Der 20 Meter lange und 40 Tonnen schwere Freightliner Cascadia aus dem Hause Daimler Truck nähert mit 65 km/h sich dem Autobahnkreuz, bei dem sich die I25 North nach Santa Fe und der I 40 East Richtung Texas treffen. Ein sechsspuriges Asphaltmonstrum, wie es in jedem Bundesstaat der USA zu finden ist. Nichts Außergewöhnliches in den USA. Außergewöhnlich ist dafür der Lastzug. Denn der mächtige Truck wird von einem virtuellen Fahrer gesteuert. Ein Mensch sitzt nur zur Sicherheit am Lenkrad, um notfalls eingreifen zu können. Das Kommando über das Gefährt hat aber ein Autopilot, sprich: ein Computer, der das autonome Fahren steuert.
Autopilot ist ein höflicher Zeitgenosse
Die Tatsache, dass Albuquerque im Bundesstaat New Mexiko zu den Städten in den USA mit den schlechtesten Autofahrern gehört, macht es für den Robo-Truck nicht einfacher. Wir sitzen ebenfalls im Führerhaus und beobachten Monitore, auf denen die Ergebnisse der Sensorabtastungen und der Kamera angezeigt werden.
Das Einfädeln in den fließenden Verkehr ist die erste Herausforderung. Der Freightliner erspäht mit seinen Systemen eine passende Lücke im fließenden Verkehr, die grün angezeigt wird, steigert langsam das Tempo, setzt eigenständig den Blinker und wechselt die Fahrspur. Besser hätte es ein menschlicher Fahrer nicht machen können. Dann machen die Autofahrer dieser Gegend ihrem Ruf alle Ehre. Plötzlich schießt ein weißer Pick-up direkt vor dem Truck über drei Fahrspuren nach rechts. Blinken? Fehlanzeige. Der Auto-Pilot lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und hält konstant sein Tempo.
„Der virtuelle Fahrer hat erkannt, dass das Auto beschleunigt und von uns wegbewegt“, erklärt Torc Robotics-Techniker Andrew Culhane. Der Auto-Pilot ist ein höflicher Zeitgenosse, hält sich an die Verkehrsregeln, fährt defensiv und lässt anderen Verkehrsteilnehmer den Vortritt.
Hub-to-Hub ist das Ziel
Die Technik hinter dem Spektakel ist quasi hausgemacht: Daimler Truck hat 2019 die Mehrheit an dem US-amerikanische Unternehmen Torc Robotics erworben und entwickelt seitdem gemeinsam Transporter, die autonomes Fahren auf Level 4 beherrschen. Die Lieferwagen können also selbstständig auf dem Highway von einer Station zur nächsten fahren und dabei auch an Ampeln anhalten, abbiegen und die Spur wechseln. Hub-to-Hub heißt das im englischen Logistik-Fachjargon. Das Tanken ist kein Problem: Die Reichweite des autonom fahrenden und Heavy-duty Semi-trailer truck der Klasse acht (Antriebsleistung 540 kW oder 730 PS) wird rund 1.600 Kilometer betragen. In Vorbereitung ist bei Freightliner auch eine vollelektrische Version, ein E-Cascadia mit einer Batteriekapazität von 550 kWh, die derzeit allerdings nur rund 400 Kilometer in einem Stück schafft.
Bei unserer Probefahrt schlägt sich der US-Truck jedenfalls prächtig und nutzt sogar die Motorbremse, wenn es bergab geht, genau wie es ein erfahrener Fahrer tun würde. „Wenn man laufend die regulären Bremsen einsetzen würde, müssten wir sie jede Woche wechseln“, sagt Andrew Culhane. Und das wäre nicht gut. Denn bei den Logistik-Unternehmen zählen vor allem die Kosten. Jedes Verzögern, jedes Beschleunigen kostet Sprit und damit Geld. Der Robo-Truck soll konstant und geschmeidig von A nach B fahren, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Ohne Fahrer. Das Ziel ist, dass der Auto-Pilot besser agiert als es ein menschlicher Fahrer je könnte – der dann entsprechend eingespart werden könnte.
