Deutschland und chinesische Premiummarken – das ist noch keine Liebesbeziehung. Fragen Sie mal bei Nio, BYD oder Great Wall Motor nach. In der europäischen Autonation Nummer Eins haben Neuankömmlinge einen schweren Stand. Der chinesische Staatsautobauer SAIC hat sich den überschaubaren Erfolg der einheimischen Konkurrenz in Europa genau angeschaut – und lanciert mit dem IM6 nun ein Nobel-SUV. In Europa unter der Marke MG und zunächst auch nur in Großbritannien, Norwegen und der Schweiz. Also in Märkten, die entweder sehr elektromobilitätsaffin sind wie Norwegen. Oder in denen MG eine gute Tradition hat wie im Vereinigten Königreich. Ob die Edelstromer jemals nach Deutschland kommen, steht noch nicht fest: Es reicht schon, dass sich die anderen Autobauer aus dem Reich der Mitte hier eine blutige Nase geholt haben.
Moment mal! SAIC und Audi? Da war doch was. Genau: Auf der Shanghai Auto dieses Jahres haben die Ingolstädter das Audi E Concept (Audi E5 Sportback) vorgestellt, das noch dieses Jahr in China auf den Markt kommen soll. Ein Fahrzeug, das gemeinsam mit SAIC entwickelt worden ist. Interessanterweise hat auch der IM6 eine 800-Volt-Architektur, NMC-Akkus mit einer Kapazität von 100 Kilowattstunden (96,5 kWh netto).

Der Audi E5 Sportback nutzt die gleiche Plattform wie der MG IM6, nutzt die gleiche Antriebstechnik – und verzichtet auf die vier Ringe.
Es steht wie der Audi ohne die vier Ringe auf einem Fahrwerk mit Luftfedern und adaptiven Dämpfern (nur in der Launch-Edition) und verfügt über eine Allradlenkung, bei der die Räder mit bis zu sechs Grad einschlagen. Ein Schelm, wer dabei Böses denkt. Wir sind einfach mal so frei und schreiben dem chinesischen E-SUV eine Technik-Verwandtschaft zum Asia-Audi zu. Zu auffällig sind einfach die Gemeinsamkeiten.
Dass die IM-Plattform (IM steht für „Intelligent Mobility“) noch keinen Namen hat, passt ins Bild. Schließlich trägt die Audi-Architektur schon die Bezeichnung: Advanced Digitized Platform (ADP). Der 4,90 Meter lange IM6 verfügt über einen Allradantrieb mit 553 kW (752 PS) Leistung und ein maximales Drehmoment von 802 Newtonmetern. Nur so nebenbei: Die Audi-Studie hat eine Antriebsleistung on 570 kW oder 775 PS, ist also einen Tick stärker.
Topspeed 267 km/h
Doch nun wollen wir uns aber auf MG und den IM6-Crossover konzentrieren. Power ist im Überfluss vorhanden. Kitzelt man mit der Einstellung Sport alles aus dem Antriebsstrang heraus, knackt das 2.410 Kilogramm schwere Vehikel nach 3,5 Sekunden die 100-km/h-Marke und ist bis zu 239 km/h schnell. In der Performance-Version beträgt die Höchstgeschwindigkeit sogar 267 km/h. Wir waren auf unserer Testfahrt auf der britischen Insel allerdings die meiste Zeit im Comfort-Modus unterwegs und hatten immer das Heft des Handelns in der Hand.

In China ist IM eine Submarke von SAIC, in Europa wird das Modell unter der Marke MG vertrieben. Das Markenzeichen am Heck stellt übrigens einen binären Code dar – und steht für „Intelligent Mobility“. Die schlechte Sicht nach hinten ist da eher nebensächlich.
Aber auch mit „Eco“ ist man alles andere als ein Verkehrshindernis. Wichtig ist, dass sich die Fahrmodi deutlich unterscheiden. Und wer will, kann sich sein eigenes Dynamikmenü zusammenstellen. Die Luftfederung erlaubt eine Höherlegung der Karosserie um 20 Millimeter auf ruppiger Landstraße und ein Absenken des Aufbaus um fünf Zentimeter auf der Autobahn. Beides hilft übrigens auch beim Ein- und Aussteigen sowie beim Beladen des Kofferraums.
Strom laden mit fast 400 Kilowatt
Spannend ist das Super-Eco-Fahrprogramm. Wenn die Chinesen Super-Eco sagen, dann meinen sie das auch so. Dieser Fahrmodus ist dafür gedacht, sich mit 60 km/h und fast leeren Batterien nach Hause zu schleppen. Dann wird unter anderem die Klimaanlage ausgeschaltet, die 360-Grad-Kamera wird genauso dunkel wie der zentrale 10,6-Zoll große Touchscreen. Und das Navigationssystem schaltet auf stumm. Dank der großen Energiespeicher kommt der Stromer in der Basisversion bis zu 504 WLTP-Kilometer, in der Long-Range-Version mit Hinterradantrieb 710 Kilometer weit. Und dank einer maximalen Ladeleistung von 396 kW sind die Akkus innerhalb von 17 Minuten von zehn auf 80 Prozent gefüllt. Nach unserer Testfahrt meldete der Bordcomputer übrigens einen Durchschnittsverbrauch von 23,9 kWh/100 km. Das sind nur 0,5 kWh/100 km mehr, als MG als Durchschnittsverbrauch angibt.

Gleichstrom nimmt der MG IM6 mit bis zu 396 kW auf. Da bleibt in der Ladepause nicht viel Zeit zum Checken der E-Mails. Fotos: MG
Noch ein paar mehr technische Finessen? Beim Fahrwerk setzen die Techniker auf eine Multilink-Hinterachse sowie eine Doppelquerlenkerachse vorne. Das Zusammenspiel zwischen der Luftfeder und den adaptiven Dämpfern funktioniert besser als bei so manchen chinesischen Konkurrenten. „Wir haben das Fahrwerk auf die europäischen Bedürfnisse angepasst“, erklärt Chefingenieur Steve Garside, ein Brite.
Chinesischer Komfort auf knapp fünf Meter
Der Schuss europäische Ingenieurskunst tut dem E-Crossover gut. Natürlich ist der MG IM6 typisch chinesisch abgestimmt, also komfortabel. Immerhin hält sich das Nachwippen im Vergleich zu anderen Modellen aus dem Reich der Mitte in Grenzen. Ähnliches gilt auch für die Lenkung, die dennoch etwas verbindlicher sein könnte. Die Sitze haben eine zu kurze Beinauflage und bieten zu wenig Seitenhalt. Das kriegen sie bei Audi sicher besser hin.

Direkt vor dem Fahrer breitet sich ein 26,3 Zoll großer Bildschirm bis zur Mitte der Armaturentafel aus. Allerdings ist die Anordnung des 10,5 Zoll Monitors in der Mittelkonsole, der als Kommandozentrale dient, nicht ideal: Es sitzt ziemlich tief neben dem Fahrer.
Bei den Fahrassistenzsystemen hingegen lassen sich chinesische Autobauer schon lange nicht mehr lumpen. Ein selbsttätiger Spurwechsel gehört mittlerweile zum Standardrepertoire. Genauso wie das Einparken auf Knopfdruck, sei es längs oder rückwärts. Man fährt auf den Parkplatz, das System zeigt die Optionen an, man wählt den gewünschten Standplatz aus, startet das Prozedere und schon übernimmt der Autopilot das Kommando. Wobei das Einparken besser gelingt als das Herausfahren, bei dem sich das System von den anderen fahrenden Autos bisweilen irritieren lässt. Außerdem an Bord: Ein Regen-Nacht-Modus, bei dem die Rundumkamera den Fahrer unterstützt. Das ist auch gut so, denn nach hinten ist die Sicht sehr eingeschränkt.
Viel Platz für fünf Passagiere und ihr Gepäck
Beim Infotainmentsystem bietet der MG IM6 typisch chinesische Kost. Hat man eines gesehen, kennt man eigentlich alle. Direkt vor dem Fahrer breitet sich ein 26,3 Zoll großer Bildschirm aus. Allerdings ist die Anordnung des 10,5 Zoll Monitors in der Mittelkonsole, der als Kommandozentrale dient, nicht ideal. Denn dieses Display befindet sich (bei rechtsgelenkten Fahrzeugen) links ziemlich tief neben dem Fahrer. Will man eine Funktion aktivieren, muss man den Blick kurz nach unten richten. Zudem gibt es Innenraum fast keine echten Knöpfe und Hebel mehr. Das ist nicht ideal. Auch die Tesla-typische Reduzierung der Lenkrad-Fernbedienung auf zwei Walzen ist keine große Hilfe. Das Smartphone ruht immerhin in einer gekühlten Ladeschale und zieht mit 50 Watt Strom. Apple CarPlay und Android Auto funktionieren auch drahtlos.

Der Kofferraum ist mit 665 Litern Fassungsvermögen groß genug für das Reisegepäck einer Familie. Legt man die Lehnen der Rücksitze um, wächst das Stauvolumen sogar auf 1.640 Liter. Und vorne im Frunk kommen noch mal 32 Liter für das Ladebesteck hinzu.
Auch beim Platzangebot gibt es wenig zu mäkeln. Bei einem Radstand von 2,95 Metern ist selbst im Fond mehr als genug Raum. Und der Kofferraum ist mit 665 Litern Fassungsvermögen groß genug für das Reisegepäck einer Familie. Legt man die Lehnen der Rücksitze um und lässt den Nachwuchs daheim, wächst das Stauvolumen auf 1.640 Liter. Dazu kommt noch das Frunk genannte Abteil unter der Fronthaube, in das 32 Liter passen.
Preise ab 48.000 Pfund im Königreich
Und was kostet der Spaß? Großbritannien erhebt aktuell einen Zoll von zehn Prozent auf chinesische Autos. Für die Basisversion des MG IM6 mit 100-kWh-Batterie und Hinterradantrieb werden auf der Inselrund 48.000 britische Pfund, also 55.319 Euro, aufgerufen. Die von uns gefahrene Top-Version „Launch Edition“ schlägt mit umgerechnet 61.082 Euro zu Buche.
Wie bereits erwähnt, verweisen die MG-Manager die Idee, den IM6 nach Deutschland zu bringen, noch in den Bereich der Fabel. Aber es müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn das Modell nicht nach Deutschland käme. Auch in China gelten die Gesetze der Marktwirtschaft. Und der Audi E5 Sportback kommt ihnen hierzulande nicht in die Quere. Da könnten bei dem Verkaufspreis schon ein paar hundert Verkäufe herausspringen.