Es hätte so schön sein können in Marzahn-Hellersdorf und Steglitz-Zehlendorf. Elektroautos laden über Nacht ganz bequem an der Straßenlaterne. Ideal für Leute ohne eigenes Grundstück oder private Garage (inklusive Wallbox und so), die in dichtbesiedelten Hochhaus-Gegenden oder überhaupt in hauptstädtischen Quartieren mit vielen Mietwohnungen leben. Abends nach Hause kommen, Stecker rein und laden quasi beim Schlafen. Super Idee. Wirklich. Da haben sich viele schon gefreut. Und im Familienrat mal gleich Kaufpläne fürs erste E-Modell diskutiert. Kurzum: Die Stimmung war prächtig.

Klang ja auch alles bestens. Mindestens 1000 neue Ladepunkte für Elektroautos wollte das Berliner Unternehmen Ubitricity (Gesellschaft für verteilte Energiesysteme mbH) bereits ab dem vierten Quartal 2019 einrichten. So das verkündete Timing am 10. Januar 2019. Der Clou: Für diese Ladespots sollten rasant und kostengünstig vorhandene Straßenleuchten mit „Mobile Metering-Ladepunkten“ von Ubitricity ausgerüstet werden. Gefördert über das „Sofortprogramm Saubere Luft 2017 bis 2020“ vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi). Zunächst beschränkt auf den dicht besiedelten Ostbezirk Marzahn-Hellersdorf (genau: viele Mietwohnungen in hohen Häusern) und auf Steglitz-Zehlendorf im Westen.

Warum gerade die? Ganz einfach: Beide Bezirke liegen außerhalb des Berliner S-Bahn-Rings. Hehres Ziel des Projektes, so verlautete damals aus der Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz, sei es, mehr E-Autos auf die Straße zu bringen, um nebenbei die innerstädtischen Stickoxidwerte in Berlin zu reduzieren. So weit, so gut.

Auch die Details des Projekts klangen vielversprechend. Ubitricity wollte mit einigen Partnern ruck, zuck die vorhandenen Straßenlaternen mit Steckdosen ausstatten. Im betont unauffälligen, aber sehr robusten Design (Stichwort Vandalimus-Schutz). Ohne teure Tiefbaubuddelei, die ganze Installation in rund einer Stunde. Ergo viel billiger als übliche Ladesäulen. Nur rund 1000 Euro würde die Umrüstung einer Laterne kosten, hieß es damals. Wunderbar.

Allerdings hätten sich die Nutzer zum Laden ein spezielles „Smart Metering-Kabel“ von Ubitricity zulegen müssen, über das Identifikation und Ladeprozess erfolgen sollten. Ein Kabel mit etwas Hardware, einem kleinen geeichten Stromzähler und einem Mobilfunkmodul, über das die Daten zur Abrechnung gesendet werden sollten. Preise fürs Smart-Kabel wurden damals noch nicht genannt. Es werde teurer sein als sonst übliche Typ 2-Ladekabel, hieß es bei Ubitricity. Und für das Kabel sollten die Nutzer einen Vertrag mit einem Stromanbieter ihrer Wahl abschließen.

Am „Berliner Modell“ gescheitert
Spezielles „Smart Metering-Kabel“ von Ubitricity mit integriertem Stromzähler und Funkmodul. Foto: Ubitricity

Ladeleistung? Maximal 3,7 kW. Also nix für das schnelle Aufladen zwischendurch, aber ausreichend für das gemütliche (batterieschonende) Laden des Akkus über Nacht. Genau dort, wo man abends ohnehin parkt. Offen war lediglich die Frage, ob es dann an den Ladepunkten für E-Autos reservierte Parkplätze geben würde. „Wir sind dankbar, mit dem Engagement aller Beteiligten zu diesem Punkt gelangt zu sein und nun auch in Berlin mit unserer Ladeinfrastruktur einen wesentlichen Beitrag zur Mobilitäts- und Energiewende zu leisten“, freute sich Frank Pawlitschek, der damalige CEO und Co-Founder von Ubitricity, bei der Bekanntgabe des tollen Projekts. Und hatte dabei garantiert im Hinterkopf, dass in der Hauptstadt, grob gerechnet, ungefähr 224.000 Straßenleuchten herumstehen, von denen mehr als ausreichend auch fürs coole Ladeprogramm geeignet wären.

