Wir wollten es ja immer nicht glauben, aber diese meist bulligen oder zumindest krawalligen SUV-Modelle gibt es auch in schön. Da haben wir zum Beispiel gerade in Hamburg diesen EL7 gefahren, der doch wirklich einen Preis für cooles nordisches Design verdient hätte. Der EL 7 ist aber kein Wikinger, sondern ein Chinese. Super clean, geradezu puristisch gestylt. Kein Lametta, nicht eine überflüssige Linie. Vorn diese ausgeklügelten LED-Scheinwerfer, am Heck dieses flügelförmige Rücklicht aus 202 diamantgeschliffenen LED-Modulen mit fließender Einzelansteuerung. „Unser Design ist ein Topgrund für den Kauf eines NIO“, ist Deutschland-Chef Ralph Krantz sicher.
In diesem Zusammenhang könnten wir (wie schon in unserem Bericht über den NIO ET7) erwähnen, dass Nios Chefdesigner und Vice-President Kris Tomasson, 55, ein gebürtiger Amerikaner ist, der mal bei Coca Cola als globaler Designchef wirkte, später bei Gulfstream Aerospace (Flugzeuge!) und Ford. Und dann bei BMW für die elektrischen i-Modelle zuständig war. Mindestens ebenso interessant ist, dass NIOs globales Designcenter nicht am chinesischen Hauptquartier Shanghai und auch nicht am Produktionsstandort Hefei, sondern in München stationiert ist. Gewissermaßen bei BMW vor der Haustür.
Auch drinnen geht es für SUV-Verhältnisse ungewöhnlich clean zu. Natürliche Erdfarben, wahlweise Pamirbraun, Edelweiß oder Onyxschwarz schmeicheln den Augen. Ein zarter Kippschalter für die Fahrprogramme ist eine besonders hübsche Kreation. Und das 12,8 Zoll große und nur 5,5 Millimeter dicke, kontrastscharfe AMOLED-Center-Display scheint hier geradezu in der Luft zu schweben. Diese puristische Harmonie kann locker mit dem Cockpit eines Tesla Model X mithalten. „Ihr zweites Wohnzimmer“, werben sie dazu nett bei NIO.
Wohnzimmer mit Nicht-Holz und Nicht-Leder
Wir registrieren den Dachhimmel aus feiner Mikrofaser und das riesige elektrische-Glasschiebedach, das viel Licht ins Auto bringt und nebenbei übermäßige Sonnenwärme komplett blocken soll. Und natürlich diesen Nichtholzwerkstoff Karuun, ein nachhaltiges »Nature-Tech-Material«, das aus der rasant nachwachsenden Kletterpflanze Rattan entsteht und hier wie in NIOs ET7-Luxuslimousine in diversen Dekoren zu finden ist. Fühlt sich an und sieht aus wie weißes oder graues Holz, ist aber keins. Da streicheln wir öfter ziemlich andächtig drüber.
Klar, beheizbares Lenkrad, Ladebox fürs Smartphone, etliche USB-Anschlüsse und eine 3-Zonen-Klimaautomatik (Wärmepumpen-System). Und ringsum diese 256-farbige digitale „Wasserfall“-Ambientebeleuchtung, die nachts die große Show abzieht. Dazu die geradezu übertriebenen Duft- und Luftqualitätssysteme und die a la ET7 quasi unsichtbaren Luftdüsen. Antimikrobielle und antiallergene Aktivkohle-Luftfilter sorgen im Wortsinne für frische Luft, und wer es von den gesetzteren Herrschaften braucht, der kann sich noch verschiedene Parfümdüfte (einsetzbare Patronen) gönnen. Vom milden Haven bis zum kräftigen Adventure.
Bis zu zwei Tonnen können an den Haken
Beim Gestühl machen die Chinesen genauso selbstbewusst Alarm. „Ultra-Fit-Sitze“! Darunter machen sie es nicht. Tatsächlich, so unser erster Eindruck, sind wir hier überaus bequem untergebracht, auch weil alle dazu wichtigen Extras generell inklusive sind. Sitzheizung, Belüftung und eine herrlich knetende Massagefunktion. Fehlt nur noch die chinesische Akupunktur für Leute mit Rückenbeschwerden. .
Beinahe vergessen: Das Sitzkissen am Fahrerplatz kann um bis zu 60 Millimeter verlängert werden, da freut sich der 1,94 Meter große Testredakteur. Auch sind sogar die Rücksitze beheizbar. Und deren Lehnen lassen sich unabhängig voneinander elektrisch verstellen – in einem Winkel von 23 bis 31 Grad. Für die Sitzbezüge mussten keine Tiere sterben, sie bestehen aus einem hübschen Kunstleder. Sie sind fein perforiert, damit wir unterwegs nicht ins Schwitzen kommen. In beiden Reihen ist Platz in Hülle und Fülle, der Beifahrersitz lässt sich sogar in eine Liegeposition bringen, inklusive Beinablage.
Der Laderaum liegt mit 658 Litern Volumen, wenn wir das Unterbodenfach mitrechnen, auf einem ansprechenden Level, bei umgeklappten Rücksitzlehnen (40:60) werden es bis zu 1545 Liter. Wem das immer nicht noch reicht, der kann sich noch einiges dranhängen: Die serienmäßige, elektrisch ausklappbare Anhängerkupplung darf bis zu 2000 Kilogramm an den Haken nehmen. Der EL7 funktioniert also bestens als Schlepper für Wohnwagen! Und die Stützlast liegt bei 100 Kilogramm. Auf den Haken passt also ein auch ein Fahrradträger mit bis zu vier E-Bikes.
