In Rüsselsheim schauen sie wieder lächelnd in die Zukunft. Nachdem jahrelang der fast schon geflügelte Ausdruck des „kriselnden Autobauers“ bei den Opel-Mitarbeitern schlechte Laune gesorgt hat, gehört das Geschäftszahlen-Menetekel jetzt der Vergangenheit an. Die Marke mit dem Blitz hat im vergangenen Jahr rund 670.000 Fahrzeuge verkauft und mit 15 Prozent das stärkste prozentuale Wachstum seit mehr als 20 Jahren erzielt. Nur zur Verdeutlichung: Damals gab es noch keine Smartphones, kein iPhone – und Nokia beherrschte gemeinsam mit Siemens den Markt der Mobiltelefone. Allerdings darf man dabei nicht vergessen, dass diese wirtschaftliche Blütezeit das Resultat eines von Stellantis-Boss Carlos Tavares verordneten rigorosen Sparkurs ist. Inwieweit diese Strategie langfristig Erfolg bringt, wird die Zukunft zeigen.

Zumindest bei Opel scheint der Plan derzeit aufzugehen. Einen nicht unwesentlichen Teil zu dem Aufwärtstrend tragen die Nutzfahrzeuge bei. Auch in diesem Jahr. In den ersten beiden Monaten hat der Rüsselsheimer Autobauer knapp 20.000 Combo, Vivaro und Movano verkauft, 28,1 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. In Europa waren es sogar 29,6 Prozent und der Marktanteil stieg hier von 4,6 auf 5,2 Prozent. Damit dieser Aufschwung kein Strohfeuer bleibt, muss man die Fahrzeuge frisch halten. Um das zu erreichen, öffnen sogar die Stellantis-Controller das Portemonnaie.

Quadratisch, praktisch, gut 
Der elektrische Opel Vivaro wird in zwei Längen, mit seitlichen Schiebentüren sowie einer Flügeltüre am Heck angeboten.
Quadratisch, praktisch, gut
Der elektrische Opel Vivaro wird in zwei Längen, mit einer seitlichen Schiebentür rechts sowie einer Flügeltüre am Heck angeboten. Das sollte für die meisten Einsatzzwecke reichen.

Dass der Vivaro Electric im Zuge der Modellpflege das Opel-Antlitz Vizor samt optionalen LED-Scheinwerfern verpasst bekommen hat, steht dem Transporter und unterscheidet ihn von seinen Technikbrüdern Citroën Jumpy sowie dem Peugeot Expert. Doch die Handwerker interessiert die schmucke Sonnenbrille über dem Kühlergrill wenig. Im harten Alltagseinsatz zählt die Praktikabilität und bei einem elektrischen Lastenesel wie dem Vivaro Electric ist eines der wichtigsten Kriterien die Reichweite. Kein Fahrer will die Mittagspause mit der Suche nach einer Ladesäule verbringen.

Reichweite steigt auf 350 Kilometer

In dieser Kategorie hat Opel nachgebessert. Statt 328 bringt die 75-Kilowattstundenbatterie den Elektrotransporter künftig bis zu 350 Kilometer (WLTP-Zyklus) weit – 22 Kilometer mehr als bisher. Wer sich für die kleinerem Akkus mit einer Kapazität von 50 kWh entscheidet, muss sich nun mit 224 km begnügen. Das sind interessanterweise sechs Kilometer weniger als beim Vorgänger.

Nimmt fast alles mit
Der Vivaro bietet in der Langversion ein Laderaumvolumen von bis zu 6.600 Litern (6,6 Kubikmeter) und eine maximalen Zuladung von 1.263 Kilogramm. Die Ladelänge beträgt hier vier Meter.
Nimmt fast alles mit
Der Vivaro bietet in der Langversion ein Laderaumvolumen von bis zu 6.600 Litern (6,6 Kubikmeter) und eine maximalen Zuladung von 1.263 Kilogramm. Die Ladelänge beträgt hier vier Meter.

Beim Stromtanken bleibt leider alles beim Alten. Die maximale Ladegeschwindigkeit von 100 kW ist gerade noch in Ordnung und bringt die Akkus in 45 Minuten auf einen Füllstand von 80 Prozent. Für das Nacht-Laden im Depot reicht nach wie vor der serienmäßige dreiphasige Charger, der die Energiespeicher in rund sieben Stunden mit 11 kW Wechselstrom wieder füllt. Praktisch ist die „e-Power Take off-Unit“, mit der sich externe elektrische Geräte aus der Antriebsbatterie mit Strom versorgen lassen.

