Er ist zwar nicht hoch, aber steil. Sehr steil sogar. Denn mit seinen 18 Grad ist der Steigungshügel auf der Teststrecke von Mercedes-Benz Trucks in Wörth nicht nur für Fußgänger eine schweißtreibende Übung, sondern auch für den Actros, den sie hier sonst auf Herz und Nieren testen. Selbst das Top-Modell des Fernlasters mit 15,6 Litern Hubraum, knapp 600 PS Leistung und 2800 Nm Drehmoment müsste hier beim Anfahren ordentlich orgeln, bis es in Fahrt kommt. Und aller Dämmung zum Trotz dröhnt es dabei in der Kabine so laut, dass man kaum mehr sein eigenes Wort versteht. Von den feinen Zittern ganz zu schweigen, das wie ein fernes Erdbeben durch die Kabine zeiht und von dem Kraftakt zeugt, den der Sechszylinder tief unter dem Fahrer vollbringen muss .

Doch diesmal ist alles anders. Flüsterleise und ohne jede Mühe setzt sich der Berg aus Stahl in Bewegung und zieht die Steigung hinauf, als hätte es die Trägheit der Masse nie gegeben. Und das, obwohl die knapp 17 Meter lange Fuhre schon alleine gute 20 Tonnen wiegt und noch einmal mit genauso viel Last beladen ist.

Zukunft im Doppelpack 
Mit dem batterieelektrischen eActros 600 will Daimler Truck den Fernverkehr auf der rechten Autobahn-Spur elektrifizieren. Die ersten 1000 Kunden aus der Logistikbranche haben bereits einen Kaufvertrag gezeichnet. Fotos: Daimler Truck
Zukunft im Doppelpack
Mit dem batterieelektrischen eActros 600 will Daimler Truck den Fernverkehr auf der rechten Autobahn-Spur elektrifizieren. Die ersten 1000 Kunden aus der Logistikbranche haben bereits einen Kaufvertrag gezeichnet. Fotos: Daimler Truck

Aber das ist auch kein normaler Actros. Sondern hier legt Daimler letzte Hand an den eActros 600, mit dem die Schwaben jetzt auch den Fernverkehr auf der rechten Spur elektrifizieren wollen: Seit zwei Jahren rühren sie dafür schon die Werbetrommel, gerade erst haben sie publikumswirksam eine Marathon-Fahrt über 13.000 Kilometer bewältigt und zum Jahresende soll endlich die Auslieferung beginnen. Die ersten 1000 Kunden haben dafür schon einen Kaufvertrag unterschrieben, und die Zahl der Absichtserklärungen ist längst auch ins vierstellige geklettert.

Elektro-Laster als Teil der Lösung

Damit beginnt jetzt auch im Straßengüterverkehr das Zeitalter der Dekarbonisierung, schwärmen die Mercedes-Manager. „Wir müssen anerkennen, dass Transport ein Teil des Problems ist, wenn es um den Klimawandel geht“, räumt Karin Radström ein. Doch ist die Lkw-Chefin überzeugt, dass Laster auch ein Teil der Lösung sein können. Mit dem Mercedes eActros für die Langstrecke macht das Unternehmen deshalb jetzt den nächsten Schritt.

Mit dem bisherigen eActros für den Verteiler-Verkehr hat das neue Modell bis auf den Namen nicht mehr viel gemein. Man thront luftgefedert  in einer geräumigen, aerodynamisch optimierten Kabine, blickt auf ein halbes Dutzend Kamera-Monitore und Spiegel, hat hinter sich eine bequeme Pritsche – und braucht nicht viel mehr als den kleinen Finger und den großen Zeh, um den Sattelzug in Fahrt und auf Kurs zu halten. 

Lächeln auf die Lippen 
Der Fahrer thront luftgefedert  in einer geräumigen Kabine, blickt auf ein halbes Dutzend Kamera-Monitore - und braucht nicht viel mehr als den kleinen Finger und den großen Zeh, um den Sattelzug in Fahrt und auf Kurs zu halten. 
Lächeln auf die Lippen
Der Fahrer thront luftgefedert  in einer geräumigen Kabine, blickt auf ein halbes Dutzend Kamera-Monitore – und braucht nicht viel mehr als den kleinen Finger und den großen Zeh, um den Sattelzug in Fahrt und auf Kurs zu halten. 