Doch in den Vereinbarungen gab es einen kitzligen Punkt. Mit dem förderndem Bundesministerium und der erwähnten Berliner Senatsverwaltung war nämlich vereinbart, dass Ubitricity nur in einer ersten Projektphase mit dem Smart-Kabel arbeiten sollte. Richtig, mit dem quasi privaten Kabel, das potentielle Kunden hätten kaufen müssen, um die Laternen-Ladepunkte überhaupt nutzen zu können.

Für die zweite, dann entscheidende große Ausrollphase sollte Ubitricity eine weiterentwickelte technische Lösung ohne Nutzung des Mobile Metering-Kabels offerieren. Die komplette Technik inklusive Messeinheit sollte dann in die Laternen-Hohlräume passen. Und die E-Autofahrer sollten mit einem normalem Typ 2-Standardkabel laden können.

Dazu hatte die Senatsverwaltung von Anfang an eine ziemlich einleuchtende Begründung: Alles, was an Ladelösungen im öffentlichen Straßenraum entstehe, müsse nach dem „Berliner Modell“ für alle Nutzer frei zugänglich sein. Keine Diskriminierung von Autofahrern, die sich vielleicht das Smart-Kabel nebst Vertrag nicht leisten können oder wollen. „Diese Laternen-Ladepunkte müssen für alle zugänglich sein, nicht nur für die Kunden eines Unternehmens“, bestätigte Jan Thomson, Pressesprecher der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz, jetzt aktuell gegenüber EDISON. „Wir wollen keine private Infrastruktur an öffentlichen Straßen.“

Ubitricity war einverstanden, Ubitricity entwickelte eine entsprechende Lösung. Happy End, alles schick und fein? Leider nicht, denn jetzt platzte eine Bombe: Die neue Technik passte zwar real in die Berliner Straßenleuchten. Aber sie hielt nicht den vorgeschriebenen Bauraum ein. Für genau diese Regularien gab es nämlich neue, seit dem 8. März 2019 bundesweit geltende Technische Anschlussregeln (TAR) Niederspannung, die den Bauraum für stationäre Messstellen genau definieren. Das war das zwischenzeitliche Ende des rasanten Berliner Laternen-Plans.

Die Bedingungen hätten sich dummerweise im Laufe des Projekts verändert, schimpften die Verantwortlichen bei Ubitricity. Typisch deutsche Bürokratie. „Die technischen Anschlussbedingungen in Deutschland sind sehr detailliert und ein bisschen altmodisch“, kommentierte denn auch süffisant Ubitricity-Geschäftsführer Lex Hartmann in einem Rundfunkinterview. Die seien noch an alten Hausanschlüssen orientiert. Das Laden an Laternen funktioniere deshalb überall in Europa – nur nicht in Deutschland. Der Holländer hatte auch gleich eine mutige Forderung parat: Die bundesweiten Anschlussregeln müssten geändert werden, damit die moderne Technologie (jawoll, die von Ubitricity) auch in Deutschland in die Laternen passe.

„Rucksack“ am Laternenmast

Das lag natürlich nicht in der Macht der Berliner Senatsverwaltung. Man hatte, wie EDISON erfuhr, eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Das ganze Projekt fallen zu lassen – oder aber einen Neustart unter anderen Bedingungen zu probieren. Klar, da siegte Plan B, denn der Charme des Laternen-Ladens war auch für den Senat einfach zu groß: Eine vorhandene Infrastruktur, leicht zugängliche Standorte ohne Sondergenehmigungen, niedrige Kosten.

Ergo wurde das Projekt (übrigens gemeinsam mit Ubitricity) umgeschrieben, der Fördermittelgeber BMWi stimmte freundlicherweise zu. Und am 17. November wurde so unter dem schönen Slogan »Laden leichtgemacht für E-Autos« für die 1000 Ladepunkte an Straßenlaternen (gleiche Bezirke) eine öffentliche Ausschreibung gestartet.

Der entscheidende Unterschied zum bisherigen Projekt: Die Technik wird nicht mehr in die Laterne integriert, sondern komplett außen angebracht, gewissermaßen als „Rucksack“ samt Messelektronik. Die Laterne liefert nur noch den Stromanschluss und dient als Trägerobjekt. Dazu gäbe es bereits diverse technische Lösungen, die gut funktionieren. Auch in Berlin, gibt sich Thomson optimistisch.

