Als die erste Generation des Nissan Leaf 2010 auf den Markt kam, war er eine kleine Revolution. Das kompakte Elektroauto aus Japan war das weltweit erste Großserienmodell mit rein elektrischem Antrieb – ein Pionier, der den Weg für die Elektromobilität im Alltag ebnete. Rund 650.000 Exemplare hat Nissan seitdem in zwei Modellgenerationen verkauft, viele davon auch in Europa. Doch während die Konkurrenz in den letzten Jahren technologisch davonzog, wirkte der Leaf zuletzt etwas in die Jahre gekommen und in Europa mit seinem CHAdeMO-Ladeanschluss seltsam deplatziert. Jetzt startet er neu durch – als komplett neu entwickelte dritte Generation, gebaut auf der modernen CMF-EV-Plattform von Renault, die auch schon beim Nissan Ariya (und beim Renault Megane E-Tech Electric) zum Einsatz kommt.

Aerodynamisch, effizient und alltagstauglich

Mit dem neuen Leaf will Nissan wieder vorne mitspielen. Das Design ist aerodynamischer, die Reichweite deutlich größer, und die Technik auf dem neuesten Stand. Optisch orientiert sich der 4,35 Meter lange Fünftürer stärker an einem kompakten Crossover als an einer klassischen Limousine. Mit bündig eingelassenen Türgriffen, schmaler Dachlinie und markanten 3D-Rückleuchten wirkt er sportlicher und eleganter als seine eher bieder gestylten Vorgänger.

Besonders auffällig ist der niedrige Luftwiderstandsbeiwert von nur 0,25, der zusammen mit der windschnittigen Karosserie für mehr Effizienz sorgt. Vor allem ist endlich die größte Schwäche seiner beiden Vorgänger beseitigt: Ein CCS-Ladeanschluss sorgt in Generation 3 dafür, dass der neue Nissan Leaf vollen Zugang zum europäischen Schnellladenetz erhält und wesentlich schneller Strom aufnehmen kann.

Bunte neue Welt
Der Innenraum des Nissan ist geräumig und gut aufgeräumt. Auf zwei 14,3 Zoll großen Monitoren sowie über ein Head-up-Display wird dem Fahrer alles angezeigt, was er unterwegs an Informationen benötigt. Vier Knöpfe in der Mittelkonsole regeln den Fahrbetrieb.

Auch im Innenraum hat Nissan kräftig nachgelegt. Zwei 14,3-Zoll-Bildschirme verschmelzen zu einem digitalen Cockpit, das alle wichtigen Informationen klar darstellt. Über das neue Infotainmentsystem „Nissan Connect“ mit integrierten Google-Diensten lassen sich Navigation, Routenplanung und Ladevorgänge bequem steuern. Die Sprachsteuerung funktioniert flüssig bei einfachen Aufgaben. Bei komplexeren Anfragen streikt das System noch: Auf die Ansage „Mir ist warm“, erhielten wir bei der Testfahrt die flapsige Antwort „Vielleicht solltest Du schwimmen gehen“. Humor hat der Bordcomputer immerhin.

Und immerhin lässt sich die Innenraumtemperatur mit der passenden App auch aus der Ferne regeln – und natürlich ganz konventionell über Tasten unterm dem Zentraldisplay. Die bei der Gestaltung des Innenraums eingesetzten Materialien wirken zudem hochwertiger als bisher, das Raumgefühl ist deutlich großzügiger. Auch für die Menschen in der zweiten Reihe, die mehr Knie- und Kopffreiheit vorfinden. Dazu 437 Liter Kofferraumvolumen und eine elektrische Heckklappe – es gibt genug Platz und Komfort für Familie, Freizeit oder Urlaub. Für einen Frunk unter der Fronthaube blieb allerdings vor lauter Technik kein Platz mehr. Das Ladekabel muss deshalb im Untergeschoss des Kofferraums verstaut werden.

Zwei Batteriegrößen, große Reichweite

Unter dem Fahrzeugboden – stehen zwei Batterievarianten zur Wahl. Die Basisversion bietet 52 kWh Kapazität und rund 440 Kilometer Reichweite, das Topmodell kommt mit seinem 75 kWh fassenden Akku angeblich sogar auf bis zu 622 Kilometer Reichweite nach der Verbrauchsnorm WLTP. Damit liegt der neue Leaf theoretisch auf Augenhöhe mit vielen seiner Konkurrenten wie etwa dem VW ID.4. Selbst bei konstant 130 km/h sollen laut Nissan noch bis zu 330 Kilometer möglich sein.

ie Verbrauchswerte unserer Testfahrt durch Dänemark bei einer Höchstgeschwindigkeit von 110 km/h – 15,3 bis 17,8 kWh/100 km – ließen daran allerdings leichte Zweifel aufkommen. Ebenso wie die offiziellen Werksangaben: Um mit einem 75 kWh fassenden Akku auf 622 Kilometer Reichweite zu kommen, dürfte der Stromverbrauch eigentlich nicht über 12 kWh/100 km steigen. Nissan selbst gibt den Durchschnittsverbrauch mit 13,8 kWh/100 km an – rein rechnerisch müsste dann schon nach 543 Kilometern eine Ladesäule angesteuert werden. Die Diskrepanz konnten uns auch Nissan-Ingenieure nicht beantworten.

Stromer auf der Schlossallee
 „Luminous Teal“ nennt Nissan die ausdrucksstarke Lackierung für den Leaf, die für Aufsehen sorgt, wo immer der Stromer auftaucht.
Stromer auf der Schlossallee
„Luminous Teal“ nennt Nissan die ausdrucksstarke Lackierung für den Leaf, die für Aufsehen sorgt, wo immer der Stromer auftaucht. Auch vor den Toren von Schloss Frederiksborg in Hillerod.

Was die Langstrecken-Tauglichkeit des neuen Nissan Leaf allerdings nicht mindert. Dank 150 kW Ladeleistung bei der Version mit großem Akku (der Leaf mit 52 kWh-Batterie lädt mit maximal 105 kW) ist der Stromspeicher schnell wieder gefüllt. In nur 30 Minuten lässt sich genug Energie für etwa 400 Kilometer nachladen. Praktisch für Outdoor-Fans: Über die serienmäßige Vehicle-to-Load-Funktion (V2L) und einen Adapter (der bei der Topversion zum Serienumfang zählt) liefert der Leaf bis zu 3,6 Kilowatt Strom an externe Verbraucher – genug, um beim Camping Kaffeemaschine, E-Grill oder Laptop mit Energie zu versorgen. Zu einem späteren Zeitpunkt soll es auch möglich sein, den in der Batterie gespeicherten Strom ins Hausnetz einzuspeisen. Der Onboard-Charger ist dafür vorbereitet, eine dafür geeignete Wallbox kommt im Laufe des kommenden Jahres auf den Markt. Einen Preis dafür konnte Nissan allerdings noch nicht nennen.

Komfortables Fahrgefühl mit Punch

Bei der ersten Fahrt durch Kopenhagen und das Umland der dänischen Hauptstadt mit der Topversion des Leaf zeigte sich, wie viel Entwicklungsarbeit in die neue Generation geflossen ist. Die Kombination aus dem 160 kW starken PSM-Elektromotor an der Vorderachse (einer Eigenentwicklung von Nissan und nicht etwa ein Renault-Klon) und einer Mehrlenker-Hinterachse sorgt für ein ausgewogenes, ausgesprochen komfortables Fahrverhalten. Das Ansprechverhalten des Antriebs ist direkt, die Beschleunigung kraftvoll, aber harmonisch – von 0 auf 100 km/h geht es in durchaus sportlichen 7,6 Sekunden. Besonders angenehm: das sogenannte e-Pedal Step, das Ein-Pedal-Fahren ermöglicht. Wer vom Gas geht, verzögert sanft, ohne die Bremse zu berühren – ideal für Stadtverkehr und Fahrten im Stop-and-Go-Verkehr.

CHAdeMO war einmal
Der Nissan Leaf für Europa nutzt zum Laden des Akkus endlich den CCS-Schnelllade-Standard. Gleichstrom kann nun mit immerhin 150 kW aufgenommen werden - der vorher genutzte CHAdeMO-Anschluss verkraftete maximal 50 kW. Foto: Rother
CHAdeMO war einmal
Der Nissan Leaf für Europa nutzt zum Laden des Akkus endlich den CCS-Schnelllade-Standard. Gleichstrom kann nun mit immerhin 150 kW aufgenommen werden – der vorher genutzte CHAdeMO-Anschluss verkraftete maximal 50 kW. Foto: Rother

Auch bei den Fahrerassistenzsystemen ist der neue Leaf erwartungsgemäß auf dem neuesten Stand. Der ProPILOT mit Navi-Link hält unterwegs sauber Abstand und die Spur, ein 3D-Around-View-Monitor sorgt beim Rangieren für Durchblick. Und das im wahrsten Sinne: Beim Einparken wird die Karosserie auf dem Monitor transparent, werden die Räder hervorgehoben. Bordsteinkontakte, be denen die prächtigen Leichtmetallräder Schaden nehmen könnten, werden so verhindert.

