In Madrid liegt mehr Schnee als am Nordkap
Es geht über den westlichsten Pass der Pyrenäen. Auf dem Gipfel ist irgendein Fest, lange nicht mehr so viele Menschen gesehen. Ich fahre weiter. Safety First. In Pamplona ist wieder Winter. Und in Madrid ist richtig Winter; halleluja. Haben Sie davon gehört? Viel kälter und viel mehr Schnee als am Nordkap. Totales Chaos. Ist das der Klimawandel? Den ganzen Tag schon dachte ich, das Navi spinnt. Ständige Umplanungen und völlig wirre Reiseprognosen. Bei Google war alles grün. 1:0 für Audi. Ich lerne; für Google sind eine evakuierte Straße und eine leere Straße scheinbar das Gleiche. In beiden Fällen sind keine Smartphones anwesend, aber in einem Fall kann man frei fahren und in meinem Fall war die ganze Piste mit eingeschneiten Fahrzeugen zugewürfelt.
Zum Glück war ich einen Tag später am Nordkap und damit einen Tag zu spät hier. Mittlerweile hatten die Räumdienste zwischen den havarierten Blechbuden, irgendwie eine Slalomstrecke frei gemacht – zumindest auf den Hauptstrecken, Richtungswechsel ausgeschlossen. An jedem Autobahnkreuz und davon gibt es viele in Madrid, steht Irgendwas quer auf den Rampen und dann geht eben nichts mehr, auch nicht zum Räumen. Völlig skurrile Szenen. Mein SUV ist leider kein Monster-Truck, aber irgendwie komme ich am Ende doch noch durch.
Der nächste Morgen. Wahnsinn. Bei Sonnenaufgang bin ich schon in Andalusien und hier ist einfach Sommer. Die Sonne knallt, es duftet nach Frühling, alles leuchtet weich – herrlich. Nach ein paar Stunden glitzert das Mittelmeer vor mir. Porsche City Charging Puerto Banus. Klingt verdächtig, viel zu nobel für Spanien um öffentlich zu sein. Mit meinem Bauchgefühl sollte ich richtigliegen, ausgerechnet die letzte Säule vor dem Ziel legt mich rein. Ich wollte die Show und bekam eine Ehrenrunde; 3 Stunden und 80 Kilometer extra. Ein letzte Mal Vollladen, denn rund um mein Ziel gibt’s nichts und ich muss ja auch wieder wegkommen. Auch am Everest ist der Gipfel nur ein Zwischenziel. Hinter Gibraltar, am Mirador del Estrecho hat man den besten Blick auf Afrika. Hier muss ich nochmal anhalten und ein paar Videoanrufe erledigen. Sonnenuntergang.
Nach 5980 Kilometern ist Tarifa erreicht
36°0’52 Nord; 18:28 – es ist geschafft. Nach 5.980 Kilometern und 107:49 Stunden, erreiche ich mit dem Audi e-tron Tarifa, den südlichsten Punkt Europas. Das war fast schon zu einfach; wirklich. Und wahrscheinlich ist es auch kein Rekord und sicher keiner mit Bestand. Ohne nächtliche Zwangspausen, ohne Sightseeing und Fotostopps, mit einer Planung statt spontan einfach draufloszufahren und dem ein oder anderen schnelleren Lader nördlich von Stockholm und südlich von Madrid, mit Nutzung von Mautstraßen in Frankreich und Spanien und am allerbesten auch mit einer Copilotin ist hier noch richtig Luft nach unten. Sicher keine Halbierung, auch 72 Stunden wären sehr knapp. Rund 2.000 Kilometer sind Landstraße, aber nach Jules Verne ist 80 doch eine realistische Zielgröße für ein 2020er Elektroauto. Nicht Tage, sondern Stunden aber auch nicht um die Welt, sondern nur von Nord nach Süd durch unser Europa.