Stromversorgung nach dem Prinzip Etoile
In Rely nahe Calais hat Ubitriciy in weniger als drei Tagen 22 einfache Ladepunkte für Elektroautos auf einem Krankenhaus-Parkplatz und in der Zufahrtsstraße installiert.

Bei Ubitricity ist man von der neuen Lage nicht übertrieben begeistert. Aber immerhin ist man wieder im Spiel. „Wir beteiligen uns an der Ausschreibung“, erklärt Pressesprecherin Nicole Anhoff-Rosin. Zu hören ist, dass es für die Rucksack-Lösung schon einen Partner gibt. Ubitricity will sich dazu noch nicht äußern. Intern aber wird offenbar intensiv an einer vorzeigbaren Lösung gearbeitet. Berliner Insider der Branche wetten jedenfalls darauf, dass Ubitricity beim Berliner Laternen-Laden weiterhin am Ball ist – dieser junge riesige Markt offeriere einfach ein verlockend lukratives Geschäft.

Berlin scheut den Kampf um Parkplätze

Beinahe vergessen: Das Parkplatz-Management für die avisierten Laternen-Ladepunkte ist immer noch, nun ja, ein wenig unklar. Es gäbe da verschiedene Ideen, ist aus der Senatsverwaltung zu vernehmen, aber derzeit noch nichts Konkretes. Man bitte um Verständnis. Logisch, ein ganz heißes Eisen, denn eigentlich müssten diese Ladepunkte durch optisch gekennzeichnete Parkbuchten ergänzt werden. Abgesehen davon, dass niemand weiß, ob Besitzer von Verbrenner-Fahrzeugen das brav akzeptieren würden, zumal der Berliner ja von Haus aus ein wenig renitent ist. In der Hauptstadt wird notfalls auch mal ungeniert länger in der zweiten Reihe geparkt.

Noch was? Ja, über die Schuldfrage der peinlichen Ladelaternen-Verzögerung wurde im pragmatischen Berlin, wo man mit dem elendigen Haupstadt-Flughafen oder dem überteuerten Umbau der Staatsoper in ganz anderen Dimensionen genervt war, nicht mehr groß diskutiert. Wer hier was vermasselte oder ein bisschen zu hoch pokerte. Trotzdem ist es zum Beispiel schwer vorstellbar, dass man bei Ubitricity vom Inhalt der neuen bundesweit geltenden Anschlussregeln erst während des laufenden Laternen-Projektes erfahren haben will. Zumal gerade diese Regeln auch speziell die neuen Anforderungen an Ladeeinrichtungen für Elektrofahrzeuge zum Inhalt haben sollten.

Wie aus dem akkuraten Zeitplan des Forum Netzwerktechnik im Verband der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik (VDE) hervorgeht, wurde mit der Erstellung dieser neuen Regeln schließlich schon im Mai 2014 begonnen. Mit allen irgendwie beteiligten Netzbetreibern, Herstellern, Handwerksvertretern und so weiter. Die Entwurfsveröffentlichung lief im April 2017, erst im Februar 2018 wurden nach rund 2800 Stellungnahmen die letzten Einsprüche beraten. Ein Riesenverfahren mit der gesamten Fachöffentlichkeit. Richtig, da waren garantiert auch die entsprechenden Fachabteilungen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) informiert — und hätten zum von ihnen geförderten Berliner Laternen-Projekt rechtzeitig den warnenden Finger heben können. Am Ende ließe sich natürlich auch darüber diskutieren, ob für die Berliner Laternen eine Ausnahmeregelung möglich gewesen wäre.

London, Fernost und noch mal Berlin

Woanders funktioniert das mit der Laternen-Laderei für Ubitricity jedenfalls dramatisch besser. In Großbritannien zum Beispiel. Da betreibt das Unternehmen mittlerweile nicht nur ein eigenes Office, sondern als Spezialist für Lade- und Abrechnungssysteme nach eigenen Angaben derzeit das größte öffentliche EV-Ladenetzwerk mit über 2554 Ladepunkten (12,5 Prozent Marktanteil). Obwohl die Berliner dort erst 2019 nach Pilotprojekten in London, Portsmouth, Oxford und Liverpool gestartet sind. Ladepunkte, die in Laternen oder Straßenpoller integriert sind.

Lademöglichkeit an beinahe jedem Laternenmast
In London hat Ubitricity in Kooperation mit Siemens mittlerweile 2600 Ladepunkte eingerichtet. Der Wille zu Veränderungen war hier größer als in Berlin. Foto: Siemens

In London gibt es laut Ubitricity diverse Straßen, auf denen jeder Laternenmast eine Steckdose hat. Insgesamt 2600 Ladepunkte. Schnell zu finden über die App, zugänglich per QR-Code und mit einem normalen Typ 2-Ladekabel. Das Smartphone ist hier quasi das extreme Display für die Ladedaten. Und mit dem Bauraum der Londoner Laternen gab es dabei nach der Auskunft vom Ubitricity definitiv keinen Ärger. Keine einschränkenden Vorschriften wie in Berlin. „In London war der Wille zur Veränderung größer als das Verweisen auf Regularien“, kommentierte Hartmann gerade in einer Berlin-London-Videokonferenz («Smart Infrastructure for Future Mobility«). Ein feiner Seitenhieb in Richtung der deutschen Hauptstadt.

Der Ubitricity-Chef blickt sowieso längst weiter: „Wir sind bereit, den Erfolg unserer Ladelösungen auch in Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Belgien, der Schweiz sowie in anderen Ländern zu wiederholen.“ Dazu passt die News aus Frankreich zu einem ersten Pilotprojekt. Da haben die Berliner in der Stadt Rely nahe Calais in weniger als drei Tagen 22 EV-Ladepunkte auf einem Krankenhaus-Parkplatz und in der Zufahrtsstraße installiert.

Zugang per Smartphone und dazu eine spezielle, ziemlich coole Lösung (Simple Socket Etoile) für den französischen Markt. Neben der Steckdose fürs Typ 2-Ladekabel gibt es hier nämlich auch eine Schuko-Steckdose (Typ E), an der auch elektrische Zwei- oder Dreiradfahrzeuge mit haushaltsüblichem Standardstecker geladen werden können. Mittlerweile, so Hartmann kürzlich, gäbe es für die Ubitricity-Ladetechnik sogar Anfragen aus dem asiatischen Raum, Japan ist bereits avisiert.

Neuer Anlauf im neuen Jahr

In Berlin allerdings gibt man sich trotz der über einjährigen Warteschleife optimistisch. Die Ausschreibung fürs Laternenladen endet Ende Dezember, die Auswahl unter den Bewerbern soll im Januar stattfinden, die Montage der ersten »Rucksack«-Ladepunkte an den hauptstädtischen Laternen im zweiten Quartal nächsten Jahres beginnen und 2022 abgeschlossen sein. Regine Günther, Senatorin für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz, macht ohnehin ständig Druck: „Wir müssen die Ladeinfrastruktur zügig und forciert aufbauen, wenn wir wollen, dass 2030 nur noch elektrisch betriebene Autos in der Berliner Innenstadt fahren“. Bereits im Januar, so erfuhr EDISON, wird ein Konzept für einen massiven Ausbau der hauptstädtischen Ladeinfrastruktur vorgestellt, dass dann ab 2023 greifen soll.

Interessante Aussichten. Aber in dieser Woche haben sie sich in Berlin erst einmal über eine hübsche Meldung gefreut: Im neuen Ranking des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) wird Berlin mit 1355 öffentlich zugänglichen Ladepunkten jetzt als „Hauptstadt der Ladepunkte“ geführt. Vor München (1286), Hamburg (1161), Stuttgart (498) und Essen (366).

Fehlt eben nur noch die große Laternen-Ladeoffensive. Wir halten Sie auf dem Laufenden.

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2 Kommentare

  1. U. Mund

    Guten Tag,
    ich habe jetzt bei On Charge einen Antrag auf eine Ladesäule, in Wohnnähe, gestellt. Mein Wohnort ist Berlin-Marzahn, einer der bevorzugten Orte für die Laternenladepunkte. Es gibt zwar vereinzelt welche aber diese muss man nicht nur suchen sondern so stehen einige an Standorten wo kein Mensch wohnt, in Industriegebieten.
    Der Antrag wurde am 05.07.21 abgegeben und heute (03.08.21) habe ich die Nachricht erhalten, dass in etwa 20 Wochen ein Säule installiert werden könnte.

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  2. Heinz Ehrlich

    Was gibt es Neues? Im Januar sollte doch ein Konzept für einen massiven Ausbau der hauptstädtischen Ladeinfrastruktur vorgestellt werden?!

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