Elon Musks Welt ist digital. Das gilt für seine Fahrzeuge ebenso wie für seine Positionierungen in öffentliuchen Debatten: Hier gilt nur seine Sicht der Dinge – und eben die Falsche. Während der Tesla-Chef die Brennstoffzellen (Fuel Cells) als „Fool Cells“ bezeichnet, also als eine Technologie für Dumme, setzt sein Konkurrent Nikola exakt auf diese Technologie. Ebenso wie die Bundesstaaten Arizona und Kalifornien, die gerade den Aufbau eines Netzes von Wasserstoff-Tankstellen massiv fördern.
Der deutsche Chef des in Arizona beheimateten Start-ups Nikola hat für Musk nur ein Schmunzeln übrig. Für Michael Lohscheller sind Brennstoffzellen-Trucks die nächste große Sache im Transportwesen. Die Gründe sind vielfältig: Zum einen schafft der neue Nikola Tre FCEV mehr Nutzlast als die elektrische Variante des Modells, außerdem ist die Reichweite mit 800 Kilometern um rund 300 Kilometer größer. Und auch das Tanken geht deutlich schneller vonstatten als das Laden der Akkus bei einer Zugmaschinen mit Batterieantrieb.
Allerdings ist Wasserstoff kein einfach zu handhabender Treibstoff. Dementsprechend komplex und aufwendig ist auch der Aufbau einer Tank-Infrastruktur. „Wir müssen uns zunächst auf einzelne, vielbefahrene Routen konzentrieren“, macht der ehemalige Opel-Chef klar. Das gilt auch für Deutschland beziehungsweise Europa, wo der Brennstoffzellen-Lkw dank der Kooperation von Nikola mit dem Iveco-Mutterkonzern CNH Industrial schon im nächsten Jahr auf den Markt kommen soll. Erste Bestellungen gibt es bereits: Das Logistikunternehmen Richter aus Wesel am Niederrhein plant, in den kommenden vier bis fünf Jahren seine komplette, aus derzeit 160 Fahrzeugen bestehende Lkw-Flotte durch Brennstoffzellen-Trucks von Nikola zu ersetzen. Der Energieversorger E.ON wird die Richter Group dabei durch den Aufbau von Wasserstoff-Tankstellen und der Bereitstellung von grünem Wasserstoff unterstützen.
Batterie unterstützt die Brennstoffzelle
Wie reif in der Entwicklung ist das Brennstoffzellen-Vehikel, das nächstes Jahr nach Deutschland kommen soll? Wir sind erst einmal überrascht, als wir in Arizona vor dem Laster stehen. Da ist dieses voluminöse Zischen! „Solange die Zündung an ist, lädt die Brennstoffzelle die Batterien“, erklärt Chefingenieur Christian Appel. Damit der Wasserstoff in der Brennstoffzelle mit Sauerstoff reagieren kann, verdichtet ein 20-kW-Kompressor die Luft mit mehr als 100.000 Umdrehungen pro Minute.
Batterien sind tatsächlich auch in der Brennstoffzellen-Version des Nikola Tre an Bord. Statt neun Module mit insgesamt 738 Kilowattstunden Speicherkapazität in der Europa-Version des vollelektrischen Schwestermodells Tre BEV, sondern lediglich zwei Pakete mit einer Kapazität von jeweils 82 kWh, also zusammen 164 Kilowattstunden. Wie bei einem Hybrid-Fahrzeug unterstützen die beiden Akkublöcke die Brennstoffzelle, um den 40-Tonner möglichst effizient und für alle Antriebskomponenten schonend in Fahrt zu bringen.
„Die Brennstoffzelle mag keine allzu dynamischen Lastwechsel. Deswegen nutzen wir die Batterie, wenn schnell mehr Leistung abgerufen wird“; erklärt Appel. Der 35-jährige Techniker ist von Bosch, wo er schon für höhere Aufgaben vorgesehen war, nach Arizona gewechselt. Auf die Frage, warum man den beruhigenden Schoß eines großen Zulieferers für ein Start-up-Unternehmen verlässt, hat der Mann mit der leicht alemannischen Sprachfärbung eine kurze, aber entwaffnende Antwort: „Den Brennstoffzellen-Truck in die Produktion zu bringen, ist das Coolste, was ich in meinem Leben bisher gemacht habe!“
70 Kilo Wasserstoff für 805 Kilometer Reichweite
Herausforderungen gibt es in der Tat. Das Zusammenspiel zwischen der sensiblen Brennstoffzelle, die 200 kW oder 272 PS Leistung generiert, und den Batterien perfekt abzustimmen, ist alles andere als einfach. Grob vereinfacht ist die Brennstoffzelle für die Langstrecke gedacht und die Batterien für kurze dynamische Einsätze sowie als Speicher für die Rekuperation. Dazu kommen noch weitere Feinheiten: Die elektrische Achse hat eine Leistung von 400 kW (544 PS) statt 480 kW (653 PS) beim BEV-Truck. Mit der Kombination aus Akkus und den fünf Wasserstofftanks mit insgesamt 70 Kilogramm Inhalt soll der Brennstoffzellen-Truck im Speditionsbetrieb bis zu 805 km weit kommen. Also etwa genau so weit wie der rein batterie-elektrische Semi-Truck von Tesla.
Genug der Theorie, jetzt schwingen wir uns hinter das Steuer des riesigen Gefährts. Die Kabel, die quer durch die Kabine laufen und in Messgeräten enden, zeigen, dass es sich um einen von 17 Prototypen der Beta-Serie handelt: Die vorletzte Versuchsreihe, bevor der Laster in die Serienproduktion geht. Ende des Jahres soll der Nikola Tre FCEV bereits in den USA auf den Markt kommen – zu Preisen zwischen 240.000 und 288.000 Dollar. In Kalifornien wird fast die Hälfte des Kaufpreises vom Staat übernommen. Zum Vergleich: Für den batteriegetriebenen Tesla Semi Truck werden in der Langstreckenversion 180.000 Dollar aufgerufen.
Trucking ohne Mühe
Das Cockpit des Nikola Tre FCEV sieht genau so aus wie das des rein elektrischen Schwestermodells. Nur dass manche Anzeigen die Temperatur und die Leistungsabgabe der Brennstoffzelle anzeigen. Das Lenkrad ist mit einem Fußdruck auf einen Knopf am Boden schnell eingestellt, wir thronen in einem bequemen Fahrersitz.
Wir simulieren einen Beschleunigungsvorgang, als ob wir uns in den Verkehr einfädeln wollen. Das Power-Defizit zum rein elektrischen Nikola Truck ist marginal. Auch mit dem Gewicht des voll beladenen Aufliegers kommt die Brennstoffzellen-Sattelzugmaschine prächtig klar. Jetzt geht es um die Kurve, kein Problem, der Truck meistert auch diese Herausforderung unaufgeregt, genauso wie den folgenden Slalomparcours, was bei dem Entwicklungsstand des Vehikels schon eine Ansage ist. Auch das eben beschriebene Zusammenspiel zwischen den Antriebskomponenten läuft unauffällig ab, was genauso sein sollte. Beim Aussteigen zischt es wieder gewaltig, diesmal aber nur kurze Zeit.
„Klar, weil die Maschine aus ist. Das ist das Zischen, das die Luft beim Trocknen der Brennstoffzelle verursacht“, klärt uns Appel auf.