Zurück ins Jetzt. Wo waren wir stehengeblieben? Genau, gemeinsam bilden die beiden Elektromotoren dieses DIREKT4 getaufte neue Antriebssystem, das die Traktion an allen vier Rädern kontinuierlich steuert und die Antriebskraft ständig automatisch und nahtlos sortiert. Die Antriebsmomente zwischen Vorder- und Hinterachse können nach den Meldungen der diversen Sensoren innerhalb von Millisekunden angepasst werden. Bei extremer Kurvenhatz zum Beispiel gibt es in der Relation von 20:80 zur Verbesserung der Traktion viel mehr Drehmoment an der Hinterachse. Funktioniert schneller als bei jedem mechanischen System, schwören die Japaner.
Das alles hat auf unseren rund 205 Kilometer langen Testfahrten bestens funktioniert. Auf allen Pisten, auf allen Untergründen. Wobei diese Übergänge zwischen den Antriebsachsen, wie erwähnt, wirklich nicht zu bemerken sind. Gibt ein gutes, beruhigendes Fahrgefühl, besonders ideal fürs Herausbeschleunigen aus Tempokurven. Wobei auch die Bremserei auf hohem Level mitspielt: Bremskraftverteilung zwischen Vorder- und Hinterrädern in Abhängigkeit vom Pedaldruck und den vertikalen Bewegungen der Radaufhängung. Glaubhaft wird, dass die Japaner das Auto „ausgiebig auf der Rennstrecke getestet und abgestimmt haben“. Zitat Lexus. Überhaupt: schön linearer Speed aus dem Stand. Trotzdem wäre es natürlich interessant, mal zu sehen, wie sich diese reizvolle elektronische Allradtechnik bei schneller Fahrt auf Schnee und Eis schlagen würde.
Maximal 160 km/h im Lexus
Schnell ist das passende Stichwort für einen kurzen Einschub zum Thema Speed. Denn im Gegensatz zu den üblicherweise 200 km/h schnellen Lexus-Hochsitzern ist die Höchstgeschwindigkeit im RZ 450e im Sinne eines schön niedrigen Stromverbrauchs auf 160 km/h limitiert. Und diese Spitze ist auch gut zu erreichen, auch wenn der Lexus da ab 150 km/h ein wenig bemüht wirkt. Könnte sein, dass typische BMW- oder Tesla-Fahrer an genau dieser Stelle die Lust am vollelektrischen Lexus verlieren. Prinzipiell ist diese Höchstgeschwindigkeit selbst auf deutschen Autobahnen natürlich völlig ausreichend.
Tja, zum Yoke-Lenkrad. Macht prinzipiell was es soll, beeindruckt dramatisch mit diesen kleinen Links-Rechts-Einschlägen beim Rangieren in der City, agiert auch ruhig und easy auf schnelleren Autobahnabschnitten. Kann auch flotte Wechselkurven, obwohl wir uns da an die oben sichernde Handhaltung (die sich irgendwie automatisch einstellt) erst einmal gewöhnen müssen. Wird aber, da sind wir uns sicher, noch nicht unser persönliches Lieblingslenkrad, weil es bei sehr schnellen Richtungswechseln in niedrigem Tempo, die für plötzliches Ausweichmanöver nötig sein könnten, spürbar zum Verhärten neigt. An dieser Stelle ist tatsächlich noch etwas Raum für Verbesserungen. Andererseits sollten wir der Form halber erwähnen, dass es an der ausgereiften konventionellen Lexus-Lenkung, die wir hier ja ebenfalls länger getestet haben, wie bisher nichts auszusetzen gibt.
Bis zu 440 Kilometer Reichweite
Jetzt aber müssen wir dringend über Reichweite und Verbrauch reden. Die 71,4 kWh, die Lexus hier für die Kapazität der Lithium-Ionen-Batterie (96 Zellen aus einer Samsung-Toyota-Kooperation) nennt, erscheinen auf den ersten Blick ein wenig mager. Sie sollen aber dank des versprochenen niedrigen Verbrauchs bei 18-Zoll-Rädern für eine Reichweite von bis zu 440 Kilometern (20 Zoll: 407 km) gut sein. Im reinen Stadtverkehr soll dieser Stromer nach internen Lexus-Messungen sogar Reichweiten zwischen 530 bis 566 Kilometer möglich machen.