100 kW reichen im Stadtverkehr völlig

Der Elektromotor hat nach wie vor 100 kW oder 136 PS Leistung und ein maximales Drehmoment von 260 Newtonmetern. Auch ist nach wie vor bei einer Geschwindigkeit von 130 km/h Schluss. Bei einem Laderaumvolumen von bis zu 6.600 Litern (6,6 Kubikmetern) und einer maximalen Zuladung von 1.263 Kilogramm reichen diese Leistungsdaten aber völlig aus – das Fahrzeug dürfte überwiegend im Lieferverkehr und auf der Kurzstrecke eingesetzt werden.

Dass wir einen Zündschlüssel drehen müssen, um den Vivaro Electric zum Leben zu erwecken, mag für manche archaisch sein. Wir finden es irgendwie lässig. Als nicht ganz so prickelnd empfinden wir die Kombination aus Automatikstummel und der Fahrmodus-Wahlwippe, die uns seit einigen Jahren aus jedem Innenraum eines Stellantis-Fahrzeugs entgegengrienen. Offenbar sind die Lagerbestände dieser Bauteile so groß, dass die Konzernmarken dieses Symbol der ostentativen Gleichteilestrategie noch eine Weile verbauen müssen. Sei es drum. Die Elemente erfüllen ihren Zweck.

Aufgeräumtes Cockpit 
Als nicht ganz so prickelnd empfinden wir allerdings die Kombination aus Automatikstummel und der Fahrmodus-Wahlwippe auf der Mittelkonsole, die uns seit Jahren aus jedem Innenraum eines Stellantis-Fahrzeugs entgegengrienen.
Aufgeräumtes Cockpit
Als nicht ganz so prickelnd empfinden wir allerdings die Kombination aus Automatikstummel und der Fahrmodus-Wahlwippe auf der Mittelkonsole, die uns seit Jahren aus jedem Innenraum eines Stellantis-Fahrzeugs entgegengrienen.

Nach wie vor stehen mit Eco, Normal und Power drei Fahrmodi zur Auswahl. Wobei im Eco-Programm die Meldung erscheint, dass die Klimaanlage nicht mehr mit voller Kraft arbeitet. Auch die Vortriebpower wird reduziert: Bei „Eco“ auf 60 kW oder 82 PS und 190 Nm, bei „Normal“ auf 80 kW oder 109 PS (210 Nm). Erst wenn „Power“ aktiviert ist, lässt das System die vollen 100 kW samt 260 Nm Drehmoment von der Leine.

Rekuperation nun mit Lenkradwippen

Auch wenn dieser Modus am meisten Fahrspaß bereitet, dürfte er im Handwerkeralltag selten zum Einsatz kommen. Schließlich geht man mit einem zwei Tonnen schweren Transporter nicht auf Bestzeitenjagd. Der B-Rekuperationsknopf entfällt. Jetzt bietet der Opel Vivaro Electric über die Lenkradwippen drei Stufen der Rekuperation an, an die man sich sehr schnell gewöhnt. Wir hatten 250 Kilogramm geladen und kamen mit „Eco“ und „Normal“ prächtig zurecht. Am Ende unserer Testfahrt mit der 4,96 Meter kurzen e-Cargo-Variante (der Lange bringt’s auf 5,31 Meter Länge) verkündete die Elektronik einen Durchschnittsverbrauch von 27,2 kWh pro 100 km – damit übertrafen wir die Werksangabe nur um 3,4 kWh/100 km.

Da freut sich der Handwerker 
Ablagen finden sich im Vivaro reichlich. Zum Aufladen von Smartphones gibt es zudem zwei USB-Steckdosen.
Da freut sich der Handwerker
Ablagen finden sich im Vivaro reichlich. Zum Aufladen von Smartphones gibt es zudem zwei USB-Steckdosen.

Augenscheinlich sind die Verbesserungen der Modellpflege beim Cockpit. Der zentrale Touchscreen misst jetzt zehn Zoll und auf Wunsch sorgen zwei Kameras für eine Rundumsicht, was beim Rangieren mit der geschlossenen Cargo-Variante ebenso hilft wie der virtuelle Rückspiegel. Zu den Assistenzsystemen gehören ein Frontkollisionswarner mit Notbremsfunktion, ein adaptiver Tempomat und ein Spurhalteassistent. Wenn alle Stricke reißen, dann kann man immer noch das Smartphone via Apple CarPlay oder Android Auto in das Infotainment einbinden.

Preise sinken um fast 4000 Euro

Die Preise für den Opel Vivaro Electric beginnen bei 39.500 Euro netto für Gewerbekunden – das sind immerhin rund 4000 Euro weniger als vor zwei Jahren (43.300 Euro). Aber damals gab es ja noch den staatlichen Umweltbonus. Die e-Cargo Variante mit der 75 kWh großen Batterie kostet – wie damals – 5.000 Euro mehr, die Doppelkabine 3000 Euro. Der Vivaro Electric kann allerdings auch „nackt“ geordert werden – ohne Aufbau, als elektrisches Fahrgestell. Das spart immerhin 400 Euro.

Artikel teilen

Kommentar absenden

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert