Für die Autohersteller ist Indien seit rund 15 Jahre der nächste große Megamarkt, der auf den Spuren von China hunderte von Millionen neuer Käufer erschließen soll. Auch wenn die Zahlen sukzessive steigen, ist der große Indienboom bisher ausgeblieben. Auf den Straßen sind zunehmend neuere Fahrzeuge aus zumeist lokaler Produktion von Tata oder Maruti-Suzuki unterwegs, doch ein echter Boommarkt sieht anders aus. Denn nach wie vor sind Millionen von Indern mit Fahrrädern, Rollern oder alten Klapperkisten mit und ohne Ladefläche unterwegs. Die Vorgabe der Regierung, in den kommenden Jahren zunehmend elektrisch zu werden, erscheint bei einem Roadtrip durch Zentralindien wie eine Mammutaufgabe, die kaum lösbar erscheint.
Geordnetes Chaos auf fünf Spuren
Die indische Stadt Hyderabad hat sich in diesem Jahr zum ersten Mal ein Formel-E-Rennen gesichert. Die Welt soll nach Indien schauen, sehen, dass es mehr gibt als die gigantischen Millionenagglomerationen Mumbai, Chennai oder Delhi. Denn auch Hyderabad hat um die sieben Millionen Einwohner. Wieviel genau, weiß hier so recht niemand. Der Straßenverkehr ist so, wie man ihn aus indischen Metropolen seit Jahrzehnten kennt. Es herrscht das geordnete Chaos, denn aus zwei Fahrspuren werden in der Realität mindestens fünf. Immer wieder quetschen sich Rikschas, Motorrad- und Rollerfahrer in die kleinsten Lücken – es geht um Zentimeter. Dazu das Dauerhupkonzert – kann man mögen – muss man aber nicht.
Der hellblaue Porsche Taycan fällt hier im wilden Durcheinander auf wie ein rosarotes Raumschiff in Form eines gigantischen Elefanten, der auf einem fernen Planeten gelandet ist. Kaum einer, der sich nicht den Kopf nach dem elektrischen Viertürer verrenkt. Auf den meisten Motorrädern sitzen hier drei oder vier Personen, Handykameras klicken und jeder will ganz nah heran an diese Zeitmaschine, die aus der Zukunft mitten in Indien gelandet ist. Dass es 37 Grad im Schatten ist und das Staub alles in ein leichtes Grau hüllt, scheint hier niemanden ernsthaft zu stören. Der allgegenwärtige Dreck an den Straßen und auf den Gehsteigen ist wohl auch Gewöhnungssache.
Im Porsche Taycan wie in einer Zeitkapsel
Es geht vorbei am Nehru Zoo und am Chowmahalla Palast, einer der wenigen bekannten Touristenattraktionen von Hyderabad. Die Straßen sind ebenso schmutzig wie die meisten Häuser in der nicht enden wollenden Innenstadt. Wenn die Gebäude den Blick einmal frei geben auf die Umgebung, brennen hier und da düstere Müllhaufen. Am Straßenrand stehen Autos, die einfach zurückgelassen wurden und man hängt seine Wäsche trotz des Drecks in der Luft einfach auf den Balkon. Der elektrische Porsche Taycan scheint hier ebenso eine irreale Zeitkapsel zu sein wie ein Rennen der Formel E.
Doch die indische Regierung hat für die kommenden Jahre ein strammes Elektrifizierungsprogramm ausgearbeitet. Schrittweise soll der öffentliche Nahverkehr aus Bussen, Zwei- und Dreirädern elektrisch werden. Das soll nicht nur die eigene Bevölkerung auf den rechten Weg bringen, sondern auch die eigene Autoindustrie stärken und Importeuren Lust auf Investitionen machen. Bereits in den vergangenen Jahren haben lokale Hersteller und Zulieferer zusammen mit der Zentralregierung in Delhi sowie in den einzelnen Staaten politisch vom reinen Verbrennermodell auf Elektroantriebe umgeschwenkt, um einen der größten Automärkte der Welt zukunftsfähig zu machen.