Generell, kurzer Einschub, sind ja die theoretischen elektrischen Reichweiten der Stromer dieses japanischen Herstellers immer erfreulich dicht an der Realität. Haben alle unsere bisherigen Tests gezeigt. Ganz anders als bei vielen Konkurrenten. Kein Wunder: Das Verbrauchsthema üben sie im Toyota-Konzern bereits jahrzehntelang mit ihren Hybridmodellen.
Neugierig geworden? Offiziell nennen sie für dieses große Lexus-SUV bemerkenswert niedrige Verbräuche zwischen 16,8 (18-Zoll-Räder) und von 18,7 kWh (20 Zoll). Super Werte. Und da sind wir auf unserer Testtour mal mehr und mal weniger dicht dran. Bei nicht ganz so batteriefreundlichen Außentemperaturen zwischen 10 und 14 Grad. Überlandgleiten auf kurvigen Landstraßen, ein Stück geschwindigkeitslimitierter Autobahn und ein paar Kilometer Stadtverkehr. Alles dabei. Kleiner Beruhigungstrick der Japaner: Wenn das Display als verbleibende Reichweite schockierend null Kilometer anzeigt, liegt der Ladezustand der Batterie in Wirklichkeit noch bei acht Prozent.
Besonders sparsamer Range-Modus
So, mit Yoke-Lenkung, diesem Steer-by-Wire-System und 20-Zoll-Rädern landen wir nach den ersten 72 Kilometern auf Landstraßen und kleinen Dorfgassen im Eco-Modus und bei fleißiger Rekuperierung (Stufe 4) bei Werten zwischen knapp 21 und 24 kWh/100 km. In der zweiten Runde (82 km) mit den sparsameren 18-Zöllern und etwas ruhigeren Streckenanteilen pendelten unsere Durchschnittsverbräuche zwischen erfreulich niedrigen 17 und 18,9 kWh. Klingt gut, oder?
Den angebotenen Range-Modus haben wir dabei aus Zeitgründen ausgelassen. Der verschärft nämlich für etliche Extra-Kilometer zusätzlich die Spareinstellungen des Eco-Modus. Mit zahmerer Leistungsverteilung, einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf 100 km/h und der kompletten Abschaltung der Klimaanlage. Ansonsten ist es hier wie überall: Es gibt einen Normal-Modus, diesen Eco-Modus und ein Sport-Programm, das auch das Lenkgefühl spürbar anspitzt. Und zusätzlich einen Custom-Modus, mit wir unsere Lieblingseinstellungen für Antrieb, Fahrwerk und Klimatisierung programmieren können. Schade nur, das es für die Wahl dieser Modi keine Direkttaste gibt, das funktioniert bei Lexus nur über zwei etwas ablenkende Klicks auf dem zentralen Touchdisplay.
Strom fließt mit maximal 150 kW
Die Ladebuchse liegt übrigens vorn links und als Stecker für die Gleichstrom-Schnellladesäulen (DC) nutzen die Japaner den in Europa gängigen CCS-Standard statt des in Asien verbreiteten Chademo-Anschlusses. Gut, aber wie sieht es mit dem Ladespeed aus? Ordentliche 150 kW sind angesagt. Kein Spitzenwert in der Klasse, aber bei Lexus versprechen sie ein auch im Verlauf relativ hohes Ladelevel, zu dem bei kühleren Temperaturen die automatische Batterieheizung beitragen soll.
Ergo können rund 30 Minuten für die typische Gleichstrom-Füllung auf 80 Prozent angesagt werden, was schon mal ein akzeptabler Wert ist und auf Langstrecken unsere Geduld in einer ohnehin fälligen Picknick-Pause nicht übermäßig strapazieren würde. Mit dem bordeigenen 11-kW-Ladegerät dauert das Ganze bei dreiphasigem Wechselstrom-Laden etwa sechseinhalb Stunden, bei einphasigem Laden dann allerdings bis zu zehn Stunden.
Jede Menge Assistenzsysteme
Noch was? Ja, sämtliche Sicherheits- und Assistenzsysteme liegen auf höchstem Niveau. Alles da, alles drin. Vom proaktiven Fahrassistenten (der uns bei Ausweichmanövern in der Stadt unterstützen soll), dem auf Nummer sicher gehenden Kurvenbremser, dem Überholschutz (bei Gegenverkehr) und der scharfen 360-Grad-Kamera. Bis zur cloudbasierten Online-Navigation. Und die Sprachsteuerung („Hey Lexus“) soll auf viele gängige Bitten und Anweisungen selbst bei Hintergrundgeräuschen beflissen reagieren. Naja, sie versteht uns (wie bei fast allen Konkurrenten) leider nicht immer.
