Wie Tesla hat sich Polestar als neue Automobilmarke von Anfang an auf den Elektroantrieb fokussiert und sich darüber schnell von der Schwestermarke Volvo emanzipiert. Auch im Vertrieb folgte Polestar dem Tesla-Prinzip: Verkauft werden die Fahrzeuge im Direktvertrieb über das Internet, der Erstkontakt erfolgt über so genannte Polestar-Spaces in Großstädten. Die Strategie wurde anfangs von vielen Wettbewerbern belächelt – inzwischen eifern sie den Schweden nach. Auf der IAA Mobility sprachen wir mit Polestar-CEO Thomas Ingenlath über die Entwicklung der Marke und des Produktportfolios, aber auch über die ambitionierten Ziele des Unternehmens beim Klimaschutz.
Herr Ingenlath, vier Jahre ist es her, dass Polestar als eine neue Automarke aus der Taufe gehoben wurde, die sich ausschließlich auf Elektroautos fokussiert. Inzwischen sind zwei Automodelle auf dem Markt, ein drittes Modell folgt 2022. Alles richtig gemacht?
Ich glaube schon. So wie wir hat sich ja keiner so früh gänzlich zum Elektroauto bekennen wollen. Und dass wir dafür eigens eine neue Marke gründeten, die sich dem Thema voll und ganz widmet, hat doch einige in der Branche arg erstaunt.
Inzwischen hat fast jeder Autohersteller Elektroautos im Programm, auch die Schwestermarke Volvo, aus der Polestar hervorgegangen ist.
Ja, aber es ist etwas anderes, wenn man nur Elektroautos baut – oder nur so nebenbei. Beim Fahren von Elektroautos lernt man viele neue Dinge, die man in den Jahrzehnten zuvor nicht kannte.
Zum Beispiel, wie man den Strom in den Akku bekommt.
Nicht nur, aber auch. So etwas lernt man viel schneller, wenn man sich voll und ganz darauf konzentriert. Und bei uns fließt das Erlernte auch sehr schnell in die Entwicklung der Autos ein.
Sie persönlich haben in den zurückliegenden vier Jahren auch noch einiges gelernt?
Ja klar. Wenn ich mit einem Elektroauto unterwegs bin, fahre ich ganz anders als mit einem Verbrenner. Ich habe eine ganz andere Strategie, fülle den Akku bei einer Ladepause nicht vollständig, sondern möglicherweise nur zu 50 Prozent – weil ich weiß, dass am Ziel eine Lademöglichkeit auf mich wartet.
Das sagt mir: Sie nutzen persönlich den Polestar 2, nicht den Polestar 1 mit Hybridantrieb.
Richtig. Das vollelektrische Fahren liegt mir schon sehr am Herzen. Der Polestar 1 ist ein besonderes Highlight, mit dem man nur ganz besondere Fahrten unternimmt.
Besonders ist der 155.000 Euro teure Polestar 1 auch durch seine Limitierung auf 1500 Fahrzeuge. Sind die inzwischen alle verkauft?
Tatsächlich läuft die Produktion im November aus – mit einer Edition von 25 goldenen Autos. Aktuell gibt es noch eine Handvoll, die noch nicht vergeben sind.
Und wie verkauft sich der Polestar 2?
Der ist gut angekommen auf dem Markt. Von Norwegen runter über Schweden, die Benelux-Länder und Deutschland.
Was heißt „gut“ in Stückzahlen?
Wir werden sicherlich bis Ende des Jahres um die 30.000 Fahrzeuge weltweit absetzen.
Und wie geht es weiter?
Derzeit sind wir erst in 18 Märkten weltweit aktiv, bis Ende kommenden Jahres sollen noch ein Dutzend mehr hinzukommen. Luxemburg und Island in Europa, dazu Kuweit und die Vereinigten Emirate im Nahen Osten. Wir expandieren massiv.
Auch in die die USA.
Das ist ein ganz anderes Thema. Wir haben im Januar vier Polestar-Spaces in den USA eröffnet und wollen dort bis Ende des Jahres mit 30 Spaces stark gut präsent sein. Das ist die Vorbereitung auf das darauffolgende Jahr, wenn wir den Polestar 3 launchen, der ja bekanntlich auch in den USA produziert wird.
Sie hielten mal einen Absatz von 50.000 Polestar 2 bis Ende 2022 für realistisch. Das gilt nach wie vor?