„Zweiräder, Dreiräder und Busse sind eindeutig die Hauptnutznießer der Regierungsprogramme, während die E-Fahrzeuge für den Personenverkehr derzeit eher im Hintergrund stehen“, erläutert Bakar Sadik Agwan, Analyst bei GlobalData. „Der hohe Anteil der drei Segmente an der Gesamtbevölkerung rechtfertigt jedoch den Grund dafür, und diese Segmente können dazu beitragen, das Ziel von 30 Prozent elektrifizierter Neufahrzeuge bis 2030 zu erreichen. Elektroautos für den Personenverkehr sind eine teure Anschaffung und stehen vor der Herausforderung, auf dem preissensiblen indischen Markt Volumen für die persönliche Mobilität zu gewinnen.“
800 Kilometer bis nach Mumbai
Derzeit sind die Fahrzeuge in Indien mit normalen Verbrennern unterwegs. Aber weil Super oder Diesel mittlerweile immer teurer werden, steigen immer mehr Autobesitzer auf Erdgasantriebe um. Da liegt ein Kilogramm Erdgas bei schmalen 24 Rupien, während ein Liter Super bereits 100 Rupien kostet. Die Zahl der Ladesäulen hingegen ist selbst in einer Millionenmetropole wie Hyderabad dünn. Wie es über Land aussieht, soll sich zu auf der Tour ins 800 Kilometer entfernte Mumbai zeigen. Im Gepäck: eine indische Kreditkarte und ein lokales Mobiltelefon mit entsprechender Ladeapp.
So geht es über die gewohnt vollgestopften Straßen Richtung Westen nach Solapur. Die Ladesäulen werden per Smartphone gesucht, denn nur das bietet hier die aktuellen Daten. Doch wer nachladen möchte merkt schnell, dass nicht jede Ladesäule hier ihren Dienst verrichtet. Es kann schon einmal sein, dass es erst die dritte oder fünfte Ladesäule ist, die den Taycan mit Energie füllt.
Zunächst einmal ist die Schnellstraße MH65 Richtung Westen überraschend gut ausgebaut. Erlaubt sind 80 oder gar 100 km/h. Ab Tempo 120 fängt der Taycan an, nervig zu piepen, sodass sich die Tempoüberschreitungen in Grenzen halten. Links und rechts ziehen auf hunderten von Kilometern immer wieder unregelmäßig kleine Städte vorbei und selbst Ortschaften wie Rudraram, Zaheerabad oder Humnabad bieten nicht viel mehr als Tankstellen, kleine Snackshops sowie Hotels, in denen man zumindest dem äußeren Anschein nach nicht übernachten möchte.
Klimaanlage im Dauerbetrieb
Dass einem regelmäßig Fahrzeuge entgegenkommen, Personen oder Tiere die Fahrbahn unangekündigt kreuzen oder verlassene Lastwagen in die Fahrbahn hereinragen, daran gewöhnt man sich auf indischen Straßen schnell. Immer wieder gibt es Brüche in der Fahrbahn, geschützt mit beängstigenden Temposchwellen, die nur mit Schrittgeschwindigkeit zu passieren sind. Gut, dass sich die Front des Taycan auf Knopfdruck ein paar Zentimeter anheben lässt, denn sonst hätte sich die Frontschürze des Schwaben wohl bereits kurz vor Isnapur verabschiedet.
Der Verbrauch des Porsche Taycan ist aufgrund der gleichmäßigen Geschwindigkeit so niedrig, dass man trotz einiger Sprintpassagen problemlos die Werksangabe erreichen kann. Der Taycan ist mit dem kleinen Akkupaket unterwegs, von dem gerade einmal 71 kWh nutzbar sind. Trotzdem zeigt der Bordcomputer, dass mit dem vollen Akkupaket im Unterboden trotz Dauerbetrieb von Klimaautomatik und Sitzlüftung rund 400 Kilometer drin sind.
Als die Karte auf dem Smartphone eine Schnellladesäule in der Nähe neben einer Autowerkstatt ankündigt, wird diese auch genutzt. Die Straße ist nicht asphaltiert und es staubt wie in einem roten Wüstensturm. Nur schwer zu erkennen: An einer Hauswand wurde von Tata eine Wallbox installiert, die immerhin 30 kW Ladeleistung liefert. Nach dem kurzen Mittagessen in der Nähe ist nicht nur der Akku nennenswert erstarkt, sondern ein Inder wartet mit seinem Tata Nexon darauf, den Stecker zu übernehmen.
