Manchmal erfährt man bei automobilen Weltpremieren auch einiges über die Akteure, womit man nicht gerechnet hat. Zum Beispiel, dass Polestar-Chef Thomas Ingenlath, Jahrgang 1964, offenbar im Herzen ein Hippie ist. Anders lässt es sich nicht erklären, dass mit „Age of Aquarius“ die Hymne der Flower-Power-Generation mehrmals bei der Vorstellung des neuen Polestar 3 im Internet lief.
Der Elektro-Crossover ist für Ingenlath immerhin ein Herzensprojekt. Denn es ist das erste Auto, das von der ersten Skizze an als Polestar konzipiert war und nicht als Volvo-Derivat. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass das schwedisch-chinesische E-SUV sich die Technik der zweiten Entwicklungsstufe von Volvos Scalable Product Architecture (SPA II) mit dem Volvo EX90 teilt, der nächstes Jahr erscheint und wie später auch der Polestar 3 im neuen US-Werk Ridgeville/South Carolina gebaut wird. Details über das Schwestermodell werden am erst 9. November verraten.
„SUV für das Elektrozeitalter“
Der erste Polestar, der auf der Sustainable Experience Architecture (SEA) basiert, wird der Polestar 4 sein. Also die Serienversion des Precept Concept. Danach bekommen der Polestar 5 ein viertüriger GT und der E-Roadster Polestar 6 die neue Architektur. Was nicht bedeutet, dass im Polestar 3 angestaubte Technologie verbaut ist. Im Gegenteil. „Der Polestar 3 ist die Zukunft des SUVs im elektrischen Zeitalter“, verspricht Ingenlath und erklärt im gleichen Atemzug, dass „Platz“ das neue Premium ist.
Aus dem Grund hat der E-Crossover trotz eines Radstands von 2,98 Metern auch keine dritte Sitzreihe, sondern spendiert diesen Raum den Passagieren. Für das Wohlbefinden der Passagiere sorgen nicht nur eine Zweikammer-Luftfederung und ein riesiges Panoramadach, sondern auch die 25 Lautsprecher der 1.750 Watt starken Soundanlage. Der Innenraum ist minimalistisch gestaltet und mit hochwertigen Bio-Materialien wie mit vollständig rückverfolgbarer Wolle und tierschutzzertifiziertem Leder ausgekleidet. Aber das nur am Rande.
Preise beginnen bei 89.900 Euro
Viel wichtiger: Der allradgetriebene Polestar 3, der laut Ingenlath „das SUV für das Elektrozeitalter“ definieren soll, leistet in der zum Start angebotenen Version 360 kW oder 489 PS und bietet ein maximales Drehmoment von 840 Newtonmetern auf. Das Ganze gibt es bei uns ab Ende kommenden Jahres zum Preis von 89.900 Euro. Ordert man das optionale Performance Pack, steigt der Preis um 6.600 Euro, die Leistung um 20 kW. Und 70 Nm Drehmoment kommen obendrauf. Damit soll der 2.670 Kilogramm schwere Crossover den Sprint von null auf 100 km/h dann in 4,7 statt in fünf Sekunden zurücklegen. Die Höchstgeschwindigkeit liegt hier wie da bei 210 km/h an. Wichtiger dürfte aber für viele sein, dass der Polestar 3 Anhängerlasten von bis zu 2,2 Tonnen an den Haken nehmen kann.
Zum Vergleich: Der BMW iX xDrive 50 hat eine Antriebsleistung von 385 kW/523 PS, kostet mindestens 102.500 Euro und erreicht nach 4,6 Sekunden Landstraßentempo. Bei Batteriekapazität und Reichweite sind beide Fahrzeuge ebenfalls fast deckungsgleich: Der Akku im BMW hat eine Kapazität von 111,5 Kilowattstunden und trägt den Bayern bis zu 630 Kilometer weit. Die maximale Anhängelast des iX beträgt übrigens 2,5 Tonnen.
Im Polestar 3 speichern 204 prismatische Zellen in 17 Modulen bis zu 111 kWh Strom, was nach der WLTP-Verbrauchsnorm für Strecken von bis zu 610 Kilometern gut sein soll. Geladen wird der Akku des Polestar 3 mit bis zu 11 kW Leistung an einer AC-Wallbox oder unterwegs mit bis zu 250 kW an einem Gleichstrom-Schnelllader. Wer mag, kann den im Akku gespeicherten Strom später auch ins Hausnetz einspeisen – der Polestar 3 ist für das so genannte bidirektionale Laden vorbereitet.
Lidar-Sensoren gegen Aufpreis
Unter der eleganten Hülle des 4,90 Meter langen Polestar 3 steckt jede Menge Hightech. Serienmäßig verfügt der Crossover über fünf Radarmodule, fünf Kameras und zwölf Ultraschallsensoren. Ähnlich wie Nio integriert Polestar die Technik in das Design. Anstelle des Kühlergrills hat das E-SUV die sogenannte Smart Zone, in der mehrere nach vorne gerichtete Sensoren, ein beheizbares Radarmodul und eine Kamera in einem Element zusammengefasst sind. Gegen Aufpreis kann ab Sommer 2023 ein Pilot-Pack geordert werden, um autonomes Fahren auf Level 3 zu realisieren. Die Technikaufrüstung besteht aus einem zusätzlichen Nvidia-Steuergerät, LIDAR-Technik von Luminar, drei weiteren Kameras sowie vier Ultraschallsensoren. Damit lässt sich dann die Umgebung des Fahrzeugs dann dreidimensional darstellen.
Radarsensoren und Kameras überwachen auch den Innenraum, was unter anderem die Gefahr bannen soll, Kleinkinder oder Haustiere im Auto zu vergessen.
Jede Menge Rechenpower an Bord
Für das Infotainment hat sich Polestar mit Qualcomm einen Chip-Giganten ins Boot geholt, der die neueste Evolutionsstufe seines „Snapddragon Digital Chassis“ beisteuert, die auch Cloud-Dienste beinhaltet. Die Rechenpower wird dazu genutzt, um hochauflösende Grafiken auf das nun 14,5 Zoll große Zentral-Display zu projizieren und eine reibungslose Konnektivität zu gewährleisten. Wie bei Volvo und auch beim Polestar 2 sorgt Google mit seiner Android-Auto-Software für die Grafik inklusive Navigation per Google Maps. Die Updates erfolgen natürlich drahtlos.
Im Sommer kommenden Jahres beginnt im chinesischen Chengdu die Produktion des Polestar 3. Wir sind gespannt auf die ersten Fahreindrücke.
(Mit Ergänzungen von Franz Rother)