Das war vor der Pandemie und der Chipkrise. Vor dem Hintergrund mussten wir unsere Absatzziele wie alle Hersteller schon reduzieren. Alle fahren derzeit Woche für Woche auf Sicht.
Das heißt konkret?
Wir werden so…an die 30.000…oder in die Nähe kommen.
Sechstellig wird es erst mit dem dritten Modell, dem Polestar 3?
Das haben wir uns schon vorgenommen.
Wann kommt das Auto genau?
Den Polestar 3 – dass es ein SUV wird, ist ja kein Geheimnis – werden wir im kommenden Jahr launchen und gegen Jahresende die ersten Fahrzeug ausliefern. Er wird sich die Plattform und die Produktion mit dem Volvo XC90 teilen und ähnlich groß sein.
Na ja, das wird ja auch ein elektrischer Konkurrent des Porsche Cayenne.
Oder des Tesla Model X. Mit einer ähnlich großen Batterie von 80, 90 Kilowattstunden?
Wenn ich ein Elektroauto in der Größenordnung anbiete, erwartet der Kunde auch entsprechende Fahrleistungen. Und das bedingt einen großen Akku, der standesgemäß ist. Da muss man Respekt zollen der Psychologie und kann dem Kunden keinen kleinen Energiespeicher aufschwatzen. In den ersten Jahren sollten wir den Käufern eines Elektroautos Entspannung geben mit einem großen Akku und großer Reichweite. An der Infrastruktur muss man ja auch noch arbeiten – hier in Europa, aber auch in den USA.
Und vielleicht auch an den Fertigungskapazitäten? Mit Chengdu, Lugiao und dem Werk in Ridgeville, South Carolina, das Sie sich mit Volvo teilen, hätte Polestar dann drei Fertigungsstätten. Deren Kapazitäten reichen erst einmal?
Wenn die Stückzahlen stimmen, könnte mittelfristig noch etwas hinzukommen. Die CMA-Plattform wird ja auch im belgischen Werk in Gent eingesetzt. Da bestünde eine Möglichkeit zur Kapazitätserweiterung.
Wie Sie kürzlich in einem anderen Interview geäußert haben, ist die Elektrifizierung von Auto nicht das Ende, sondern nur der Anfang. Wie meinen Sie das?
Unser aller Interesse, der Autohersteller, der Politiker, auch der Verbraucher, sollte es doch sein, den Verkehr klimaneutral zu bekommen. Elektromobilität ist nur ein Enabler. Aber der Polestar kommt mit eine CO2-Fußabdruck zwischen 24 und 27 Tonnen beim Dual-Motor zum Kunden. Deshalb muss man dem deutlich machen, wie wichtig es ist, das Auto mit grünem Strom zu laden. In Schweden ist das absolut kein Problem, weil sich die Verbraucher dort sehr bewusst für Ökostrom entscheiden. In Deutschland besteht die Möglichkeit auch, aber nicht alle nutzen sie. Aber nur mit Grünstrom kann ich mit dem Polestar in kürzester Zeit, so ab etwa 40.000 Kilometer, eine positive CO2-Bilanz schaffen.
Schön wäre es auch, wenn die Autos schon ohne CO2-Rucksack zum Kunden kämen. Bei einer Produktion in China fällt das noch schwer, oder?
Die Fertigung ist neben der Batterie und anderen Komponenten ein Teil des CO22-Rucksacks, klar. Aber dies hat nicht per se was mit der Fertigung in China zu tun. Fakt ist jedoch, dass wir den Transport einkalkulieren und langfristig minimieren wollen.
Volkswagen übergibt seine Elektroautos klimaneutral an den Kunden. Sie schaffen das nicht?
Nach ja, wir machen kein Greenwashing mit irgendwelchen Kompensationen. Das ist für uns kein probates Mittel, um CO2-Neutralität zu schaffen. Im Rahmen des Projekts Zero wollen wir bis 2030 dafür sorgen, dass das Auto die Fabrik wirklich ohne einen CO2-Rucksack verlässt.
Das erfordert dann aber mehr als eine Umstellung der Produktion in China auf Grünstrom.
Alles muss umgestellt werden. Das ist wirklich eine Revolution. Heutzutage könnten wir das nicht, weil uns die Technologien fehlen, um etwa klimaneutral Stahl zu produzieren. Den Rucksack von 24 auf 12 zu reduzieren, ist schon ein Riesenschritt. Null Emissionen – das ist ein echtes Moonshot-Ziel. Aber das müssen wir alle schaffen, davon kann sich keiner drücken.
Wo fangen Sie an?
Mit einfachen Schritten. Wir schauen auf die CO2-Bilanz unserer Zulieferer und drängen sie, auf niedrige Werte zu kommen, beim Stahl, bei Aluminium. Dann arbeiten wir an der Umstellung unserer Produktion auf Ökostrom – das ist auch in China möglich. Die Menschen dort verstehen, dass das die Zukunft ist. Es gibt dafür in China ein großes Verständnis und auch eine große Bereitschaft, zu lernen und umzusteuern.
Also wird die Fabrik in Chegdu nun mit Fotovoltaik-Modulen geziegelt?
Solarstrom ist nur ein Teil der Lösung. Wir setzen eher auf Wasserkraft, haben aber die Produktion bereits Anfang des Jahres auf 100 Prozent Ökostrom umgestellt
Noch einmal zurück zur Modellpolitik: Der CO2-Rucksack eines Elektroautos schrumpft auch mit der Größe, des Fahrzeugs wie des Akkus. Wie wäre es mit einem Polestar für die Kompaktklasse – vom Kaliber eines VW ID.3?
Nein, ich denke, der Polestar 2 sollte was die Größe anbetrifft, unser Basisfahrzeug bleiben. Was mich eher reizt – und das haben wir mit dem Precept ja schon angedeutet – sind Elektroautos jenseits des SUVs. Der Polestar 2 ist eine kompakte, sportliche Limousine – wovon es derzeit nicht viele gibt. Der Precept ist noch sportlicher angelegt. Und in der Richtung würde ich gerne weiter arbeiten. An einem Auto, in dem man mit gestreckten Beinen sitzt, mit dem man wirklich sportlich unterwegs ist.
Sie meinen ein Coupé wie der Polestar 1, nur vollelektrisch?
Man muss sich zwar viel Mühe geben, einen solches Fahrzeug zu realisieren, aber es geht. Polestar hat im Premiumsegment die Aufgabe, die sportliche Ecke abzudecken. Es geht nicht darum, Rennen zu gewinnen, Rundenrekorde aufzustellen. Aber wir wollen schon automobile Emotionen schaffen, Autos, die richtig Spaß machen – und darüber die Elektromobilität befördern.
In den Motorsport zieht es sie nicht?
Heutzutage nicht, noch nicht. Aber ich würde es definitiv nicht ausschließen wollen. Vielleicht in Kooperation mit einem Partner mit ähnlichem Spirit. Aber als junge Firma muss ich erst einmal schauen, wo ich meine Mittel und meine Kräfte am sinnvollsten einsetzen. Unsere Kunden würden sich sicher auch wundern, wenn wir jetzt in der Formel E auftauchen würde. Erst einmal müssen wir uns auf unsere Autos und unsere Apps und Software konzentrieren. Da haben wir noch einige Hausaufgaben vor uns.
Wie entwickelt sich eigentlich die Zusammenarbeit mit Volvo?
Die entwickelt sich ganz natürlich weiter. Und wenn ich natürlich sage, dann ist es wie in jeder Familie, wo das ‚grüne Gemüse‘ aufwächst, um seine Rechte kämpft und einen eigenen Weg zu finden sucht. Dieser Prozess des Erwachsenwerdens ist in vollem Gange. Wir haben in den zurückliegenden zwei Jahren viel gelernt, auch über die vielen digitalen Kundenkontakte. Wir haben gelernt, Over-the-Air-Updates zu realisieren und so das Android-System weiterzuentwickeln. Darüber hinaus haben wir ein eigenes Profil entwickelt – und uns auch im Konzern Respekt erworben.
Wie viele Updates gab es schon?
Wir sind jetzt bei Nummer sechs – fast. Diese Woche kommt das nächste. Es bringt mehr Systemstabilität, auch neue Funktionalitäten wie „Eco-Climate“, eine Vorheizung der Batterie, um den Ladevorgang zu optimieren. Das haben wir am Anfang nicht gehabt. Ab Winter wird zusammen mit dem Innenraum auch die Batterie aufgewärmt, wenn eine Startzeit programmiert wird. Im Plus-Paket ist zudem nun auch eine Wärmepumpe verfügbar
Aber die gibt es analog, nicht digital?
Natürlich nicht.
Warum haben Sie die nicht gleich gebracht?
Das sagt sich so leicht. Um so etwas einzuführen, braucht es schon ein komplexes Energiemanagement. Das wollten wir einfach richtig machen. Ich hoffe, der Markt wird uns auch das honorieren.