Die Arbeit übernehmen dabei zwei E-Maschinen, die mitsamt eines vierstufigen Getriebes an der Hinterachse des Zugfahrzeugs angeschlagen sind und von drei Fahrprogrammen unterschiedlich stark im Zaum gehalten werden. Aber egal, wie sehr die Elektronik den Antrieb drosselt – es braucht nur einen Kickdown, um wie hier am Steigungshügel den Booster zu starten. Nicht für ein paar Sekunden wie im Pkw, sondern volle zwei Minuten und bisweilen sogar länger stellen die Maschinen dann die volle Leistung zur Verfügung und nehmen damit solchen Steigungen den Schrecken. Ebenso wie Passstraßen, einem Traktor auf der Landstraße oder einer verkürzten Autobahn-Auffahrt. 

621 kWh für 500 Kilometer Reichweite

Um trotz der größeren Last die Reichweite gegenüber den Verteiler-Modellen auf 500 Kilometer zu erhöhen, hat Projektleiter Michael Wolf statt zwei Akkus mit bislang maximal 420 kWh Kapazität drei Batteriepakete mit zusammen 621 kWh in den Rahmen gehängt und ist bei der Zellchemie zugleich auf Lithium-Eisenphosphat gewechselt. „Diese Technik erlaubt uns mehr nutzbare Kapazität und ist vor allem haltbarer,“ sagt Wolf, und das ist wichtig bei einem derartigen Investitionsgut: Während Autos heute nur noch selten auf mehr als 300.000 Kilometer ausgelegt werden, soll der e-Antrieb des Actros genau wie ein Diesel mindestens 1,2 Millionen Kilometer durchhalten und zehn Jahre tadellos funktionieren. 

Vom Winde geformt
Mercedes-Benz Trucks hat das Fahrerhaus des eActros im Windkanal getestet, um die aerodynamisch günstigste Form zu finden und den Energieverbrauch auf einen Schnitt von etwa 120 kWh/100 km zu senken.

Wie weit der eActros mit einer Akkuladung tatsächlich kommt, liegt natürlich vor allem an der Tonnage und der Topographie. Aber die größte Stellschraube ist der Fahrer: Genau wie der Pkw bietet auch der Truck neben einer intelligenten Routenplanung deshalb eine mehrstufige Rekuperation und gewinnt seine Bremsenergie zurück. Und anders als die Fahrer bin EQS & Co sind die Trucker das sogar bereits gewöhnt. Denn geregelt wird das genau wie bis dato die Retarder genannte Motorbremse mit einem Hebel am Lenkrad. Und weil so viel Masse im Spiel ist, ist der Effekt dabei um so größer. So groß, dass Wolf sogar eigens einen Zusatzverbraucher entwickeln musste, um die gesamte Energie überhaupt wieder loswerden zu können, falls die Batterie sie nicht mehr aufnehmen kann.

Elektronik regelt die Rekuperation

Spätestens wenn man durch die Stadt fährt, wechselt man aber am besten am Touchscreen gleich ins Profi-Profil und überlässt der Elektronik das Kommando. Dann regelt der Actros die Rekuperation selbst und lässt sich problemlos mit einem Pedal fahren – bis er an der roten Ampel oder einer Steigung zum Stehen kommt und sich ein Lächeln auf die Lippen des Fahrers legt. Denn den E-Motoren sei dank hat man dann im Actros plötzlichen einen AMG-Moment und freut sich auf den Kickdown. 

Trucker Paradies 
Die Fahrer, die heutzutage großes Mitspracherecht bei der Wahl der Fahrzeuge in der Spedition haben, will Daimler mit großem Komfort ködern, mit schier endloser Kraft und einer Stille, wie es sie im Schwerlaster so noch nie gegeben hat.
Trucker Paradies
Die Fahrer, die heutzutage großes Mitspracherecht bei der Wahl der Fahrzeuge in der Spedition haben, will Daimler mit großem Komfort ködern, mit schier endloser Kraft und einer Stille, wie es sie im Schwerlaster so noch nie gegeben hat.

Die Reichweite ist aber nur das eine Problem. Ein weiterer Knackpunkt im Fernverkehr ist das Laden: „Lange Standzeiten können wir uns nicht erlauben, sondern ein Laster muss Geld verdienen, und das kann er nur beim Fahren“, sagt Wolf. Deshalb fokussieren sich die Entwickler auf jene 45 Minuten Ruhezeit, die Fernfahrer nach 4,5 Stunden Lenkzeit von Gesetz wegen einlegen müssen.