Klar, komplette kabellose Smartphone-Integration. Induktives Laden. Und auf Wunsch gibt es für diesen feinen Lexus sogar einen digitalen Rückspiegel, der immer ein klares Sichtfeld offerieren soll, nicht durch Kopfstützen oder hochgestapelte Gepäckstücke beeinträchtigt ist und selbst in der Nacht eine sichere Sicht nach hinten bieten soll. Updates für diverse Software-Funktionen? Logisch, sie lassen sich ohne Werkstattbesuche „Over the Air“ einspielen.
Intelligente Ladeplanung fehlt noch
Kritikpunkte? Wenige. Eine intelligente, strategische Ladeplanung für längere Touren, für E-Mobilisten ein gern gesehenes nervenschonendes Feature (Stichwort Reichweitenangst), hat das Multimedia-Systems des Stromer leider noch nicht. Allerdings ist diese Funktion schon fürs nächste Software-Update, das zum Jahresende kommen soll, definitiv vorgesehen. Bis dahin könnte diese Planung auch unser Smartphone per App oder so erledigen.
Und die im neuen RZ 450e erlaubte Anhängelast ist mit 750 Kilogramm (gebremst) leider nicht so berauschend, unsere entsprechenden Erkundungen laufen ins Leere. Da bieten nämlich andere in dieser luxuriösen Klasse, wo zu transportierende Pferdchen oder Motorboot-Trailer häufig ein Thema sind, wesentlich mehr. Teslas SUV Model Y darf bis zu 1600 Kilo an den Haken nehmen, ein chinesischer NIO EL7-Stromer bis zu 2000 Kilo und ein BMW iX sogar bis zu 2500 Kilogramm.
Plausible Gründe für dieses Manko kann man uns bei Lexus auch nach mehrfacher Nachfrage nicht nennen. Die bei diesem Thema etwas gequält wirkenden Mienen der Verantwortlichen könnten, wir spekulieren, daraufhin deuten, dass diese unerwartete Kalamität womöglich daran liegt, dass es nicht an den technischen Voraussetzungen, sondern an übertriebener Vorsicht der Konzernoberen liegt. Um nicht die netten elektrischen Verbrauchswerte des Autos zu killen.
Preise beginnen bei 68.000 Euro
Und man ahnt es, besonders günstig ist auch dieser Lexus nicht. Sein Einstiegspreis liegt bei 68.000 Euro, und da kommt für eine komplette Ausstattung noch einiges hinzu. Zum Beispiel im 4600 Euro teueren Executive-Paket mit den Rädern im 20-Zoll-Format, dem digitalen Innenspiegel, der Komfortheizung, dem dunkel getönten Privacy Glas oder der elektrischen Heckklappe. Das Panoramadach in der einfachen Version verlangt hier nach zusätzlichen 1000 Euro.
Obendrauf das erwähnte Luxury-Paket, das den Preis dieses Stromers auf 78.100 Euro schraubt und zusätzlich das nett einstellbare Head-up-Display (Full, Standard, Minimum), das erwähnte Mark Levinson-Soundsystem sowie den Fußsensor zum freihändigen Öffnen der Heckklappe umfasst. Das Design-Paket mit der kontrastierenden schwarzen Lackierung kostet allerdings noch 500 Euro extra (Executiv-Ausstattung: 700 Euro).
Schon über 600 Vorbestellungen
Für schnellentschlossene Käufer gibt es im aktuellen Startjahr bei den 22 deutschen Lexus-Händlern für den RZ 450e als typisches Lockmittel noch ein sogenanntes Launchpaket, das bei einem Endpreis von 74.700 Euro einige hübsche Extras günstiger offeriert. Und Deutschland-Chefin Nadine Busch freut sich schon mal über 600 Vorab-Bestellungen von Leuten, die den Vollstromer noch nicht einmal gefahren haben. „Das Interesse an diesem Auto ist bei uns wirklich groß.“
Natürlich muss nun noch ein Lob für die generell extrem langen Lexus-Garantien folgen. Zehn Jahre oder eine Million Kilometer. Wieder so ein Auto für die Ewigkeit. Lexus will in diesem Zusammenhang fest garantieren, dass die Batterie nach zehn Jahren noch mindestens 70 Prozent ihrer Kapazität hat. Geht aber gleichzeitig davon aus, dass die reale Kapazität da noch bei mindestens 90 Prozent liegen wird. Beruhigend für eine geplante längere Nutzung. Oder für den Wiederverkauf.