175 kW aus dem Netz zieht, füllt sich der 81,4 kWh-Akku des Kia EV3 mit maximal 128 kW. Theoretisch soll so der Ladestand innerhalb einer halben Stunde von 10 auf 80 Prozent angehoben werden. Wir brauchten während des Tests allerdings deutlich länger: Frühestens nach 40 Minuten war der Grenzwert von 80 Prozent SoC erreicht, ab dem das Warten am Schnelllader wegen der stark gesunkenen Ladeleistung keinen großen Sinn mehr macht.
Exzellente Ladeplanung- nervige Assistenten
Das mag mit den niedrigen Außentemperaturen zusammenhängen, aber auch mit der Steuerung des Energieflusses im Auto. So wurde der Gipfel der Ladekurve zwar in der Regel schnell erreicht, doch nach wenigen Minuten brach die Kurve schon massiv ein – um sich dann wieder zügig zu erholen. Und das haben wir nicht nur einmal, sondern mehrfach erlebt. Worauf diese „Achterbahnfahrt“ zurückzuführen ist, ließ sich nicht klären. Immerhin bietet Kia auch für den EV3 eine Vorkonditionierung des Akkus an, um die Aufnahmebereitschaft zu erhöhen. Und die Möglichkeiten, die Ladeplanung über Filter und Einstellungen zu beeinflussen, sind geradezu vorbildlich: Reichweitenangst muss in diesem Elektroauto wirklich niemand haben. Es sei denn, er stellt sich dämlich an.
Starke Nerven braucht es manchmal trotzdem. Weil die Assistenzsysteme mit ihren Warnhinweisen und Tonsignalen den Fahrer allzu oft malträtieren. Die Kakophonie lässt sich nach und nach zwar in einem Untermenü (!) des Bordcomputers deaktivieren. Aber wer das nicht schon bei Fahrtbeginn macht, hat größte Mühe damit – und ist einige Sekunden vom Verkehrsgeschehen abgelenkt. Was natürlich für neue Warntöne sorgt. Das haben andere Autohersteller intelligenter gelöst, etwa mit einem Direktwahlknopf auf dem Multimedia-Display. Da gibt es also noch Optimierungsbedarf.
Alles in allem aber ist der Kia EV3 ein exzellenter Familien-Stromer. Beinahe quadratisch, überaus praktisch und überdurchschnittlich gut. Mit dem Skoda Elroq hat er allerdings einen starken Konkurrenten, mit ähnlicher Antriebsleistung und Reichweite zu einem nur auf den ersten Blick etwas höheren Preis: Die aktuellen Leasingangebote für beide Modelle liegen praktisch auf dem gleichen Niveau – für Beträge um die 250 Euro im Monat haben Interessenten derzeit praktisch die freie Wahl.