Strom laden mit bis zu 400 kW

Um in dieser Zwangspause möglichst viel Strom in die Batterien zu pressen, arbeitet der Actros mit einer Betriebsspannung von 800 Volt und schon jetzt mit einer Ladeleistung von maximal 400 kW. Schon das genügt, um während der Pause so viel Energie nachzuladen, dass es für die zweite Hälfte der Schicht reicht. Und mittelfristig soll es sogar noch schneller gehen. Denn Wolf und sein Team haben alles dafür vorbereitet, dass der Actros auch das sogenannte Megawatt-Laden beherrscht – dann steigt die Ladeleistung auf 1000 Kilowatt. Und es reichen wenig mehr als 20 Minuten für die ersten 80 Prozent.

Megawatt-Charger? Schön wärs 
Spezielle Schnellladestationen für elektrische Lastzüge entlang der Autobahnen haben noch Seltenheitswert. So muss sich der eActros auf der Fernstrecke die Ladeinfrastruktur oft noch mit Pkw teilen.
Megawatt-Charger? Schön wärs
Spezielle Schnellladestationen für elektrische Lastzüge entlang der Autobahnen haben noch Seltenheitswert. So muss sich der eActros auf der Fernstrecke die Ladeinfrastruktur oft noch mit Pkw teilen.

Einziger Haken: Nachdem es bislang nicht mal dezidierte 400 kW-Säulen für Lkw gibt und sich die Testfahrer deshalb mühsam unter die Pkw mischen müssen, wenn sie ausnahmsweise mal außerhalb ihrer Fuhrhöfe laden, wird von einer Megawatt-Infrastruktur bislang nur geredet.  Aber da Daimler nicht alleine ist mit der Elektrifizierung des Schwerverkehrs, drängen jetzt immer mehr E-Trucks auf die Straße. Damit steigt der Druck auf die Politik, die Energieversorger und Netzbetreiber.

2,5mal teuer als ein Diesel-Actros

Die Fahrer, die in Zeiten gravierenden Personalmangels immer mehr Mitspracherecht haben, will Daimler dabei mit einem Komfort ködern, wie er bislang unerreicht ist, mit schier endloser Kraft und einer Stille, wie es sie im Schwerlaster so noch nie gegeben hat. Und zwar nicht nur während der Fahrt, sondern auch auf dem Rastplatz, wo zum Beispiel die Kühlung des Aufliegers ebenfalls aus dem Akku gespeist wird und der Motor deshalb abgeschaltet bleiben kann.

Und den Flottenbetreibern rechnet Projektleiter Wolf deutliche Einsparungen vor: Ja, der eActros 600 kostet etwa 2,5 mal so viel wie ein herkömmliches Fahrzeug, für das man je nach Fuhrparkgröße und Verhandlungsgeschick Preise ab etwa 100.000 Euro veranschlagen muss, räumt er ein. Und die Zeiten, in denen der Staat mal 80 Prozent des Mehrpreises übernommen hat, sind auch schon wieder vorbei.

800-Volt-Architektur 
Aktuell lädt der Mercedes eActros Gleichstrom mit bis zu 400 kW. Künftig sollen bis zu 1000 kW möglich sein - an den sogenannten Megawatt-Chargern für Lkws entlang der Autobahnen und auf den Autohöfen.
800-Volt-Architektur
Aktuell lädt der Mercedes eActros Gleichstrom mit bis zu 400 kW. Künftig sollen bis zu 1000 kW möglich sein – an den sogenannten Megawatt-Chargern für Lkws entlang der Autobahnen und auf den Autohöfen.

Doch emissionsfreie Trucks zahlen beispielsweise keine Lkw-Maut, die Wartungs- und Verschleißkosten sind zudem deutlich geringer. Für das größere Eigengewicht gibt es zudem vom Gesetzgeber einen Bonus, der am Ende die gleiche Zuladung garantiert. Und je nach Ladestrategie ist der Strom deutlich billiger als der Sprit. Im besten Fall fahre der eActros schon nach fünf Jahren aus all den Gründen billiger als jeder Diesel, rechnet Wolf vor. „Und danach macht man auf jedem Kilometer Gewinn.“  

 

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