NOMI nervt gelegentlich
Wer da oben auf dem Armaturenbrett thront? Nee, keine halbierte Spielzeugpuppe sondern NIOs niedliche Quasselstrippe NOMI. Assistent für die Sprachsteuerung, die allgemeine Kommunikation mit uns. Unser digitaler Reisekumpel, der uns mit seinen Augenaufschlägen und seiner hellen Stimme manchmal zum Lachen bringt. Der aber öfter auch nervt, weil er so übertrieben gut drauf ist und in diversen Situationen ständig seinen Senf dazugeben muss. Zum Beispiel, wenn wir mal gerade nicht nach vorn auf die Fahrbahn schauen. „Bleiben Sie aufmerksam!“, heißt es dann.
Diese Ermahnungen lassen sich natürlich auch abstellen. Auf den Befehl „Sei still NOMI!“ hält sich der Kugelkopf bildlich den Mund zu. Generell sollen wir mit NOMI demnächst zunehmend normal quatschen können, weil er mit Hilfe künstlicher Intelligenz ständig dazulerne, erfahren wir. Würde bald unsere Gewohnheiten, Vorlieben und sprachlichen Eigenheiten berücksichtigen und das gesammelte Cloud-Wissen intus haben. Diese Trainingszeit haben wir heute leider nicht. Sicher ist: Unsere Kids würden ihn abgöttisch lieben.
Extreme Rechenleistung
Sogar eine Dashcam ist serienmäßig an Bord. Und klar, wir können uns hier Musik ohne Ende mit unserem Account beim Streamingriesen Spotify laden. Und dann wäre da noch dieses Immersive-Soundsystem des Autos zu erwähnen, das mit 23 Lautsprechern und 1000 Watt Ausgangsleistung hantiert. Dolby Atmos-Technologie, ausgeklügelte Raumaudio-Algorithmen. Hat NIO nach eigener Aussage mit etwas Hilfe des hier führenden schwedischen Spezialisten Dirac (digitale Klangoptimierung) selbst entwickelt. Es holt wunderbares Konzertfeeling ins Cockpit.
Das gehört alles irgendwie zur Philosophie dieser Marke, deren Autos mit extremer Rechenleistung (Adam Super Computing) und dem Sendungsbewusstsein des aufgedrehten NIO-Chefs William Li die Welt ein wenig glücklicher („To Shape a Joyful Lifestyle“) und nachhaltiger („Blue Sky Coming“) machen will. Dafür, dass der Laden erst 2016 mit der Produktion von Elektroautos begonnen hat, geht hier schon richtig die Post ab. 2022 hat NIO bereits über 200.000 Autos verkauft, und bis 2025 wollen sie in 25 Ländern vertreten sein. Eine zweite, neue Fabrik im chinesischen Hefei hat gerade die Produktion aufgenommen, allein deren jährliche Gesamtkapazität beläuft sich auf etwa 600.000 Elektroautos.
Software-Updates so schnell wie möglich
Dabei geht es (mit der ganz großen Umarmung) immer um die Zufriedenheit der „User“. So nennen sie wie bei TikTok die Kunden ihrer Marke, die hier augenscheinlich rund um die Uhr betreut werden. Und deren digital geäußerten Wünsche und Vorschläge, wenn irgendwie möglich, per Software-Updates so schnell wie technisch möglich umgesetzt werden. Selbst wenn es nur, wie gerade passiert, um ein etwas dezenteres Blinker-Klicken geht.
Und dieser stylische, rund 4,91 Meter lange EL7 („Electric Lifestyle“) ist nun schon das zweite Auto der Chinesen, die bei uns seit Oktober bereits die extrem gut ausgestattete Luxuslimousine ET7 verkaufen oder noch viel lieber im Full-Service-Abonnement offerieren. Nach genau diesem Strickmuster soll nun auch beim in diesen Tagen startenden EL7 verfahren werden. Das erklären wir gleich, kommen aber erst noch zur zweiten Spezialität der jungen Marke. Die noch spannender ist.
Batteriewechsel in fünf Minuten
Denn das eigentliche Highlight der chinesischen Newcomer sind diese Batterie-Wechselstationen (Power-Swap-Stations, abgekürzt PSS), in denen die leergefahrenen Einheitsgrößen-Batterien der NIO-Modelle vollautomatisch in nur fünf Minuten gegen zu 90 Prozent gefüllte Exemplare getauscht werden können. Die Stationen haben das Format einer kompakten Doppelgarage, in die das Auto selbstständig einparkt, der Fahrer kann kann dabei völlig entspannt sitzen bleiben.
„Wenn ihr Lieblingssong aufgehört hat zu spielen, ist die Batterie bereits durch ein aufgeladenes Exemplar ersetzt worden“, wirbt NIO. Wusch, das Auto wird automatisch angehoben, fix zehn Schrauben gelöst, und während die leere Batterie nach rechts verschwindet, gleitet von links aus dem »Batterie-Hotel« das geladene Exemplar unters Auto. Rausfahren darf man selbst.
Ach ja, die passende, internetbasierte NIO-Wallbox für zu Hause gibt es natürlich auch. Und eine spezielle NIO-Ladekarte, die in Europa für 380.000 Stationen passen soll.
EnBW öffnet Ladeparks für Wechselstationen
Beim „NIO Day“ im Dezember haben die Chinesen übrigens die Power-Swap-Station der dritten Generation vorgestellt, die den Batteriewechsel noch bis zu 90 Sekunden schneller schaffen kann. In China, wo schon eine Viertelmillion NIO-Modelle unterwegs sind und es landesweit bereits über 1200 Stationen gibt (nächstes Ziel: 3000 PSS bis zum Jahr 2025), haben sie allein in den letzten 12 Monaten über eine Million Batteriewechsel erledigt. Völlig problemlos, heißt es.
Und wo stehen bei uns die Wechselstationen? Das erfahren Sie im zweiten Teil.