Die Sunderland Avenue im Londoner Stadtteil Westminster hat seit dieser Woche auf einem ein Kilometer langen Teilstück einen neuen Namen: Electric Avenue. Denn Siemens hat die Wohnstraße zu einer „Elektrostraße“ umgebaut. An 24 Straßenlaternen können die Besitzer von Elektroautos dort künftig bequem Strom laden. Nötig ist dafür nur ein Spezialkabel mit integriertem Stromzähler, das den Standort identifiziert und eine automatische digitale Rechnungsstellung ermöglicht. Entwickelt wurde diese Lösung vom bekannten Berliner Start-up Ubitricity. Aber auch mit einem Standard-Ladekabel mit Typ-2-Stecker ist es natürlich möglich, an den Laternen Strom zu zapfen. Allerdings ist dafür eine Autorisierung über eine Website erforderlich, mithin nicht ganz so komfortabel und einfach.

Autos mit Verbrenner droht Verbannung

Die Electric Avenue ist Teil der Anstrengungen London, die Schadstoffemissionen in der britischen Hauptstadt mit einer schrittweisen Aussperrung von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren und der Förderung der Elektromobilität in den kommenden Jahren deutlich zu senken. Londons Bürgermeisters Sadiq Khan hat dafür die Kampagne #LetLondonBreathe ins Leben gerufen und verschiedene Technologieunternehmen an Bord geholt, um die für die Mobilitätswende erforderliche Infrastruktur zu schaffen.

Im Großraum London hat Siemens nach eigener Aussage inzwischen mehr als 1.300 Lademöglichkeiten für Elektroautos installiert, hauptsächlich finanziert durch das Förderprogramm „Go Ultra Low“ des britischen Verkehrsministeriums. Die Maßnahmen zeigen bereits Wirkung: Allein in Westminster, wo es inzwischen insgesamt 296 öffentliche Ladempunkte gibt, ist die Anzahl von Elektrofahrzeugen im vergangenen Jahr um 40 Prozent gestiegen – doppelt so stark wie in anderen Stadtteilen. Spürbar gewachsen ist auch das Interesse der Londoner Bevölkerung an der Elektromobilität, wie jüngst eine Umfrage von Siemens ergab: Mehr als ein Drittel (36 Prozent) aller britischen Autofahrer planen demnach den Kauf eines Hybrid- oder Elektroautos als nächstes Fahrzeug. Und zwei von fünf Befragten (40 Prozent) würden schon bald umsteigen, wenn es ausreichend Lademöglichkeiten für die Steckerautos gibt.

Wohnstraßen der Zukunft

„Wir können die Problematik der Luftqualität zwar nicht über Nacht lösen, aber die ‚Electric Avenue‘ zeigt auf beeindruckende Weise, was wir mit der Nutzung vorhandener städtischer Infrastruktur erreichen können. Sie verdeutlicht, wie Wohnstraßen schon in naher Zukunft aussehen werden, und beschleunigt die Umstellung auf emissionsfreie Fahrzeuge“, sagt der Siemens-Vorstand Cedrik Neike, Leiter und CEO von Siemens Smart Infrastructure

Und die Electric Avenue ist nur ein Zwischenschritt. In den kommenden Wochen sollen in Nebenstraße weitere Laternen in Ladestationen umgewandelt werden. Bis zum Jahresende soll es in Westminster mehr als 1.000 Ladepunkte geben. Ziel ist es, dort bis zum Jahr 2025 auf eine Zahl von 8000 Elektroautos zu kommen.

Einfach über Nacht an der Laterne Laden

Auch wenn die Corona-Seuche die Autoindustrie derzeit in Atem hält, darf der Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektroautos nicht stocken - mahnt VDA-Geschäftsführer Joachim Damasky. Laden

Dem Laternen-Laden kommt dabei möglicherweise eine Schlüsselrolle zu. „Das Laden von Elektroautos per Straßenlaterne ist für Autobesitzer ohne eigene Einfahrt eine praktische, kostengünstige, regenerative und energiefreundliche Lösung. Autos sind zu 95 Prozent ungenutzt. Es ist also nur sinnvoll, sie zu laden, während der Fahrer etwas anderes tut, zum Beispiel schlafen oder arbeiten“, sagte Daniel Bentham, der Leiter von ubitricity in Großbritannien, bei der Eröffnung der Electric Avenue.

Das gilt für die britische Insel genauso wie für Deutschland. Im Mutterland von Ubitricity kommt die Umrüstung von Laternenmasten in Ladestationen allerdings nur schleppend voran. Anfang 2019 hatte Ubitricity bekannt gegeben, zusammen mit dem Land Berlin innerhalb von zwei Jahren 1000 Straßenlaternen zu Ladepunkten umzurüsten. Die ersten Ladepunkte waren für den Herbst 2019 geplant. Doch bislang ist nicht eine einzige neue Laterne aufgestellt worden.

„Es hat sich herausgestellt, dass dieser Aufwand größer ist als ohnehin vermutet“, hieß es dazu in der Verkehrsverwaltung des Berliner Senats, die das Projekt betreut. Der Aufbau der ersten derartigen Laterne soll nun „voraussichtlich erst spät im zweiten Quartal 2020“ beginnen.

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4 Kommentare

  1. Andreas E.

    Wenn man wirklich will, findet man Lösungen und setzt diese zügig um, im anderen Fall sucht man nach Gründen es auszubremsen.
    Würde man an jeder Laterne mit 2kWh laden können würde das bestimmt für mehr als die Hälfte aller Autos genügen.
    Ich würde es halt einfach machen. Das kann doch gar nicht so viel kosten das bißchen Technik.

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  2. Markus Wolter

    Ja, Bedenkenträger gibt es hier reichlich. Mal ist es das Eichrecht, mal die Schuldenbremse, auch Sicherheitsvorschriften werden auch gerne genommen, um Innovationen auszubremsen. Wie man an Corona sieht: Wenn die Krise erst mal da ist, vergisst man die Vorschriften ganz schnell.

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  3. Duesendaniel

    Dank anderer Länder haben auch unsere Start-Up Unternehmen eine Chance. Wer hätte gedacht, dass selbst England uns einmal umwelttechnisch überholen wird!? In meiner Heimatstadt Köln weiss ich z.B. aus verlässlicher Quelle, dass den Energieanbietern nicht gestattet ist, Ladesäulen auf städtischem Grund aufzustellen. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.

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    • Wolfgang M.

      „Es hat sich herausgestellt, dass dieser Aufwand größer ist als ohnehin vermutet“. Mir erschließt sich daraus nicht, welcher Vorteil dann gewonnen wird, wenn man ein Jahr abwartet, bevor die erste Laterne umgerüstet wird? Oder will man das einfach aussitzen (und wartet insgeheim auf nächtliche Heinzelmännchen 😉🤔)?

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