Totwinkelwarner, Notbremsassistent und Querverkehrswarner gehören selbstverständlich ebenfalls zur Serienausstattung. Vor allem im Stadtverkehr helfen die Kameras und Sensoren beim Rangieren. Auf der Autobahn sorgt der Spurhalte- und Abstands-Assistent für entspanntes Dahingleiten. Die Regenerationsstufen der Bremsenergierückgewinnung lassen sich dabei über Schaltpaddel fein justieren – sofern man dies nicht der Automatik überlässt.

Reifer, leiser, effizienter

Insgesamt vermittelt der neue Nissan Leaf einen erwachsenen Eindruck. Er ist leiser, komfortabler und effizienter als zuvor – und endlich auch optisch auf der Höhe der Zeit. Der Startpreis beträgt 36.990 Euro, für das Topmodell mit großem Akku und Panorama-Glasdach werden knapp 42.000 Euro gefordert. Produziert wird das Modell für Europa wie bisher im britischen Nissan-Werk in Sunderland, das teilweise mit erneuerbarer Energie betrieben wird. Die Modelle für den Rest der Welt kommen aus Japan und unterscheiden sich von der Europa-Version unter anderem durch einen anderen Außenspiegel und einen insgesamt etwas schlechteren cw-Wert.

Für Insider
Im Japanischen heißt das Schriftzeichen 2 „Ni“, das für die Zahl 3 „san“. Die Nissan-Designer haben das Wortspiel in der Signatur der Heckleuchten aufgenommen: Zwei waagerechte Balken stehen hier drei senkrechten gegenüber. Foto: Nissan

Bleibt die Frage: Kann der Leaf an seine Pionierrolle von einst anknüpfen? Die Antwort lautet: ja, zumindest teilweise. Er ist kein radikaler Technologieträger wie etwa der neue (und deutlich teurere) BMW ix3 oder der (doppelt so teure) Mercedes CLA, aber ein rundum stimmiges Elektroauto für den Alltag. Mit ordentlicher Reichweite, einem stadttauglichen Format und einer Ausstattung, die nichts vermissen lässt. Für alle, die ein zuverlässiges, komfortables und dennoch bezahlbares E-Auto für die Familie suchen, dürfte der neue Nissan Leaf damit ab Frühjahr 2026 ein interessanter Kauf-Kandidat sein. Bestellungen für den neuen Stromer nehmen die Händler ab sofort entgegen.

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Nissan Leaf 75 kWh

Motor: Frontantrieb mit 160 kW (215 PS) Leistung und 355 Nm Drehmoment;
Akkukapazität: 75 kWh; Reichweite: 622 km im Stadtverkehr, 422 km bei Tempo 110 auf der Autobahn;
Max. Ladeleistung: 150 kW DC, 11 kW AC; Höchstgeschwindigkeit: 160 km/h;
Länge/Breite/Höhe (mm): 4350/1810/1550; Radstand: 2690mm; Leergewicht: 1937 kg;
Preis: 39.990 Euro;

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3 Kommentare

  1. Harold Sternath

    Warum tun sich alle Hersteller so furchtbar schwer bei der Nutzung des Autoakkus für einen Hausverbrauch?
    Wird dieses Naheliegende durch die Lobby der Energiekonzerne verhindert?
    Und wer setzt sich ein für die Freigabe von Solarinsellösungen zum Laden- bzw. zur Ladeergänzung? Hier ist noch soviel möglich.

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  2. ims

    Sowohl einem Fachjournalisten wie auch den Entwicklungsingenieuren sollte klar sein, wie WLTP-Verbrauchswerte ermittelt und angegeben werden. Im Normverbrauch sind immer Ladeverluste enthalten, daher funktioniert keine 1:1-Umrechnung zwischen Normverbrauch, Nettoakkukapazität und Normreichweite.

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    • Franz W. Rother

      Das Verfahren ist sehr wohl bekannt. Umso mehr erstaunen die Werte, die Nissan selbst nennt und die Unfähigkeit der Ingenieure, die Diskrepanz zwischen Normverbrauch und WLTP-Reichweite nicht erklären zu können.

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