Lobenswert: Dieser Chinese mit technisch vielen internationalen Wurzeln ist zwar Gott sei Dank kein so extremer Feger wie der Taycan, geht aber für einen 1,72 Meter hohen SUV bemerkenswert gelenkig um alle Ecken. Schluckt Kurven wie Schokolade, und wenn sich sein Fahrer nicht zu dumm anstellt, auch immer wunderbar auf der Ideallinie. Erst auf dem brutal welligem Kopfsteinpflaster einer norddeutschen Dorfstraße kommt die Luftfederung mit einem Tick zu starken Wankbewegungen an ihre Grenzen. Ja, das ist Meckern auf hohem Niveau. Auch darüber, dass Apple CarPlay und Android Auto nicht an Bord sind.

Wobei hier der elektronisch gekoppelte Allradantrieb unauffällig eine positive Rolle spielt. Ebenso natürlich die ideale 50:50-Gewichtsverteilung zwischen Vorder- und Hinterachse. Nebenbei erfahren wir vom anwesenden italienischstämmigen NIO-Chefingenieur Danilo Teobaldi, der früher schon bei Italdesign Giugiaro und Qoros Auto arbeitete, dass bei NIO sogar schon Prototypen mit einer Steer-by-Wire-Lenkung (Lenkbefehl per elektronischem Steuergerät ohne mechanische Verbindung zu den Rädern) herumfahren. Zu einem Serieneinsatz gebe es aber noch keine Entscheidung.

Maximale Ladeleistung von 140 kW

Beim Rückwärts-Rangieren im Schritttempo macht dieser EL7 allerdings weniger Spaß, weil die Sicht nach hinten durch die die breiten C-Säulen und die kurze Heckscheibe stark eingeschränkt ist. Cooles Design, aber da müssen wir uns nun voll auf die diversen, gestochen scharfen Kino-Ansichten der Heckkamera verlassen, was für unsereinsgefühlt immer etwas kitzlig ist. Vermutlich Gewohnheitssache.

Beim Ladetempo hätten wir einfach mehr erwartet. Das AC-Bunkern funktioniert beim EL7 zwar mit bis zu 11 kW. Fürs DC-Schnellladen nennt NIO aber nur maximal 140 kW. Versprochen wird immerhin eine hohe Stromaufnahme über einen weiten Bereich des Ladevorgangs. Da soll es dann im Idealfall rund 30 Minuten dauern, um die 75-kWh-Batterie von 10 auf 80 Prozent Ladezustand zu bringen. Mit dem stärkeren 100-kWh-Speicher wären es da schon 40 Minuten, was auf längeren Reisen nerven könnte. Das können Konkurrenten inzwischen schneller.

Semi-Feststoffakku im Anmarsch

Aber Achtung, schon im Frühjahr 2024 soll es für alle NIO-Modelle, also auch für diesem EL7, eine neue Topbatterie mit einer Kapazität von 150 kWh geben, die nach der WLTP-Norm für mindestens 850 Kilometer Reichweite gut sein dürfte. Der Superspeicher ist eine Semi-Feststoffbatterie mit festem und flüssigem Elektrolyten. Einer Anode aus Silizium-Kohlenstoff-Verbundmaterial mit extrem hoher Energiedichte (360 Wh/kg), die der chinesische Batteriehersteller WeLion zuliefert. Und spätestens mit dieser Batterie will NIO auch den Ladespeed erhöhen. Hier wären dann bis zu 250 kW möglich, erfahren wir.

Für den durchschnittlichen Stromverbrauch des gewichtigen EL7 versprechen sie uns bei NIO heute freundliche Werte zwischen 21,4 und 23,1 kWh – mit 21-Zoll-Rädern. Entsprechend fallen die offiziellen Reichweiten aus: Für die 75-kWh-Batterie nennen die Chinesen nach WLTP-Norm bis zu 391 Kilometer, für die 100-kWh-Version immerhin 509 Kilometer. Das wäre ungefähr Klassenstandard.

Langstrecken-Lidar auf dem Dach

Bevor wir nun zu unseren Verbräuchen kommen, kurz zur Fahrsicherheit des großen chinesischen Vollstromers. Er hat in etwa alles, was heute so Up to Date ist. Vom Querverkehrswarner mit Bremsfunktion, diverser Fahrerassistenz-Technik, bis zum aktiven Fahrspurwechsel. Und angeblich schaut dieser EL7 deutlich weiter nach vorn als die Modelle der Kokurrenz. Größere Objekte soll seine Sensorik schon in 687 Metern Enfernung, Fußgänger schon in 223 Metern registrieren. Dabei helfen laut NIO insgesamt 33 High Performance-Sensorsysteme, darunter ein Ultra-Langstrecken-Lidar mit besonders hoher Auflösung. Und wie bei Tesla gibt es sogar einen PET-Modus für Haustiere, der, falls Herrchen oder Frauchen gerade Brötchen holt, besorgten Nachbarn auf dem großen Screen anzeigt, dass hier mit laufender Klimatisierung für das Hundchen alles in Ordnung ist.