20 Prozent Vergünstigung
„Ich pendle regelmäßig von Pune in die Nähe von Hyderabad“, sagt Rameesh, der bei einer IT-Firma arbeitet. „Ich wollte ein Elektroauto einfach einmal ausprobieren, weil mich die Technik interessiert.“ Mit einer Ladung schafft er je nach Fahrweise 280 bis 300 Kilometer. „Ich habe meinen Diesel einfach meinen Eltern gegeben. Nach einem Jahr hat sich der Mehrpreis bezahlt gemacht, denn wir bekommen hier in Indien rund 20 Prozent Vergünstigungen“, lächelt Rameesh. „Ich fahre den Wagen so drei, vier oder vielleicht fünf Jahre. Mal schauen, für was ich ihn dann noch verkauft bekomme.“ Vor ein paar Wochen wurde sein komplettes Akkupaket bereits einmal ausgetauscht.
Nach zahllosen Mautstationen, Temposchwellen und dem wirren Verkehr in der Übernachtungsstadt Solapur geht es am nächsten Morgen weiter Richtung Küste. Nach ein paar Minuten Fahrt ein kurzer Zwischenstopp an einem staubigen Straßencafé, das sich scheinbar großer Beliebtheit bei Taxi- und Rikscha-Fahrern erfreut. Wahlweise gibt es Zucker mit Kaffee oder noch mehr Zucker mit noch weniger Chai-Tee. Der Inder mag es scheinbar besonders süß und der blaue Porsche Taycan ist an diesem Morgen der Publikumsmagnet. Manche holen ihre Freunde und Verwandte, um sich mit dem im Hotel elektrisch erstarkten Porsche für das heimische Digitalalbum ablichten zu lassen.
Bevor es weiter in das gigantische Mumbai an der Westküste Indiens mit seinen mehr als 20 Millionen Einwohnern geht, wird Pune durchquert. Der Realverbrauch ist nochmals gesunken und mit knapp 17 kWh/100km nunmehr so gering, dass der geplante Ladestopp in der Drei-Millionen-Stadt an sich entfallen könnte. Mit zunächst vier bis fünf und später neun Prozent Restreichweite würde der Taycan nach Informationen des Bordcomputers am Zielort ankommen. Insgesamt wären so mehr als 430 Kilometer bei vollem Akku drin – nicht schlecht.
Strafsteuern machen Taycan 260.000 Euro teuer
Doch Hunger und Durst lassen den Ladestopp in der Senapati Bapat Road nahe des JW Marriott Hotels geeignet für einen Mittagspause erscheinen, bevor die letzten 150 Kilometer unter die Räder genommen werden. Der Verkehr in Pune ist wild und chaotisch, denn es wird auf der Straße um jeden Zentimeter gekämpft – wild hupend, aber freundlich. So sind die Inder eben.
Aus den vier Spuren werden bei der Pune-Durchquerung derer acht. Und dass zwischendrin Lastwagen entkräftet zusammengebrochen sind, die Temperatur die 39-Grad-Marke längst durchbrochen hat und unverändert alle Handykameras beim Anblick der blauen Zeitmaschine klicken, daran hat man sich ebenso gewöhnt, wie dass man keine zehn Zentimeter Platz nach vorne lassen kann. Der Abstand nach links und rechts zu Krädern und hunderten von Rikschas ist nochmals kleiner als es einem für ein Auto lieb ist, das hier mit Strafsteuern umgerechnet etwa 260.000 Euro teuer ist, also mehr als doppelt so viel kostet wie in Europa. Andererseits: Wo bekommt man ein echtes Raumschiff für so wenig Geld?
Mit dem gleichen Fast-Körperkontakt geht es nach der erfolgreichen Schnellladung mit knapp über 70 Kilowatt weiter ins finale Ziel des Trips – Mumbai. Spektakulär dabei die steile Abfahrt auf der NH48 zwischen Amrutvela, einer Luxusenklave der reichen Stadtbewohner, und Gadabagunda, wo sich augenscheinlich einige Fahrzeuge rechts in den Abhang oder links die steilen Bergwände verabschiedet haben. Wer sich das Reifenprofil vieler Fahrzeuge und deren allgemeinen technischen Zustand anschaut, weiß warum.
Auf den letzten 50 Kilometern herein nach Mumbai, vorbei an erstmals auftauchenden Radarfallen und vermehrten Polizeikontrollen, heißt es langsam Abschied nehmen. Von ungemein freundlichen Indern, überraschend guten Schnellstraßen, einem grandios sparsamen Porsche Taycan und zahllosen Ortschaften, deren Namen man sich kaum merken kann. Mit ihnen die Gedanken an brutale Temposchwellen, einige nicht funktionierende Ladesäulen und dem Zweifel daran, ob das bis zum Jahre 2030 mit der Elektromobilität etwas wird in Indien. Doch dass diese kommen wird – daran zweifeln auch hier nur wenige.