MAN-Chefdesigner Stephan Schönherr und sein Team können auf die Arbeit der vergangenen Jahre stolz sein. Die Verkäufe liefen prächtig und die eigenen Modelle haben einige Preise abgeräumt. „Zunächst einmal muss ein Bus zeitlos aussehen, denn die Fahrzeuge sind zumeist sehr viele Jahre auf der Straße unterwegs“, erläutert Schönherr seine Designphilosophie, „Es muss für die Fahrgäste, aber auch für die Umgebung freundlich und positiv wirken, so dass man gerne einsteigt.“
Elektroantrieb wird zum Standard
Und das Design wird auch beim Bau von Linienbussen immer wichtiger. Denn die Zukunft ist auch im Öffentlichen Nahverkehr elektrisch – und die neue Antriebstechnik soll man den Fahrzeugen ansehen. „Bis 2025 wird rund die Hälfte aller neuen Busse einen Elektroantrieb bekommen“, sagt Viktor Schaub, bei MAN verantwortlich für das Produktmarketing. „Bis 2030 rechnen wir dann mit einem Elektroanteil von 80 bis 90 Prozent.“ Getrieben wird der Wandel von der Bundesregierung und der EU. Die seit Sommer geltende „Clean Vehicles Directive“ (CVD) der Europäischen Union setzt erstmals verbindliche Mindestziele für Neubeschaffungen emissionsarmer und CO2-freier Busse im ÖPNV.
Das sind gute Nachrichten für die Stadtbewohner. Denn aktuell werden die meisten Linienbusse von Dieselaggregaten angetrieben. Allemal effizient, aber eben auch laut und alles andere als emissionsfrei. Dabei liegen die Vorteile eines Elektrobusses in der Innenstadt auf der Hand. Während Reisebusse lange Strecken mit konstanter Höchstgeschwindigkeit von 100 Kilometer zurücklegen, sieht das bei Bussen in der Innenstadt ganz anders aus.
BYD, Solaris und VDL mit Vorsprung
„Sie sind Tag für Tag auf einer festen Route unterwegs, halten sehr häufig, fahren an und bremsen wieder ab“, erklärt Rudi Kuchta, verantwortlich für den Busbereich bei MAN Truck & Bus. Die Busse fahren nachts in ein Depot, haben feste Standzeiten, zu denen problemlos und dann noch zum günstigen Tarif nachgeladen werden kann. Zwei bis drei Stunden reichen aus, um das Akkupaket im Unterboden oder auf dem Dach erstarken und fit für die nächste Frühschicht werden zu lassen.
Immer mehr Städte auch in Deutschland holen sich elektrisch angetriebenen Citybusse in die eigenen Fuhrparks. Nach Fahrzeugen aus chinesischer (BYD), polnischer (Solaris) und niederländischer Produktion (VDL und Ebusco) inzwischen auch Busse von Mercedes und MAN. Bei MAN startete die Serienproduktion der 12-Meter-Soloversion vor zwei Jahren im polnischen Starachowice. Konkurrent BYD hatte da schon mehr als 50.000 Elektrobusse gebaut und ausgeliefert.
Der vollelektrische Gelenkbus Lion’s City 18 E ging im April 2021 in Serie. Dieser bietet auf 18,1 Metern Länge bis zu 130 Fahrgästen Platz, der 12,20 Meter lange Solobus 12 E (Stückpreis: ab 350.000 Euro aufwärts) immerhin noch bis zu 88 Passagieren. Beim Antrieb setzt MAN auf einen Zentralmotor an der Hinterachse bzw. im Gelenkbus zwei Zentralmotoren an der zweiten und dritten Achse. Die Energie für den vollelektrischen Antriebsstrang stammt aus den Batterien auf dem Fahrzeugdach. Die Elektrobusse bieten eine Reichweite von bis zu 350 Kilometern – unter günstigen Bedingungen über die gesamte Lebensdauer der Batterien.
Elektroantrieb sofort erkennbar
Doch die Technik ist das eine, denn auch bei einem Nutzfahrzeug wie einem Lastwagen oder einem Bus wird das Design immer wichtiger – gerade wenn es eine neue Technologie visualisieren soll. „Bei unserem MAN Lion’s City E soll jeder auf den ersten Blick erkennen, dass es sich um einen elektrischen Bus handelt, der umweltfreundlich unterwegs ist“, sagt MAN-Chefdesigner Schönherr.. Sein Blick fällt dabei auf die markige Seitenspange, die sich vom Flur des Fahrzeugs bis ins Dach zieht. Nicht aufgemalt, sondern in einem dreidimensionalen Element, sodass dies auch von einem Sportwagen wie dem Audi R8 stammen könnte.
„Der Winkel im Dach macht den Bus sportlich und dynamisch. Zudem soll die Dachlinie es so aussehen lassen, dass der Bus nicht so hoch scheint, wie er wirklich ist.“ Geht es um die Detailliebe, unterscheidet sich ein Lastwagen oder ein Bus kaum von einem PKW. Das Markengesicht ist dabei ebenso wichtig wie die Proportionen und die rechte Materialwahl. „Der Innenraum ist natürlich ebenfalls besonders wichtig“, so Stephan Schönherr, „der muss nicht nur praktisch und variabel sein, sondern auch großzügig wirken. Es kommt auf den rechten Lichteinfall und eine gute indirekte Beleuchtung an.“
Dabei geht es nicht allein um die Fahrgäste, sondern speziell auch um den Fahrerarbeitsplatz, denn der Chauffeur sitzt hier in seinem Dienst viele Stunden am Tag. „Da muss alles passen; bequem und ergonomisch sein“, unterstreicht der MAN-Chefdesigner, dass sein Team darauf besonders viel Wert gelegt hätte. Die Wünsche der Hersteller sind dabei jedoch nur die eine Seite der Medaille, denn die Busse werden nach entsprechenden Kundenwünschen maximal individualisiert. Es geht um Ausschreibungen, nationale Vorgaben und den bestehenden Fuhrpark der Kommune. Da sieht der ein oder andere Bus in einer französischen Großstadt ganz anders aus als im Ruhrgebiet. Kundensonderwünsche setzt ein Fünf-Mann-Team entsprechend um.
550 Kilometer ohne Ladepause
Technisch sind die Unterschiede deutlich kleiner, denn einer wie der Lion’s City E hat eine elektrische Dauerleistung von 160 kW (218 PS) und 2.100 Nm Drehmoment. „Kurzzeitig stehen sogar 240 kW und bis zu 3.400 Nm zur Verfügung“, sagt Heinrich Degenhart, Abteilungsleiter bei MAN. „Bergab kann er mit bis zu 300 Kilowatt Energie zurückgewinnen.“
Die offizielle Reichweite des 83 km/h schnellen Elektrokolosses liegt bei 350 Kilometern bis das drei Tonnen schwere Akkupaket auf dem Dach, bestehend aus sechs Paketen mit einer Kapazität von 480 kWh, wieder aufgeladen werden muss. Nachgeladen wird nachts im Depot mit 150 Kilowatt in rund drei Stunden. Im vergangenen Jahr gab es einen Test unter Realbedingungen auf einer der bekanntesten Busrouten in der Münchner Innenstadt. Im 24-Stunden-Dauerbetrieb schaffte der Elektrobus Lion’s City 12 E imposante 550 Kilometer ohne Ladepause. Nach schier endlosen Touren durch München, Tür auf, Tür zu, anfahren und abbremsen, hatte er sogar noch zwei Prozent im Akkupaket.