In weiser Voraussicht 
Größere Objekte soll der EL7 schon in 687 Metern, Fußgänger in 223 Metern Entfernung erkennen. Mit 33 High Performance-Sensorsystemen, darunter einem Ultra-Langstrecken-Lidar mit besonders hoher Auflösung.
In weiser Voraussicht
Größere Objekte soll der EL7 schon in 687 Metern, Fußgänger in 223 Metern Entfernung erkennen. Mit 33 High Performance-Sensorsystemen, darunter einem Ultra-Langstrecken-Lidar mit besonders hoher Auflösung.

Mittlerweile hat sich die Außentemperatur vom Gefrierpunkt auf 6 Grad Celsius vorgekämpft und auf der Autobahn sind wir zügig mit einem Verbrauch von gut 26 kWh unterwegs. Auf den Landstraßen sinkt der auf niedrige 21,4 kWh, dann sogar auf gut 18 kWh. Doch für dieses Sparwunder gibt es eine einfache Erklärung: Fast auf der gesamten Teststrecke rund um Hamburg reiht sich ein Tempolimit an das andere. Mehr als Tempo 80 ist da kaum drin. Kein Wunder also, das wir am Ende dieses leider nur knapp 80 Kilometer langen Tests einen Schnitt von 22,3 kWh auf dem Screen sehen.

Fast alles inklusive

Jetzt wird es etwas aufregender, weil wir uns dem Finanziellen nähern. Und kommen nach den erwähnten Batterie-Wechselstationen zum zweiten großen Vorteil dieses Edel-SUV. Denn so eine Komplettaustattung hat keiner in der Klasse. Hier ist wirklich fast alles inklusive. Elektrisches Panorama-Schiebedach, Dämmglas, das super Soundsystem, DAB/Online-Radio, Dash-Kamera, alle Sitz- und Klima-Extras, LED-Scheinwerfer, Kurvenlicht, automatische Einparkhilfe, sämtliche (umfangreichen) Sicherheits- und Fahrerassistenzsysteme, Luftfederung, automatische Dämpfungsregelung, Over-the-Air-Updates, die elektrische Heckklappe, das Anhänger-Paket, 20-Zoll-Leichtmetallräder (Reifen 255/50) und so weiter.

Nachdenken müsste man lediglich über einen der drei genannten Innenraum-Töne und die jeweils 1680 Euro teuren Sonderfarben Southern Star, Artic Green, Luminous Orange und Airspace Blue. Denn Cloud White, Star Grey und Deep Black kosten nix. Zweiter möglicher Aufpreis: die 21 Zoll großen Performance-Räder (Reifen 265/45), die für 2500 Euro zu haben sind. Das ist schon alles.

73.900 Euro ohne Stromspeicher

Hinzu kommt eine sehr freundliche 5-jährige Herstellergarantie sowie im Falle eines Kaufs die gängigen 8 Jahre auf die Batterie (bis 160.000 Kilometer). Trotzdem wird dieser feine SUV-Spaß am Ende etwas knifflig, weil die Chinesen alles dafür tun, die Kundschaft komplett oder zumindest teilweise vom Abo-Modell („NIO Subcription“) zu überzeugen.

Wie das im Detail funktioniert? Also, beim klassischen Kauf kostet der EL7 ohne Stromspeicher exakt 73.900 Euro. Für die 75-kWh-Batterie wären in diesem Fall weitere 12.000 Euro notwendig, für die 100-kWh-Version sogar zusätzliche 21.000 Euro. Da wären wir dann bei einer Gesamtsumme von 96.900 Euro. Und dürften trotzdem das PSS-Wechselsystem nicht nutzen. NIO empfiehlt deshalb gern das Batterie-Abo für 169 (75 kWh) beziehungsweise 289 Euro (100 kWh) im Monat. PSS-Nutzung inklusive. Nennt sich nett „Batterie-as-a-Service“ (BaaS).