„Physik lässt sich nicht aushebeln“
Allerdings wird es auch beim Robo-Truck keine hundertprozentige Sicherheit geben. „Wir können die Physik nicht aushebeln“, weiß Daimler-Truck-Chef Martin Daum. Wenn direkt vor dem Fahrzeug ein Unfall passiert, bremst der Truck zwar blitzschnell, aber die Software tut im Zusammenspiel mit den Sensoren alles, um Unfälle zu verhindern und blickt möglichst weit voraus. Schließlich beträgt der Bremsweg des tonnenschweren Vehikels bei einer Geschwindigkeit von 70 Meilen pro Stunde rund 160 Meter.
„Unser LIDAR-Sensor erkennt kleine Objekte, die sehr wenig reflektieren“, verdeutlicht Peter Vaughan Schmidt, Leiter der Autonomous Technology Group bei Daimler Truck. Die Leistungsfähigkeit der Sensoren muss hoch sein. Ein Stauende müssen die Fahrzeuge schon aus 250 Meter Entfernung erkennen, um genug Sicherheitsabstand beim Verzögern zu haben. Dennoch wird der Robo-Truck zunächst kein Alleskönner sein und sich im Laufe der Zeit weiterentwickeln. Dichter Schneefall stellt das System noch vor zu großen Problemen, weswegen die ersten autonom fahrenden Trucks zunächst im Südwesten der USA eingesetzt werden.
Vor 2030 sollen die ersten Robo-Trucks rollen
Neben Torc Robotics arbeitet Daimler Truck auch mit der Google-Tochter Waymo zusammen. Noch vor 2030 sollen die ersten autonom fahrenden Lkws auf amerikanischen Straßen rollen. Für die Schwaben steht die Sicherheit ganz oben, auch wenn es etwas länger dauern sollte. „Wenn jemand sagt, dass Level 2 autonomes Fahren kann, dann bringt er Leute um“, stellt Daum unmissverständlich klar – eine kleine Spitze gegen Tesla. Dort werden die Assistenzsysteme für das teilautonome Fahren auf Level 2 großspurig als „Autopilot“ offeriert.
Die Schwaben stellen mit dem „autonomous-ready“ Freightliner Cascadia lediglich das Fahrzeug zu Verfügung. Die beiden Partnern Waymo und Torc Robotics definieren dann, welche Sensoren eingebaut werden müssen, damit das autonome Fahren auf Level 4 Realität wird. Im Falle von Torc Robotics sind das Radarsensoren (für die Fahrgeschwindigkeit), Kameras (die Objekte identifizieren) und LIDAR-Sensoren (für das Einschätzen von Entfernungen und der Verkehrsdichte).
Damit die Algorithmen der beiden Software-Spezialisten funktionieren und Cascadia zum Robo-Truck wird, muss die Hardware stimmen. Deswegen baut Daimler Truck in die Zugmaschine redundante Systeme ein, die einspringen, wenn es einmal ein Problem geben sollte. Dieses Konzept kommt vom Flugzeugbau und wird auch in autonom fahrenden Pkws verwendet. „Redundanz bedeutet nicht, dass das Fahrzeug bei einem Ausfall eines Systems einfach weiterfährt, sondern sicher anhält“, sagt Daimler-Trucks-Ingenieur Suman Naranyanan.
Alle Systeme sind doppelt angelegt
Bei dem Robo-Cascadia kommt erstmals eine Brake-by-Wire-Bremse zum Einsatz, die zwei Steuergeräte hat, falls eines ausfällt. Außerdem sind zwei 8-Newtonmeter-Servomotoren verbaut. So kann das Schwergewicht noch gesteuert werden, sollte die Hydraulik versagen. Auch das elektrische Bordnetz kann 20 Minuten mithilfe von zwölf Batterien aufrecht erhalten werden. Das sind vier mehr als im Standard-Cascadia.
Übrigens muss wegen der Robo-Trucks vorerst kein Lastwagenfahrer um seinen Job bangen: Nach einschlägigen Prognosen wird auch im Jahr 2030 die Nachfrage nach qualifizierten Kraftfahrern das Angebot deutlich übersteigen. Und nach Stand heute werden die Kosten für die aufwändige Technik die Personalkosten noch eine ganze Weile deutlich übersteigen.