Schon interessant, dass es er-FAHREN heißt. Nach Rückweg über Sierra Nevada, Mar Menor und Kap Touriñán habe ich auf insgesamt 18.757 Kilometern einiges gelernt zur Validität der Elektromobilität. Minus 20 Grad in Lappland, plus 20 Grad in Andalusien, Standheizen oder 200-km/h-Heizen, tiefer Neuschnee oder trockener Asphalt, am Meer oder auf der Gipfelstraße: Der Stromer hat einfach funktioniert, spektakulär unspektakulär – eben genau so wie man es von einem neuen deutschen Wagen erwarten sollte und auch erwarten kann.
Zugegeben, das Zusammenspiel aus Ladestation, Ladebuchse und Kabellänge hat in Einzelfällen etwas Kreativität erfordert. Andererseits gab es so zumindest mal ein gutes Argument einen SUV zu fahren. „Geht-nicht“, weil „Will-ich-nicht“ Diskussionen sind für mich mittlerweile bestenfalls amüsant.
Ein Cabrio oder ein Camper wären cool
Was ich mir für die Zukunft wünsche? Einen vollelektrischen Allrad-Sprinter mit Camper-Ausbau. Dazu ein vollelektrisches BMW i4 Cabrio. Der lautlose und abgasfreie Antrieb würde genial passen, um im offenen Wagen über blühende Alpenpässe zu fliegen. Und: Es wäre ein echter Beleg für die proklamierte Multi-Antriebs-Architektur der Münchner. Denn auf den volumenorientierten Elektro-Plattformen aus Wolfsburg oder Ingolstadt wird man kurzfristig kein Cabrio finden.
Und für die Chance auf ein echtes Abenteuer müsste man wirklich nach Südafrika weiterfahren oder gleich auf die Panamericana wechseln. Einziges Problem: eCamper oder eCabrio? Strom gibt’s überall!
Ich stehe dem Elektroauto positiv gegenüber, auch wenn ich es erst zu einem TOYOTA Prius (Vollhybrid) gebracht habe.
Dieser Bericht gehört aber in ein Unterhaltungsmagazin und nicht in eine Fachzeitschrift. Es fehlen nämlich sämtliche Fahrdaten wie Stromverbrauch von Ladestelle zu Ladestelle, die Kosten und ob überall die Tankkarte von Audi genutzt werden konnte. Und noch Vieles mehr.
Ich erwarte weniger Emotionen und Poesie, dafür aber mehr Zahlen.
Es ist ein Reisebericht, kein Test
Zitat Anfang:
„der nächste DC-Lader ist 298 Kilometer entfernt. So weit bin ich noch nicht an
einem Stück gefahren. Also Heizung aus und den Range-Mode an. Ich ziehe vorsichtshalber meinen Skianzug an und eine warme Mütze auf den
Kopf. Die Frontscheibe beschlägt langsam von innen, friert dann auch
noch ein. Also kurz die Heizung an und eine Maske aufgesetzt: Bloß
nicht Atmen.“ Zitat Ende
Die einen nennen es Abenteuer, die anderen NoGo 🙂
LG Jo
Schöner Bericht. Vielen Dank. Vor diesem Hintergrund ist der kürzlich durch die Medien gegangene Artikel mit den Rentern, die nur mal nach Frankreich wollten, umso lächerlicher.
Danke für diesen tollen Bericht! Die Elektromobilität wird zum Reiseabenteuer und das würde ich nach diesem Beitrag auch gerne ausprobieren.
Danke für diesen lehrreichen Bericht.
Mehr solche Praxiserfahrungen wären wünschenswert.
Leider melden sich immer mehr Schreiber, die sich mit rein erworbenem Expertenwissen aus irgend woher, hier oder in anderen E Foren auf sich aufmerksam machen wollen.
Ein herrlicher, nahezu poetischer Bericht mit eindrucksvollen Pics aus einer „neuen“ Zeit. Danke!
Vor genau 50 Jahren habe ich mit meinem Landrover eine ähnliche 4-monatige Fahrt gemacht. Am 10.Dezember am Nordkapp – dann über Moskau nach Tarifa und Algeciras; denn mein Ziel lag noch etwas südlicher: Capetown. Eine Reifenpanne (mehr nicht).
Heute liebe ich mein BEV (Smart 4/2 Cabrio) und warte auf ein passendes „nicht-SUV“ FCEV, um damit meine treue Diesel C-Klasse zu ersetzen.