Im Abo ab 1299 Euro

Am meisten aber schwärmen die Chinesen von ihrem Komplett-Abo mit Laufzeiten zwischen nur einem Monat und bis zu 60 Monaten. Das bringe dann, so trommeln sie, dieses tolle „Rundum-Sorglos-Paket“ mit sämtlichen Services wie Zulassung, Versicherungen, Steuern, Wartung, Winterrädern oder einer notwendigen Pannenhilfe. Zweitwichtigstes Argument: Das Abo enthält dann auch den PSS-Batterietausch („bis auf Weiteres kostenlos“) und das anfangs erwähnte mögliche Upgrade der Batterie von 75 auf 100 kWh. Den Service übrigens übernehmen spezielle, über ganz Deutschland verteilte Center, deren Dienste per Knopfdruck über die NIO-App oder eine Hotline gebucht werden können. Wobei wir diese Werkstätten wohl nie kennenlernen würden, denn NIO offeriert für solche Fälle einen Hol- und Bringeservice bis zur Haustür. Wenn es länger dauert, gibt es einen kostenlosen Leihwagen. Marke NIO natürlich.

Die Preise für diese Subscription-Nummer bewegen sich allerdings zwischen strammen 1299 Euro (kleine Batterie) und rund 1500 Euro (große Batterie) im Monat. In Abhängigkeit von den gewählten Laufzeiten, der Batterie und der jeweiligen EL7-Konfiguration. Dabei ist die Kilometerleistung jeweils auf auf nicht gerade üppige 1250 Kilometer pro Monat begrenzt (15.000 km/Jahr) und jeder zusätzliche Kilometer kostet happige 30 Cent. Gut jedoch: Ungenutzte Kilometer werden einfach in den nächsten Monat übertragen. Und demnächst, sobald genügend Autos vorhanden sind, will NIO auch junge Gebrauchte anbieten — zu günstigeren Preisen natürlich.

Fahrzeugbestellung per App

Dann gibt es die teueren, flexiblen Verträge, die schon ab einem Monat Laufzeit beginnen und sich innerhalb von gerade mal zwei Wochen zum Monatsende kündigen lassen. Der Spaß beginnt hier bei monatlich 1699 Euro. Mit zunehmender Länge des Vertrages reduziert sich der Preis. Reizvoller Vorteil: Das Auto lässt sich nach Belieben wechseln, und das ist möglicherweise ganz praktikabel zum ersten Kennenlernen der drei unterschiedlichen NIO-Modelle, weil die kleinere ET5-Limousine jetzt auch auf den Markt kommt. So, das lässt sich detailliert und bequem auf der NIO-Website anschauen. Oder mit der alles umfassenden NIO-App, dem digitalen Treffpunkt der Community. Über die man natürlich auch sein Auto bestellen kann.

Zweites oder drittes Wohnzimmer 
Die trendig gestylten NIO Houses in den Großstädten sollen kulturelle Treffpunkte für Fans und Interessierte werden.
Zweites oder drittes Wohnzimmer
Die trendig gestylten NIO Houses in den Großstädten sollen kulturelle Treffpunkte für Fans und Interessierte werden.

Wer will, der kann sich zudem in einem der trendig gestylten NIO Houses schlau machen, mit denen die Chinesen jetzt in allen unseren großen Metropolen kulturelle Treffpunkte für ihre Community etablieren wollen. Über den Start in Berlin und die dort geplanten Events haben wir bei EDISON ja ausführlich berichtet. Ende März öffnet in Frankfurt am Main das zweite NIO House. Es folgen Düsseldorf, Hamburg und München. Überraschung, dort warten dann wie in Berlin tatsächlich auch leibhaftige Verkäufer („Fellows“) sowie die aktuellen Autos der Marke auf neue Kundschaft.

Elektro-Kleinwagen unter anderem Label

Gutes Stichwort, denn NIO hat ambitionierte Modellpläne. Bereits zum Jahresende wollen die Chinesen eine geräumige Kombiversion ihrer ET5-Limousine nach Deutschland bringen. Im nächsten Jahr folgen dann kleine, preisgünstige City-Modelle im Format eines Fiat 500 oder BMW Mini unter einem neuen, speziellen Marken-Label. Und selbstverständlich wird NIO neben der EC7-Coupeversion des EL7 auch die kompaktere 6er SUV-Modellreihe bald zu uns bringen.

„Mehr als anderswo steht bei uns der User im Vordergrund, und unsere Flexibilität ist das neue Premium“, hat uns Ralph Kranz dann am Ende noch einmal geduldig erklärt. Auch deshalb will er sich auf Dauer nicht mit einem Nischendasein begnügen. „Wir treten mit NIO voll gegen Mercedes, Audi, BMW, Volvo und Jaguar an“, haut er ohne mit der Wimper zu zucken raus.

Dazu passt die Antwort auf die ganz persönliche Frage, die wir dem schwarzen Kobold auf dem Armaturenbrett am Ende unserer Testfahrt gestellt haben: „Hey NOMI, wie geht es dir?“ Die pathetische Reaktion hätten wir uns denken können. „Danke, ich fühle mich extrem gut!“

Artikel teilen

Kommentar absenden

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert